gs1-neton-header-09.jpg

Alles aus einer Hand

Das Universitätsspital Zürich hat mit dem neuen Logistik- und Servicezentrum in Schlieren Platz geschaffen für das medizinische Kerngeschäft im Stadtzentrum. Zeitgemässe Logistikprozesse und Standards sparen Zeit und Geld. Dafür gab’s den Swiss Logistics Award 2018. Wir haben uns mit dem Projektleiter Christian Schläpfer und mit Alexander Soland, Bereichsleiter Logistik und Services, über die Herausforderungen unterhalten.

GS1 network: Gratulation zum Swiss Logistics Award. Wie war die Resonanz auf die Auszeichnung?
Alexander Soland: Unser ganzes Team und die weiteren Projektbeteiligten haben sich natürlich riesig über die Auszeichnung gefreut. Klar gab es zahlreiche Gratulationen. Die Direktionen Immobilien und Informatik haben sich gefreut, denn beide waren direkt involviert und sind sich auch der Tragweite des Projekts bewusst. Sogar die Finanzbuchhaltung hat uns gratuliert, denn alles, was ERP-relevant ist, ist eben nicht ganz trivial.

Aber ehrlich gesagt waren wir auch etwas enttäuscht. Wir hätten mehr interne Anerkennung erwartet. Es ist leider so, dass die Logistik, wie viele weitere Supportbereiche, im Spital wenig Wertschätzung geniesst. Doch damit müssen wir leben. Im Vergleich zu Industrie- und Handelsunternehmen hat die Logistik im Spital einen geringeren Stellenwert, obwohl wir ein zentraler «Enabler» praktisch aller medizinischer Leistungserbringung sind. Erst seit wenigen Jahren spricht man im Spital konkret von Abläufen, von Prozessen und damit verbunden eben auch von Logistik.

Wo steht der «Swiss Logistics Award 2018»? Im Logistikund Servicezentrum oder in der Chefetage?
Christian Schläpfer: Der Pokal steht natürlich im Logistik- und Servicezentrum in Schlieren. Nach der Preisverleihung haben wir eine kleine Feier organisiert und mit den Mitarbeitenden auf den Erfolg angestossen. Schliesslich ist das eine Teamarbeit. So ein Projekt können Sie nur mit einem motivierten und eingespielten Team umsetzen.

Die Spitallogistik ist eine Knacknuss. Nennen Sie doch einige Kennzahlen zum Universitätsspital Zürich.
Alexander Soland: Je grösser der Gesundheitsbetrieb, desto komplexer werden die logistischen Herausforderungen. Das Universitätsspital verfügt über 43 Kliniken und Institute. Es beschäftigt rund 6500 Personen. Über das ganze Areal verteilt, zählen wir mehr als 700 unterschiedliche Warenempfänger. Wir versorgen das Spital mit durchschnittlich 25 000 verschiedenen Artikeln sowie über 4000 verschiedenen Arzneimitteln.

Pro Tag werden zirka 12 Tonnen Material ausgestossen. Täglich müssen etwa 1000 stationäre und bis zu 3000 ambulante Patienten versorgt werden. Wir beliefern 32 Operationsspuren mit Abdecksets und den entsprechenden Instrumenten, die für den Eingriff notwendig sind. Die logistischen Prozesse spielen hier eine entscheidende Rolle für einen erfolgreichen Operationsverlauf.

Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit.
Christian Schläpfer: Das Spital ist ein komplexes technisches System aus zahlreichen Abläufen, Strukturen, Material- und Personenströmen. Hier sind unterschiedliche Bereiche, Stationen und Funktionsabteilungen involviert. Apotheke, Lager, Wäscherei, Küche, Verwaltung, Labor, Sterilisation, Reinigung und Entsorgung beeinflussen den Erfolg enorm. Neben den medizinischen Leistungen tragen effiziente Abläufe und die Koordination der logistischen Ströme entscheidend zur Qualität im Krankenhaus bei.

Alexander Soland: Die Logistik ist hier ein wichtiges Instrument für Effizienz- und Qualitätssteigerung sowie Kosteneinsparungen. Diese Tatsache rückt auch im Spital zunehmend in den Fokus. Unsere Hauptaufgabe sehen wir darin, die Verfügbarkeit aller im Spital vorhandenen Ressourcen wie Personal, Operationssäle, Betten, Medikamente und Instrumente sicherzustellen, um eine optimale Patientenversorgung zu ermöglichen. So tragen wir auch dazu bei, die Wirtschaftlichkeit des Universitätsspitals Zürich zu steigern.

Schliesslich sollen sich die Ärzteschaft und der Pflegedienst vollständig auf die Behandlung der Patienten konzentrieren. Die Logistik muss so organisiert sein, dass sie die Mitarbeitenden in ihrer täglichen Arbeit unterstützt und von nichtmedizinischen Tätigkeiten entlastet. Deshalb verwende ich einen Grossteil meines Engagements für die Organisations- und Mitarbeiterentwicklung. Ich sehe es als meine Aufgabe, den Führungs- und Fachkräften optimale Rahmenbedingungen zu verschaffen, damit sie ihre Wirkung erzielen können.

Welche Bedeutung hat das Logistik- und Servicezentrum im Gesamtkontext?
Alexander Soland: Damit das Universitätsspital für das Kerngeschäft in Zukunft Platz schaffen kann, müssen verschiedene Bereiche ausgelagert werden. Eine unserer Forschungseinrichtungen befindet sich bereits in Schlieren, und ab 2020 wird ein grosser Teil des ambulanten Geschäfts im Gebäudekomplex «The Circle» am Flughafen angesiedelt. Im Zuge der Neuausrichtung wurde auch ein externes Logistik- und Servicezentrum definiert. Auf Basis der Gesamtstrategie 2025 haben wir die «Roadmap Supply Chain Network» für das Universitätsspital Zürich erarbeitet. Sie veranschaulicht die strategischen Grundsätze, zeigt verschiedene Abhängigkeiten und deren Konsequenzen, aber auch neue Handlungsfelder auf.

Bei der Gestaltung der neuen Logistikprozesse ging es uns neben der Steigerung der eigenen Effizienz auch um die Qualität der Kooperation mit anderen Partnern. Darum ist die Durchgängigkeit der Waren- und Informationsflüsse für uns von grosser Bedeutung. Der Informations- und Datenaustausch muss nach einheitlichen Standards erfolgen. So kann nebst der Kostenreduktion auch die Rückverfolgung der Produkte im Sinne der Patientensicherheit gewährleistet werden.

Im Zuge der spitalinternen Strategie wurden auch die Logistikprozesse neu definiert. Auf welche Schwachstellen sind Sie bei der Analyse der Supply Chain gestossen?
Christian Schläpfer: Das Universitätsspital platzt aus allen Nähten und stösst an seine logistischen Leistungs- und Kapazitätsgrenzen. Die genutzten Areale und Gebäude basieren auf Bedarfswerten aus den Achtzigerjahren und entsprechen nicht mehr den heutigen und zukünftigen Anforderungen. Generell kann man sagen, dass die Logistik durch uneinheitliche Prozesse und aufwendige Administration geprägt war.

In unserem Bereich sind das die begrenzten Flächen für den Warenumschlag und die Warenlagerung, kombiniert mit einer hochfrequenten Anlieferung und einem ebenso hochfrequenten Abtransport mittels unterschiedlicher Fahrzeuge, die durch das verkehrsgeplagte Zürich fahren. Die Anlieferstellen waren regelmässig überlastet, hinzu kommen verschiedenartige Transportbehälter und Transportmittel.

Eine weitere Schwachstelle ist die fehlende Standardisierung der Prozesse sowie die fehlende Kennzeichnung von Artikeln und Lieferanten. Intransparente Verteilprozesse, ungenaue Bestandsdaten und nicht eindeutig lokalisierbarer Warenverbleib haben die Abläufe zusätzlich erschwert.

Was hat sich nun verbessert im Vergleich zu früher?
Christian Schläpfer: Das neue Logistik- und Servicezentrum in Schlieren wurde ganz nach dem Konzept der City- Logistik umgesetzt. Mit der Auslagerung haben wir den nötigen Platz für das medizinische Kerngeschäft und die geplante bauliche Gesamterneuerung im Stadtzentrum geschaffen. Gleichzeitig haben wir auch den innerstädtischen Verkehr in Zürich von zahlreichen Lkw-Fahrten entlastet. Wir sparen so zwischen 60 und 80 Fahrten ein. Die Anlieferungen konzentrieren sich nun auf das neue, verkehrsgünstig gelegene Zentrallager in Schlieren.

Dieses bietet auf einer Fläche von 4500 Quadratmetern Platz für zirka 1700 vom Spital benötigte Produkte. Über 20 000 weitere Artikel werden ohne Zwischenlagerung gebündelt und direkt an die verschiedenen Standorte ausgeliefert. Das Logistik- und Servicezentrum dient nicht primär als Lager, sondern ist vielmehr eine Drehscheibe für den Materialfluss in den und aus dem Spitalkomplex. Ein Logistikpartner übernimmt den Transport an das Universitätsspital.

Alexander Soland: Als zentrales Element haben wir am USZ Zentrum den «Leitstand Logistik» als Anlaufstelle für Kundenanfragen aufgebaut. Er dient der Planung und Steuerung aller logistischen Prozesse. Im Warenfluss sorgen normierte Gebinde für Effizienz bei Warentransport, Umschlag und Lagerung; hier kommen branchenübergreifende Standards und Best-Practice- Lösungen aus Industrie und Handel zur Anwendung. Mit dem Logistik- und Servicezentrum haben wir für die Schweiz, aber auch für Europa einen neuen und wegweisenden Standard in der Spitallogistik gesetzt.

Wenn Sie zurückblicken, welches waren die grössten Herausforderungen, die Sie auf dem Weg zum neuen Logistik- und Servicezentrum bewältigen mussten?
Alexander Soland: Neben viel Überzeugungsarbeit haben wir die Linienorganisation nachhaltig verstärkt und gestärkt, damit das Projekt mit einem hohen Eigenanteil konzipiert und implementiert werden konnte. Darauf sind wir besonders stolz, dass das Resultat mehrheitlich eine Eigenleistung des Projektteams und des Bereichs ist und nicht eine von externen Beratern. Diese haben wir punktuell für die Validierung unserer Konzepte und das Schliessen von Wissenslücken, wie beispielsweise bezüglich des automatisierten Kleinteilelagers, genutzt.

Christian Schläpfer: Wir dürfen nicht vergessen, dass die Neugestaltung der Supply-Chain-Prozesse einen Spitalbetrieb auf gar keinen Fall beeinträchtigen darf. Sie können das durchaus mit einer Operation am offenen Herzen vergleichen. Ein Versorgungsunterbruch wäre verheerend. Effizientes Projektmanagement und minutiöse Planung waren hier entscheidend.

Und wie sieht es mit der Akzeptanz bei den Mitarbeitenden aus?
Alexander Soland: Der Umfang und die Auswirkungen des Projekts machten allen Beteiligten klar, dass hier auch gleichzeitig ein Organisationsprojekt angepackt wurde. Für ein solches Projekt brauchen Sie motivierte und fachkompetente Mitarbeitende, die die Aufgaben engagiert umsetzen. Erfahrungsgemäss können und wollen nicht alle Mitarbeitenden einen solch grundlegenden Wandel mitgehen.

In welchen Bereichen setzen Sie GS1 Standards ein?
Christian Schläpfer: In der gesamten Spitallogistik setzen wir auf die bewährten GS1 Standards. Sämtliche Warenumschlagsstellen und Bereitstellungszonen, die für den Warenfluss wichtig sind, sind mit einer Global Location Number (GLN) gekennzeichnet. Unsere Rollcontainer, die wir in Zusammenarbeit mit dem Hersteller entwickelt haben, sind ebenfalls nach GS1 Norm mit einer Global Returnable Asset Identification (GRAI) gekennzeichnet, ebenso unsere Kleinladungsträger. Die Gebinde sind alle mit einer hybriden Etikette versehen, bestehend aus Barcode, Klarschrift und elektronischem Produktcode (RFID-Tag). So sind wir in der Lage, die Sendungen entlang der gesamten Logistikkette jederzeit zu lokalisieren.

Korrekte Stammdaten sind das A und O für funktionierende Prozesse. Wie sieht es mit der Datenverfügbarkeit im Supply Chain Management aus?
Alexander Soland: Die Stammdatenverfügbarkeit sieht bei uns gut aus. Durch die konsequente Nutzung der GS1 Standards haben wir eine erhöhte Visibilität und Kontrolle unserer Lagerbestände. Das volle Nutzenpotenzial kommt aber erst zum Tragen, wenn wir die GS1 Philosophie auch in den Einkauf überführen. Diesbezüglich haben wir eine Arbeitsgruppe mit entsprechendem Auftrag initiiert.

Wie gross ist das Interesse an einer gemeinsamen Nutzung des Logistikund Servicezentrums?
Christian Schläpfer: Es ist ganz klar unsere Absicht, dass wir mit dem neuen Logistik- und Servicezentrum nicht nur das Universitätsspital Zürich mit logistischen Leistungen bedienen wollen. Wir sehen das Potenzial für eine horizontale und vertikale Kooperation. Wir wollen das Maximum herausholen, das ist unser Ziel. Das Zentrallager wie auch die moderne Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte, die Ende 2019 den Betrieb aufnimmt, bieten viele Synergie- und Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Spitälern und Lieferanten.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft. Wie präsentiert sich die Spitallogistik im Jahr 2030? Was wird sich gegenüber heute vor allem verändern?
Alexander Soland: Die grosse Herausforderung wird sein, die Geschäftsprozesse und Arbeitsmethoden im Spital noch effizienter und qualitätssteigernd zu gestalten; dabei steht der Patient im Mittelpunkt. In Zukunft wird die Logistik eine entscheidende Rolle einnehmen. Prozesse müssen zwischen den einzelnen Fachbereichen optimiert und perfekt aufeinander abgestimmt werden. Ich bin auch der Meinung, dass logistische Smart Devices im Gesundheitswesen für mehr Transparenz, bessere Prozessqualität und für Sicherheit sorgen werden.

Christian Schläpfer: Ich bin mir sicher, dass die Digitalisierung gepaart mit technischen Innovationen das Spital in Zukunft massgeblich beeinflussen und zu effizienteren Prozessen führen wird. Die Spitallogistik wird sich in Zukunft durch digitalisierte und vollautomatisierte Prozesse auszeichnen. Fahrerlose Transportsysteme, die sich um medizinisches Verbrauchsmaterial kümmern, oder Drohnen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit schnell Blutproben vom Spital ins Labor transportieren, werden zum täglichen Bild gehören.

Das Gespräch führte Joachim Heldt.

Nach oben