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Die Schweiz kann nicht mehr alles alleine machen

Michael Beer leitet die Abteilung Lebensmittel und Ernährung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Auf seiner Agenda stehen derzeit das neue Lebensmittelgesetz und die Revision des dazugehörigen Verordnungsrechts.Der Schweizer Lebensmittelmarkt reflektiert die zunehmende Globalisierung. Lebensmittel und Vorprodukte haben immer mehr verschiedene Herkunftsländer. Das ist eine der grossen Herausforderungen für Michael Beer, Leiter der Abteilung Lebensmittel und Ernährung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Vor diesem Hintergrund setzt er für die Warenkontrolle stark auf die Kooperation mit der EU. Ausserdem sieht er gute Perspektiven für eine elektronische Informationsübermittlung bei Inhalts- stoffen von Lebensmitteln. Allerdings müssten sich hier erst alle Hersteller auf ein einheitliches Vorgehen verständigen.

GS1 network: Welche Trends im Lebensmittelmarkt finden Sie aus Ihrer Warte heraus besonders interessant?
Michael Beer: Da gibt es sicher gleich mehrere zu nennen, die jedoch alle Berührungspunkte miteinander haben. Am stärksten beeinflusst der Trend hin zu einem globalen Lebensmittelmarkt unsere Tätigkeit. Mittlerweile kommen grosse Mengen fertiger Lebensmittel – aber auch immer mehr Zutaten als Vorprodukte – aus vielen verschiedenen Ländern. Das ist eine Entwicklung, die für uns unter dem Aspekt der Lebensmittelsicherheit neue Herausforderungen schafft. Ich erwarte auch, dass diese Entwicklung hin zu einem globalisierten Markt noch zunimmt.
Als neuer Aspekt rückt – teilweise auch auf Basis dieser Marktinternationalisierung – der Lebensmittelbetrug in den Vordergrund. Das liegt daran, dass teils hohe Gewinne locken. Die Kontrollketten werden dann bewusst unterlaufen. Schliesslich muss ich feststellen, dass auf dem Lebensmittelmarkt ein konstant hoher Preisdruck herrscht. Lebensmittel dürfen nichts mehr kosten. Darunter leiden am Ende Qualität und Sicherheit.

Wie reagieren Sie auf diese drei Trends?
Mit Blick auf den globalen Markt ist für uns klar, dass die Schweiz nicht mehr alles alleine machen kann. Wir brauchen Allianzen und müssen uns bei der Lebensmittelsicherheit dem System der EU annähern, bei dem die gegenseitige Unterstützung sehr gut funktioniert. Ankommende Waren werden in der EU an den Aussengrenzen kontrolliert, egal in welches Bestimmungsland sie dann gehen. Für die Schweiz könnte das heissen, dass die Importwaren in Rotterdam geprüft werden und nicht mehr in Basel und wir im Gegenzug an den Flughäfen Zürich und Genf auch Lebensmittel kontrollieren, welche zum Beispiel für Deutschland bestimmt sind. Die Realisierung dieser Idee ist aber schwierig, weil wir dazu ein Abkommen im Bereich der Lebensmittelsicherheit mit der EU bräuchten.
Der Lebensmittelmarkt ist in Bewegung: Globalisierung, Betrug und Preisdruck nehmen zu.Vor diesem Hintergrund wird einmal mehr die Verantwortung der Produktimporteure deutlich. Häufig inspizieren sie Importwaren respektive den Produktionsprozess schon im Ursprungsland, bevor die Waren zur Weiterverarbeitung in die Schweiz kommen. Auch hier ist die Sicherheit der Produkte letztlich wieder eine Philosophie- und Preisfrage. Je besser die Produktion im Ausland ist und je besser die gleiche Philosophie der Lebensmittelsicherheit wie in der Schweiz umgesetzt wird, umso grösser ist die Chance, dass die Produkte auch sicher sind.

Haben Sie denn bei Ihren Importkontrollen eine Zunahme von Verstössen verzeichnet?
Wir stellen ganz allgemein viele Verstösse fest, natürlich auch bei Importprodukten. Es kommt immer mehr Ware in die Schweiz, die im Ursprungsland nicht den gleichen Lebensmittelstandards unterliegt wie in der Schweiz oder dort anders kontrolliert wird. Rund 80 000 Proben nehmen die kantonalen Labors und der Zoll jährlich.
Bei rund 15 Prozent davon gibt es Beanstandungen. Diese Quote ist schon seit Jahren so hoch. Das liegt daran, dass wir natürlich dort suchen, wo wir nach unserer Risikoeinschätzung Probleme vermuten. Wenn wir also Beanstandungen haben, kontrollieren wir am richtigen Ort.

Gibt das mehr Sicherheit vor Betrugsfällen im Lebensmittelbereich?
Betrugsfälle sind im Lebensmittelbereich nichts Neues. Zuletzt war es Pferdefleisch in der Lasagne, vor 100 Jahren war es Wasser in der Milch. Wenn jemand betrügen will, kann man das nicht verhindern. Die entscheidende Frage ist, wie rasch man solche Vergehen aufdecken kann. Leider tut sich hier nach unserer Einschätzung ein Gebiet auf, welches mittelfristig höherer Aufmerksamkeit bedarf.

Mit welchen regulatorischen Aktivitäten befassen Sie sich derzeit?
Im Vordergrund steht ganz klar das neue Lebensmittelgesetz. Es ist zwar schon verabschiedet, aber noch nicht in Kraft. Derzeit revidieren wir das zugehörige Verordnungsrecht. Das Ziel ist eine weitere Harmonisierung mit dem EU-Recht, denn dort gibt es gute und fortschrittliche Regelungen. Die Gesetzesrevision bringt für die Schweiz einen Paradigmenwechsel mit sich. Bisher war alles verboten, ausser das Lebensmittel war im Verordnungsrecht umschrieben oder es lag eine Bewilligung vor. Neu wird alles erlaubt sein, was sicher ist, sofern kein Verbot vorliegt. Es liegt in der Verantwortung der Lebensmittelhersteller, für die Sicherheit ihrer Produkte zu sorgen. Der kantonale Vollzug überprüft diese Selbstkontrolle mit risikobasierten Stichprobenkontrollen. Das neue System vereinfacht den Marktzugang deutlich.

Für wie sinnvoll halten Sie den Einsatz elektronischer Hilfsmittel wie trustbox oder von GS1 Produkten zum Ausweis von Nährwerten und Allergenen?
Für die Zukunft birgt solche Technologie sicher interessante Möglichkeiten. Die Konsumenten erwarten immer mehr Informationen. Gleichzeitig kann man einfach aus Gründen einer zumutbaren Schriftgrösse nicht immer mehr auf eine Packung schreiben. Ich kann mir gut vorstellen dass sich in Diskussionen mit der Branche und den Konsumentenschutzorganisationen herauskristallisiert, welche Daten man zukünftig auf die Packung druckt und welche man über neue Technologien verfügbar macht. Dann kann der Konsument auch für ihn massgeschneiderte Informationen abrufen. Wenn ihn beispielsweise nur zwei bestimmte Allergene interessieren, geht das über moderne Identifikations- und Kommunikationsmittel sicher besser als wie bisher.

Wie wichtig ist das einheitliche Agieren aller Produzenten?
All dies funktioniert nur, wenn jedes Lebensmittel auf dem Markt diese Informationen auch über neue Transmissionswege zur Verfügung stellt. Es ist ja auch heute so, dass alle Hersteller die vorgeschriebenen Daten auf die Packung drucken. Bevor die Vorschriften entsprechend angepasst werden können, muss eine industrieweite Einheitlichkeit in dieser Sache erzielt worden sein. Wir sind auf jeden Fall sehr an solchen Lösungen interessiert und unterstützen ihre Entwicklung auch aktiv.
Wir sind aber noch nicht am Ziel. Es stellt sich zudem die Frage, wie man an Daten ausländischer Produkte gelangt. Eine einheitliche Lösung für Europa wäre gut, noch besser wäre jedoch ein weltweiter Standard.

Auf Basis solcher Daten könnten Sie auch den Erfolg der Salzstrategie des Bundesamtes besser überprüfen; der Salzkonsum der Bevölkerung soll ja reduziert werden.
Wenn wir vollständige Informationen über die jeweiligen Salzgehalte in Lebensmitteln hätten, wäre das hervorragend. Eine aktuelle Datenbank mit den Inhaltsstoffen aller schweizweit vermarkteten Lebensmittel wäre ein guter Fundus. Allerdings würden sich daraus keine Rückschlüsse auf den Konsum einzelner Personen ziehen lassen, weil sie ja nur auf den Verkaufsdaten von Unternehmen basiert. Dazu braucht es «State of the art»-Ernährungserhebungen, wie das von uns durchgeführte Projekt menuCH. In diesem Kontext sehen wir Big Data als ein wichtiges Zukunftsthema für uns. Natürlich gilt es dabei den Datenschutz immer im Auge zu haben.

Die Fragen stellte Alexander Saheb.

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