gs1-neton-header-09.jpg

Ein Start-up für «Maske us de Schwiiz»

Drei pfiffige Ingenieure aus Schaffhausen kombinieren mehrere GS1 Standards geschickt, um die Rückverfolgbarkeit und Qualitätssicherung von Masken aus Schweizer Produktion zu gewährleisten.

Begeisterung für Neues, analytisches Denken, gründliches Vorgehen bei der Umsetzung, Durchhaltevermögen und Kooperationen sind die Zutaten für medizinische Schutzmasken aus der Schweiz. Die Brüder Rafael und Gabriel Sonderegger – beide studieren Maschinenbau an der ETH – hatten zu Beginn der Corona-Pandemie die Idee, Schutzmasken herzustellen in der Annahme, dass die Nachfrage hierzulande längerfristig bestehen werde.

Der Entscheid, tatsächlich in die Produktion von Masken einzusteigen, liess nicht lange auf sich warten. Tatkräftig unterstützt in ihrem Vorhaben wurden sie von ihrem Vater, Marcel Sonderegger, der in Schaffhausen ein Ingenieurbüro betreibt. Das Start-up, im besten Sinne ein familienunternehmerisches Projekt, vermarktet inzwischen die Produkte unter dem Slogan «Sondia – Maske us de Schwiiz».

Marktzugang für Medizinprodukte
Für die Produktion von Masken wurde eine zuverlässige Maschine benötigt, die man sich über vertrauenswürdige Kanäle aus China beschaffte. Viel Rechercheaufwand war nötig, um sich der Materialqualität der Vorprodukte zu vergewissern. Denn von entscheidender Bedeutung ist die mittlere Schicht einer Schutzmaske. Das sogenannte Vlies mit engsten Poren besteht aus einer Schicht aus eng verkreuzten und chaotisch verschlungenen, nur unter dem Mikroskop sichtbaren Fasern, welche die erwünschte Filterwirkung erzielen.

Als Hürde für Neulinge kommt hinzu, dass der Marktzugang für Medizinprodukte streng geregelt ist. «Wir haben den Vorteil, dass wir als Sonderegger Engineering AG bereits zertifiziert sind für die Herstellung und den Vertrieb von Medizinprodukten», wie Marcel Sonderegger erläutert. Das hoch spezialisierte Ingenieurbüro entwickelt unter anderem Fadenschneidmaschinen für chirurgisches Nahtmaterial. Dank der jährlichen Auditierung für eine branchenspezifische Norm sei man mit einer lückenlosen Dokumentierung von Prozessen bis ins Detail schon sehr vertraut.

Lokaler Partner produziert
Ohne industrielles Know-how und Personal, um sehr grosse Tages-Chargen abwickeln zu können, war der Start freilich nicht möglich. «Wir hatten keine Lokalität für die Maschine und auch keine Logistik», erinnert sich Marcel Sonderegger. Eine Geschäftsbeziehung bestand bereits zum lokal tätigen Unternehmen Altra, das auch für Kundschaft aus der Pharma- und Medizintechnikbranche Aufträge abwickelt und dank geschützten Arbeitsplätzen einen Beitrag zur Reintegration in die Arbeitswelt leistet. Schnell wurde man handelseinig und richtete in den Werkstätten der Altra einen Sauberraum für die Lagerung und Herstellung von Masken ein.

Doch mit einer eingerichteten Produktionsstätte und dem Zertifikat, normenkonforme Produkte herstellen zu können, ist es noch nicht getan. Denn das Produkt soll über mehrere Kanäle abgesetzt und im Falle des Vertriebs über den Detailhandel von der Kasse automatisch gelesen werden. In der Start-up-Phase fiel das eine Stichwort, dann das nächste. Sagt einer «Kasse», kommt dem andern der EAN-Code in den Sinn, mit dem Artikel im Detailhandel ausgezeichnet werden müssen.

Einzelne Schachtel rückverfolgbar
«Der Aufbau einer durchgängigen Qualitätssicherung ist meine Baustelle», beschreibt Vater Marcel Sonderegger seine Rolle innerhalb des Sondia-Projekts. Schnell wurde den Start-up-Unternehmern klar: Über die Minimalanforderung einer automatisiert auslesbaren Produktkennzeichnung in Form einer Global Trade Item Number (GTIN) hinaus sind viele Anforderungen hinsichtlich Rückverfolgbarkeit oder interner Qualitätssicherung aus dem Baukasten des GS1 Systems elegant lösbar. Strengere Vorschriften des Gesetzgebers vorwegnehmend, entschied man sich, auf den Verkaufseinheiten zusätzlich einen GS1 DataMatrix anzubringen. Mit Verfalldatum und Seriennummer versehen, ist nun jede einzelne Dispenserbox à 50 Stück individuell gekennzeichnet.

Diese präzise Kennzeichnung dient sowohl der Rückverfolgbarkeit als auch der internen Qualitätskontrolle. Aus praktischen Gründen werden zugestellte Kleinsendungen aus dem Online- Versandhandel zusätzlich mit der Sendungsverfolgungs- Nummer der Post versehen. Eine sinnvolle Lösung, wie Sonderegger anhand eines Reklamationsfalls erläutert: «Ein Kunde behauptete, er habe nur die Hälfte der Ware erhalten. Zusammen mit der internen Sendungsverfolgung der Post konnte ich ihm beweisen, welche Seriennummern angeliefert wurden. Dank unserer Beweislast fand der Kunde nach längerem Suchen die fehlenden Masken.»

Produktionssteuerung 4.0
«Eines musste ich lernen. Bei der industriellen Produktion geht dauernd etwas schief», sagt der passionierte Ingenieur weiter. Es brauchte einen Kontrollmechanismus, der jedoch gleichzeitig eine Fehlertoleranz für die Altra-Mitarbeitenden vorsah. Der Trick: Die Software erfasst den letzten Datensatz als richtig, beispielsweise dann, wenn die Qualitätskontrolle das gemessene Gewicht einer bestimmten Dispenserbox als richtig feststellt und somit zuvor erfasste Datensätze derselben Box automatisch für ungültig erklärt.

Unter Zuhilfenahme serialisierter Datenträger steuert das Start-up-Unternehmen sogar die Arbeitsvorbereitung für jeden Auftrag. Dies funktioniert so: Mitarbeitende im Abpackbetrieb werden mit dem Abschiessen des GS1 DataMatrix als Teil eines Qualitätssiegels automatisch zu Arbeitsanweisungen geführt, die zum spezifischen Auftrag gehören. Denn es gilt beispielsweise sicherzustellen, dass die unterschiedlichen Vertriebspartner der Masken aus dem Hause Sondia die richtige Ware bekommen, da auch für Fremdmarken abgepackt wird.

Die Verknüpfung des DataMatrix mit der Instruktions-Website wird über den GS1 Digital Link ausgelöst. Doch damit nicht genug. Entlang der Produktionslinie wurden Barcode-Lesegeräte eingerichtet, die zweidimensionale Codes automatisch auslesen können. Gelangt eine versandbereite Box an einen bestimmten Scanner am Ende der Linie, führt das Auslösen des GS1 Digital Link über einen Resolver zum Umschalten auf eine Kundenansicht.

Lean Production
Somit entfällt das umständliche Hin und Her von Dokumenten per Papier oder E-Mail zwischen den Akteuren in Verkauf (Sondia), Produktion und Versand (Altra), was die Kommunikation vereinfachen sollte. Der ingeniöse Esprit der Sondereggers verhalf dem Sondia-Projekt zu einer schlanken Produktion. Aus Erfahrung weiss man auch den Sinn bereits eingeführter Normen und Standards zu schätzen. Das Urteil zum Nutzen standardisierter Objektkennzeichnung fällt denn auch positiv aus: «Zusammen mit unseren Low-Cost-Innovationen half uns das GS1 System, die Probleme in den Bereichen Logistik und Qualitätskontrolle in den Griff zu bekommen. Bei vielen Fragen brauchte man das Rad nicht neu zu erfinden.»

Manuel Fischer

 

Nach oben