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Eine Branche im Wettlauf mit sich selbst

Robert Vogel Präsident GS1 Schweiz Die digitale Technologie krempelt die Logistikbranche und ihre Wertschöpfungsketten um. Und das rasend schnell. Im Interview spricht Robert Vogel, Präsident des Fachverbands GS1 Schweiz, mit «Fokus Supply Chain Management» über die Sprache des internationalen Business, digitale Datenerfassung und über die Gründe, warum wir vor einer zweiten Renaissance stehen.

Robert Vogel, welches sind die derzeit grössten Herausforderungen für Unternehmen in der Logistikbranche?
Die Veränderungen in den Märkten gehen sehr schnell vonstatten – viel schneller als dies früher der Fall war. Dies verlangt von den Unternehmen eine maximale Flexibilität und Agilität. In der Supply Chain kommt es zu immer kleineren Unterteilungen, sprich Aufträge werden kurzfristiger und die Bestellmengen flexibler.

Wie können Firmen diesen Herausforderungen begegnen?
Die Digitalisierung ist ein Muss. Der technische Aspekt an sich stellt dabei eigentlich eine relativ simple Angelegenheit dar, denn grundsätzlich treiben wir die Digitalisierung der Supply Chain, also das technische Verbinden der einzelnen Akteure in- und ausserhalb der Kette, schon seit Jahrzehnten voran. Neu daran ist wieder die Geschwindigkeit, mit der die Technologie voranschreitet. Die Software wird immer kompatibler, was die Effizienz innerhalb der Supply Chain massiv erhöht. Durch diese Entwicklung sind Unternehmen in der Lage, ihre Netzwerke deutlich auszudehnen. Wichtig ist heute insbesondere die Datenqualität, sie verändert die Branche nachhaltig. Ohne saubere Stammdaten ist Digitalisierung schlicht nicht möglich.

Inwiefern?
Die Komplexität der Daten hat zugenommen, ebenso wie die Möglichkeiten der Verarbeitung. Das eröffnet uns nie zuvor dagewesene Möglichkeiten. Früher enthielt beispielswiese ein Strichcode ausschliesslich Logistikdaten. Heute sind darin auch Produktdaten enthalten, was eine völlig neue Art der Transparenz in der Logistikkette ermöglicht. Die Radiofrequenzidentifikations- Technologie (RFID) wiederum eröffnet ihrerseits neue Potenziale und ist die Voraussetzung des Internets der Dinge.

Was «kann» RFID denn konkret?
Ein Beispiel aus der Praxis: Stellen Sie sich ein Palet voller Tabletcomputer vor. Dank den RFID-Chips an den Verpackungen und den darin enthaltenen Daten wissen wir nicht nur, woher das Palet kommt und wohin es soll, sondern auch, welche Produkte darauf lagern und welche Eigenschaften diese aufweisen. Zum Beispiel deren Gewicht. Wenn jetzt irgendjemand innerhalb des Logistikprozesses auf die schlechte Idee käme, diese Waren zu stehlen und durch leere Verpackungen zu ersetzen, würde dies spätestens beim nächsten Scan des Palets auffallen.

Wie stellen Sie als Fachverband sicher, dass Ihre Mitglieder von den neuen technischen Möglichkeiten profitieren?
Entscheidend ist die Praxisnähe von GS1 Schweiz: Wir sind als Fachverband direkt am Puls der Branchen und pflegen einen engen Umgang mit den Unternehmen. Namentlich sind dies Firmen aus der Konsumgüterindustrie, dem Gesundheitswesen, der technischen Industrie sowie den Bereichen Logistik und Transport. Es zählen rund 5300 Unternehmen zu unseren Mitgliedern. Zudem sind wir Teil des weltweit tätigen GS1 Global Networks. Das ermöglicht es uns, eine distanzierte Perspektive auf die Geschehnisse in den einzelnen Branchen einzunehmen – und zwar über Landesgrenzen hinweg. Dadurch wiederum können wir Veränderungen und Trends antizipieren, was unseren Mitgliedern zugute kommt.

Welche konkreten Massnahmen ergreift GS1 Schweiz denn?
Unser Vorgehen, beziehungsweise unsere Mission, gründet auf fünf Eckpfeilern. An erster Stelle steht das Verbinden. Wir liefern Plattformen für den Dialog der Marktteilnehmer und fördern so den Wissens- und Erfahrungsaustausch. Zudem nutzen wir diese Plattformen, um von uns erarbeitetes Know-how verfügbar zu machen. Das ist das zweite Element. An dritter Stelle steht dann das Standardisieren: Wir erarbeiten Standard-Tools und setzen uns für deren optimale Umsetzung in der Praxis ein. Wir fassen dies mit dem Term «Global Language of Business» zusammen, wir schaffen also die globale Businesssprache. Diese umfasst zum Beispiel Barcodes, die jedem Produkt weltweit eine eindeutige Nummer zur Verfügung stellen. Ein anderes Element ist EPCIS (Electronic Product Code Information Services), ein System, welches die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Waren, Informationen und Geldflüssen ermöglicht. Und die beiden letzten Elemente unserer Mission sind «Bildung» und «Beratung».

Welche Ziele verfolgt GS1 im Bildungsbereich?
Wir sind hier in verschiedenen Bereichen tätig. Zum Beispiel obliegt uns die Prüfungsabnahme für die eidgenössisch diplomierten Logistiker. Gleichzeitig setzen wir uns aber auch stark für die Berufsbildung und die Weiterbildung im Logistikbereich ein. Unser Ziel lautet, Praxis und Theorie so nahe wie möglich zusammenzubringen und so den Wissenstransfer zu fördern. Auch wurde der Lehrgang zum Category Manager neu konzipiert. Die Ausbildung wurde um die Anforderungen des Omni- Channel Retailing erweitert und stellt einen einheitlichen Category-Management Prozess auch für die digitalen Vertriebswege zur Verfügung.

In vielen Branchen wird ein Fachkräftemangel beklagt. Hat die Logistik auch ein Problem damit, Stellen angemessen zu besetzen?
In Zahlen ist das schwierig auszudrücken, allerdings ist der Fachkräftemangel schon immer ein Thema im Bereich der Logistik. Doch liegt für mich das Problem weniger in der Anzahl von Fachpersonen sondern vielmehr in der degressiven Abnahme der Kompetenzen vieler Angestellter. Da müssen wir ansetzen und zwar frühzeitig. Und mit ihrem Fokus auf Aus- und Weiterbildung macht GS1 Schweiz genau das. Es muss uns gelingen, nicht einfach Fachkräfte zu generieren, sondern die Jungen von heute zu denkfähigen, kompetenten und verantwortungsvollen Individuen zu erziehen. Dann können wir die Potenziale dieser «zweiten Renaissance» auch wirklich nutzen.

Was meinen Sie damit?
Der Philosoph Odo Marquart sagte einmal: Zukunft braucht Herkunft. In diesem Sinne lohnt es sich, aktuelle Geschehnisse mit dem bereits Geschehenen zu vergleichen. Wenn man dies tut stellt man fest, dass wir uns in einer zweiten Renaissance befinden. Damals wurden durch innovative Konzepte und Erkenntnisse neue Potenziale geschaffen, deren Tragweite man damals noch gar nicht absehen konnte. Ähnlich geht es uns heute. Durch unsere sich stetig weiterentwickelnde Technologie stehen wir am Anfang von Chancen, die wir noch gar nicht vollständig skizzieren können. Darum ist es auch so wichtig, dass wir in Zukunft auf junge, dynamische Menschen zählen können.

Text Matthias Mehl

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