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Mit Kopf und Herz

Sandra Tinner-DerungsAls junge Frau in verantwortungsvoller Position ist Sandra Tinner-Derungs in der Schweizer Logistikwelt eine Ausnahme. Ihre Aufgabe beim Basler Agrokonzern Syngenta meistert sie nicht zuletzt dank typisch weiblichen Eigenschaften.

(uh) «Nein, einen durchschnittlichen Arbeitstag gibt es bei mir nicht, und das ist gut so», sagt Sandra Tinner-Derungs zwischen Salat und Hauptgang. Dass sie als Rahmen für das Gespräch mit der Journalistin ein ungezwungenes Mittagessen jenseits der vertrauten Umgebung ihres Büros vorgeschlagen hat, passt zum lebhaften Wesen der jungen Frau.

Es sagt aber auch einiges über ihren Alltag: Er fordert ihr viel ab, fachlich wie auch zeitlich. Dass sie das Interview in der Mittagspause unterbringen kann, kommt ihr nur gelegen. Sandra Tinner-Derungs ist Demand Manager beim Agribusiness-Unternehmen Syngenta in Basel. Sie ist zuständig für die Region Afrika/Mittlerer Osten, zu der mehr als 60 Länder zählen. Ihre konkrete Aufgabe besteht in der Aufrechterhaltung und Nachprüfung der Bedarfsplanung der ganzen Region. Aufgrund der teilweise langen Lieferfristen für Aktivsubstanzen muss diese Planung stets 27 Monate im Voraus erfolgen. Darüber hinaus ist die Kommunikation zwischen dem Mutterhaus und den Niederlassungen und Vertretungen sicherzustellen, die Einhaltung von Vorgaben des Supply Chain Managements zu kontrollieren, regionale Schulungen wollen initiiert und die Partner in Fragen der Bestandesoptimierung unterstützt sein.

Von anderen Kulturen bereichert
Sandra Tinner-Derungs ist fasziniert von ihrer Tätigkeit. Nicht nur, dass diese den Ehrgeiz anstachelt, der sich hinter ihrem zierlichen Äussern verbirgt, vielmehr betrachtet sie sie auch als persönliche Bereicherung. Die Zusammenarbeit mit den Menschen aus den verschiedenen Ländern und Kulturen bereite ihr immer wieder Freude, selbst wenn sie eine grosse Herausforderung sei. «Aufgrund der ständig wechselnden politischen Gegebenheiten muss ich stets flexibel reagieren können und bereit sein, mich immer wieder neu zu orientieren. Hinzu kommt, dass Dinge, die für uns selbstverständlich sind, wie etwa eine funktionierende Telefonverbindung, in manchen Ländern nicht vorausgesetzt werden dürfen». – Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Partnern aus fremden Kulturkreisen, in denen die Frau eine ganz andere Stellung hat? «Kein Problem, die Syngenta-Mitarbeiter respektieren unsere Kultur und damit auch mich als Frau, so wie ich ihre Kultur respektiere.» Wichtig sei der persönliche Kontakt, die effektive Nähe zu diesen Mitarbeitern; wo hierzulande ein Anruf oder ein E-Mail reichen, sei schon einmal ein Treffen notwendig.

Es ist nicht nur ihre gegenwärtige Arbeit, die Sandra Tinner-Derungs fasziniert; es ist die Logistik im Allgemeinen. Vor 14 Jahren ist sie im Anschluss an ihre kaufmännische Grundausbildung als Logistikmanager bei Novartis in dieses Gebiet eingestiegen. Während der darauf folgenden dreijährigen Anstellung als Leiterin Distribution beim Herzschrittmacher-Hersteller Biotronik bildete sie sich zur Logistikfachfrau SGL weiter. Im Jahr 2003 kehrte sie schliesslich wieder ins Agribusiness zurück und übernahm bei Syngenta als Leiterin der Supply Chain Schweiz die Verantwortung für den Einkauf, die Lagerhaltung und die Distribution.

Im Jahr 2008 wechselte sie an den Syngenta-Hauptsitz nach Basel und damit vom nationalen in den internationalen Bereich. «Dieser Schritt war sehr hilfreich, weil er viel zu meinem Verständnis für die globalen Prozesse beigetragen hat.» Genau das sei es, was ihr so gefalle an der Logistik: Sie zwinge einen zu einem ganzheitlichen Denken, sie wolle, dass man die Zusammenhänge der ganzen Versorgungskette verstehe; wenn man irgendwo an einem Rädchen drehe, könne dies Auswirkungen auf manch ein Glied der Kette haben. «Der Einblick in all diese verschiedenen Bereiche, der damit verbundene Abwechslungsreichtum und die Vielseitigkeit fordern mich heraus und machen mir Freude.»

Allein unter Männern
Bald darf sich Sandra Tinner-Derungs eidgenössisch diplomierte Logistikleiterin nennen, denn sie hat vor Kurzem ihre Ausbildung bei GS1 Schweiz abgeschlossen. Sie habe hart gearbeitet in diesem Jahr, weil sie Berufsalltag und Schule unter einen Hut bringen musste. Das Gelernte werde ihr jedoch helfen, die Versorgungskette vom Unterlieferanten bis zum Kunden zu optimieren, ist sie überzeugt. Die Ausbildung sei dank den Dozenten, die alle auch in der Logistik tätig seien, sehr breit und praxisorientiert. «Alles andere wäre nicht haltbar gewesen, denn auch die Teilnehmer waren alle gestandene Logistiker.»

Dass Sandra Tinner-Derungs von ihren Klassenkameraden als Logistikern spricht, ist weder Zufall noch Unterlassung. Sie war schlicht die einzige Frau unter den sieben Teilnehmern dieses Lehrgangs. Und das ist keine Ausnahme. Das Bildungssekretariat von GS1 Schweiz bestätigt, dass die durchschnittliche Frauenquote in den Lehrgängen bei 10 Prozent liege. «Eigentlich erstaunlich», sagt Sandra Tinner-Derungs, «denn ein Logistiker muss vor allem organisieren können, und dies ist doch eine Stärke von uns Frauen.» Bei GS1 Schweiz führt man den niedrigen Frauenanteil hauptsächlich auf die Tatsache zurück, dass viele Lehrgangsabsolventen ursprünglich aus dem Bereich Warenbewirtschaftung und Lagerhaltung kommen, und dies sei nach wie vor meist Männersache. «Mich hat es nicht gestört, diese Männerbastion gesprengt zu haben, im Gegenteil, ich fühlte mich sehr gut aufgehoben.»

Auch im Alltag spürt sie als Frau keine Nachteile, vielmehr kommt ihr im Umgang mit den Mitarbeitern aus anderen Kulturen ihre Sozialkompetenz zugute – wiederum eine Fähigkeit, die man vor allem Frauen zuschreibt. «Ich arbeite auch hier am Hauptsitz gerne mit meinen männlichen Kollegen zusammen. Wir unterstützen uns gegenseitig und respektieren, dass wir in gewissen Situationen anders reagieren. Gerade das unterschiedliche Denken, Handeln und Fühlen kann für ein Unternehmen eine Bereicherung sein.» Syngenta liefert für diese Grundhaltung einen günstigen Nährboden, denn sie hat das Prinzip der Gleichbehandlung in ihrem Verhaltenskodex fest verankert. Es werden keinerlei Formen der Diskriminierung toleriert, weder bei den Einstellungsbedingungen noch beim Gehalt oder der Karriereförderung.

Auf die noch hastig hingeworfene letzte Frage – längst sollte Sandra Tinner-Derungs unterwegs zum nächsten Meeting sein –, ob sich der Beruf der Logistikerin denn mit jenem der Familienfrau vereinbaren lasse, antwortet sie mit einem Augenzwinkern: «Diese Frage würden Sie einem Mann wohl nicht stellen, oder?» Für sie selber – obwohl verheiratet – stellt sie sich ebenfalls nicht, denn das ihr eigene Pflichtbewusstsein verbietet ihr, sich zwischen zwei Aufgaben aufzuteilen. Wenn sie Dinge tut, dann tut sie sie mit Leib und Seele. Dank dieser Eigenschaft hat sie es schon weit gebracht – trotz ihrer Jugend und trotz der Tatsache, dass sie einen «Männerberuf» ausübt.

Ursula Homberger

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