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Eine Branche im Corona-Schlagloch

Schweizer Logistikunternehmen sind gut organisiert durch die Corona-Krise gegangen und haben erhebliche Rückgänge der Transportvolumen erlebt. Für die Zeit danach stellt sich die Frage der Lieferkettensicherheit in einem ganz neuen Licht.

Grosse Schweizer Logistik- und Transportunternehmen haben sich rasch und professionell auf die neuen Gegebenheiten der Corona-Krise eingestellt und angemessene Reaktionskonzepte eingesetzt. Schon im Februar registrierte man bei der Emil Egger AG die ersten Anzeichen der kommenden Ereignisse. Im März folgte dann eine kurze, von starker Unsicherheit geprägte Phase, in der man sich täglich an die neuen Bedingungen anpasste. Für das Krisenmanagement setzte das Unternehmen auf tägliche Telefonkonferenzen der Entscheidungsträger. Im intensiven Austausch wurden angemessene Massnahmen festgelegt, bevor schliesslich der Bundesrat den schweizweiten Lockdown beschloss. Das berichtete Markus Egger, der das Familienunternehmen in dritter Generation führt, in einem GS1 Onlinetalk.

In der Folgezeit wurden die Massnahmen des BAG umgesetzt und wo möglich Homeoffice eingeführt. In den Lagern des Unternehmens wurden bestimmte Sektoren definiert und Mitarbeitende in Arbeitsgruppen zusammengefasst, um eine Durchmischung zu verhindern. Glücklicherweise kam es zu keinen Infektionen in der Belegschaft des Unternehmens. Eine Schliessung von Arbeitsstätten durch kantonale Inspekteure haben man auf jeden Fall verhindern wollen, meinte Egger.

Komplexe Massnahmenpakete ausgelöst
Recht ähnlich ging man bei Galliker Transport & Logistics mit den neuen Herausforderungen um. Wie Rolf Galliker, Chief Operating Officer und Verwaltungsratspräsident der Firma, auf Anfrage mitteilte, wurde eine Task Force ins Leben gerufen. Diese beurteilte die jeweilige Situation und beschloss, den rechtlichen Vorgaben folgend, die notwendigen Massnahmen. Dazu gehörten die Ausarbeitung von Schutzkonzepten und die Installation von Schutzvorrichtungen wie Desinfektionsmittelständern, Hinweistafeln, Checkpoints oder die Montage von Plexiglasscheiben. Die Zutrittsberechtigungen wurden verschärft und es wurde ein Tool für die Durchführung von Videokonferenzen installiert.

Das Logistikunternehmen Kühne + Nagel wiederum profitierte von der frühen Aktivierung bestehender Business Continuity Programme (BCP) in China. Auf Basis dieser Erfahrungen passten die Niederlassungen weltweit ihre jeweiligen BCPs an. Alle Länder richteten nationale Reaktionsteams ein. Wo es von diesen als angemessen erachtet oder seitens der Regierung verordnet wurde, kam es zu diversen Massnahmen. Darunter sind laut Angaben von Kühne + Nagel beispielsweise Temperaturkontrollen bei Mitarbeitenden sowie Besucherinnen und Besuchern, Regelungen für flexible Arbeitsleistungen, Homeoffice oder die Desinfektion von Büros und Standorten und die Bereitstellung wesentlicher Hygieneprodukte am Arbeitsplatz. Standardprozesse wurden auch für den Fall definiert, dass Mitarbeitende infiziert oder infizierten Personen ausgesetzt sind.

Den Lieferanten teilt man Hygienerichtlinien mit, um das Bewusstsein für die Herausforderungen durch das Coronavirus innerhalb der Lieferkette zu verbessern. Fahrer, die zur Abholung oder Lieferung eintreffen, erhalten Informationen zu hygienischen Best Practices und geben, wo verlangt oder zulässig, eine Selbstdeklaration ab. Es bestehen Reisebeschränkungen, und externe und interne Meetings werden entweder als Videokonferenzen oder nur in Anwesenheit einer kleinen Anzahl von Teilnehmenden durchgeführt, welche Social-Distancing-Regeln einhalten. Zudem werden Versender gebeten, sich der Abholbereitschaft der Sendungsempfänger noch vor der Einlieferung von Sendungen zu versichern. Gleiches gilt für abzuholende Bestellungen.

Massive Einbrüche bei den Transportvolumen
Die einschneidenden Massnahmen hinterliessen tiefe Spuren in der Leistungsbilanz der Firmen. Die Emil Egger AG verlor im Tessin rund die Hälte der Sendungen und des Umsatzvolumens. In der Romandie war primär der Standort in Avenches betroffen, wo das Volumen um 40 Prozent zurückging. Ansonsten schätzte CEO Markus Egger den Rückgang auf rund 20 Prozent ein. Auch Rolf Galliker berichtet von einem Einbruch des Auftragsvolumens und dass die Geschäftsreisetätigkeit ebenso wie Kundenbesuche eingeschränkt werden mussten. Als Reaktion wurde Personal aus Abteilungen mit grossem Arbeitseinbruch (Car Logistics) zu Abteilungen mit Arbeitszunahme (Food und Healthcare Logistics) verlagert. Ähnlich ging Egger vor: Freie Transportkapazitäten wurden anderen Branchenkollegen zur Verfügung gestellt, damit diese ihre Aufträge erledigen konnten. Die vom Bundesrat beschlossenen wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen nahm das Unternehmen nicht in Anspruch.

Mit Blick auf die Zukunft erwartet Rolf Galliker, dass es bei Car Logistics und im internationalen Warenverkehr noch Monate bis Jahre dauern wird, bis sich das Auftragsvolumen wieder erholt hat. Ferner dürfte das Onlineshopping nach der Corona-Krise einen höheren Stellenwert haben als vorher. Aus den Ereignissen ergeben sich für Galliker somit Chancen durch einen starken Digitalisierungsschub in den Unternehmen selbst und das Potenzial für neue Aufträge im Lager- und Kommissionierungsbereich wegen des verstärkten Onlineshoppings. Egger wiederum beobachtet – allerdings nicht erst seit Corona – eine höhere Wertschätzung für die Leistungen der Logistiker. Das seien schon längst nicht mehr die Unternehmen, die lediglich mit ihren Lastwagen die Autobahnen verstopfen würden, meinte er.

Luftfracht könnte Anteile an den Bahnverkehr verlieren
Deutliche Einbussen gab es für den Frachtverkehr auch in der Luftfahrt. Es gab zwar seit SARS konkrete Pandemiepläne bei den Unternehmen, doch eine Situation wie mit Corona habe sich laut Peter Somaglia, Präsident der IG Air Cargo Switzerland, niemand vorgestellt. Das sagte er in einem Online- talk von GS1. Laut seinen Angaben sind die Frachtvolumen in Zürich und Genf massiv eingebrochen: in Zürich um etwa die Hälfte, in Genf sogar um deutlich mehr. Überraschenderweise hat der Flughafen Basel sein Frachtvolumen jedoch halten können. Das begründete Gian Carlo Alessi, Frachtleiter am EuroAirport Basel-Mulhouse, mit der Tatsache, dass Frachtflüge ab Basel vor allem innereuropäisch erfolgten und häufig pharmazeutische Güter transportiert würden.

Wie Somaglia weiter sagte, wurden ansehnliche Volumen früherer Luftfracht nun auf alternative Verkehrswege, insbesondere die Eisenbahn, umgeleitet. Die neuen Bahnverbindungen mit China seien konkurrenzfähiger geworden. Es werde sich zeigen, ob nach der Corona-Krise überhaupt eine Rückverlagerung stattfinden werde. Schliesslich hätten sich neue Abläufe eingespielt; das könne so bleiben, wenn Fristen und Kosten passend seien. Gleiches erwartet er mit Blick auf die Passagieraufkommen. Möglicherweise könnten die gemachten Erfahrungen dazu führen, dass die Menschen künftig weniger Reisen machen. Alessi äusserte ähnlich verhaltene Erwartungen. Im laufenden Jahr dürfte der Ferienverkehr sicherlich gering sein, auch wenn Familienbesuche wieder zu mehr Flugreisen führten. Man gewinne vielem, was durch die Corona-Krise erzwungen wurde, auch positive Seiten ab, meinte er mit Blick auf Homeoffice oder neue technische Lösungen.

Kritik an schlanken Supply Chains
Einen Ausblick in die Zukunft nach Corona machte derweil Professor Erik Hofmann vom Institut für Supply Chain Management der Universität St. Gallen. Für ihn werden künftig die Unternehmen deutlich im Vorteil sein, die jetzt in ihre Supply Chain investieren, um in der nächsten Krise nicht blind operieren zu müssen. Rückblickend kritisiert der Wissenschaftler in seiner aktuell verfassten Analyse, dass die Beschaffungsarchitekturen hauptsächlich vom Streben nach Einkaufseinsparungen geprägt wurden. Das führte zu überschlanken Supply Chains. Die Abläufe wurden auf Effizienz und Just-in-Time ohne Zwischenlager und Puffer ausgelegt, Lkws waren sogenannte «Warehouses on wheels». Die weltweite Arbeitsteilung machte zwar viele Produkte günstiger, allerdings verloren die Versorgungsketten an Robustheit und Widerstandsfähigkeit.

Zukünftig sollten Einkauf, Logistik und Finanzabteilung gemeinsam eine resiliente Supply Chain für das Unternehmen gestalten und deren Planung vorausschauend und antizipativ führen. Laut Hofmann müssen Unternehmen künftig ihr gesamtes Lieferantennetzwerk kennen – inklusive der Lieferanten der Lieferanten. Bei der Bewertung von Lieferanten sollte neben dem Preis und der Warenqualität auch die Krisenvorsorge berücksichtigt werden. Zwingend erforderlich sei das Vorliegen eines Business-Continuity-Plans, ebenso wie die vertragliche Fixierung von voraussichtlichen Wiederherstellungszeiten und -methoden während Krisenereignissen.

Alexander Saheb

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