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«Gute Innovationen erhöhen die Wertschöpfung»

Mehrwert schaffen: Das ist ein Leitstern der Arbeit von Robert Beideman, Chief Solutions & Innovation Officer bei GS1 Global. Gerade für den Einzelhandel gibt es mehrere innovative Möglichkeiten, um in der digitalen wie physischen Welt den Kontakt mit Produkten und Kunden zu behalten.

GS1 network: Welche Aufgaben haben Sie als Chief Solutions & Innovation Officer im GS1 Global Office?
Robert Beideman: Ich befasse mich sehr intensiv mit der Entwicklung einer strategisch tragenden Zukunftsvision für GS1. Diese beleben wir mit konkreten Aktivitäten. Das Solutions & Innovation Team ist eigentlich ein Inkubator, dank dem GS1 zum Vordenker neuer Entwicklungen wird. Natürlich unterwerfen wir auch unsere Standards, Dienstleistungsangebote und Lösungen einer kritischen Prüfung und identifizieren Einsatzpotenziale, sodass sie helfen können, grosse, teils branchenübergreifende Herausforderungen zu lösen. Wir erledigen die «Webification» unserer Standards und erweitern die Rückverfolgbarkeit auf neue Anwendungen. Wir verfolgen neue Entwicklungen rund um die Identifikationssysteme und die Datenerfassung und beobachten das Entstehen neuer Technologien, die in Zukunft grossen Einfluss auf die von uns unterstützten Wirtschaftsbranchen haben können.

Wie würden Sie eine gute Innovation beschreiben?
Eine gute Innovation erhöht die Wertschöpfung eines Produkts, einer Dienstleistung oder ganzer Systeme. Es ist weniger wichtig, dass Innovationen als «cool» oder «hot» bezeichnet werden, als dass sie eine echte Herausforderung im Geschäftsleben adressieren. Das kann man durch eine gut organisierte und kollaborative Entwicklungsumgebung sicherstellen, die möglichst vielseitig mit dem Tagesgeschäft verbunden ist.

Andererseits wäre es kontraproduktiv, wenn sich auftauchende Schwierigkeiten erst einmal auswachsen müssen, bevor man ihnen mit Innovationen begegnet. Manchmal ist die Innovation gerade die Früherkennung aufkommender Probleme. Am Ende aber soll und muss jede Innovation einem Unternehmen und seinen Kunden dienlich sein, jetzt und in der Zukunft.

Wie erleichtert GS1 das Entstehen von Innovationen?
Es ist eine Kernkompetenz von GS1, nach den richtigen, smarten Fragen auch eine treffende Diagnose zu stellen. Wir haben ein tiefes Verständnis für die Chancen und Herausforderungen der mit uns verbundenen Unternehmen in zahlreichen Branchen. An 114 Standorten weltweit haben wir Community-Experten, dank denen uns die Bedürfnisse der Nutzer unserer Standards bestens bekannt sind.

Darauf aufbauend treiben wir die Entwicklung unserer Standards in diversen Branchen weiter, beispielsweise im Einzelhandel, im Gesundheitswesen, im Bereich Transport & Logistik und in den technischen Industrien. Wir unterstützen die Unternehmen zudem bei der Implementierung und Anwendung, damit sie ihren Nutzen maximieren können.

Welche aktuellen innovativen Angebote hat GS1 für den Einzelhandel und andere Branchen?
Einer unserer wichtigsten Beiträge für den Einzelhandel war in den vergangenen Jahren unser ständiges Streben nach der Steigerung der Konvergenz von digitaler und physischer Welt. Dabei ist eine neue Generation digitaler Standards entstanden. Der GS1 Digital Link Standard macht Barcodes beispielsweise internetfähig. Er bietet eine einfache, standardisierte Struktur für die in einem traditionellen Barcode enthaltenen Daten und erlaubt es Konsumenten, online wichtige Produktinformationen einzuholen. Das können Verfalldaten oder Nährwerte sein, aber auch Social-Media-Links. Weitere Beispiele sind Beipackzettel von Medikamenten oder Wartungs- und Reparaturhistorien für das industrielle Umfeld.

Wie geht die GS1 Community mit Innovationen um? Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Auf diesem Gebiet gab es in den vergangenen Jahren grosse Verbesserungen. Für uns stehen die Blockchain- Technologie und das Internet der Dinge (IoT) im Fokus. Für beide Bereiche gab es überall auf der Welt Pilotprojekte. Blockchains sollten die Rückverfolgung in der Lebensmittel-Lieferkette garantieren, das IoT Produkte vielfältig mit ihren Nutzern verknüpfen.

Bei Blockchain konnten wir beobachten, dass die Technologie vergleichsweise einfach zu handhaben ist. Die wirkliche Schwierigkeit besteht aber in der Definition, wie die angeschlossenen Unternehmen zusammenarbeiten und welche Daten sie teilen sollen. In beiden Fällen profitiert GS1 von der globalen Präsenz. Wir sind überall auf der Welt auf lokaler Basis in Innovationsprojekte eingebunden. Da müssen wir darauf achten, über alle Aktivitäten auch auf dem Laufenden zu sein, und die Bereitschaft mitbringen, voneinander zu lernen.

Wie können Firmen davon am besten profitieren?
Für die Implementation innovativer Anwendungen haben Pilotprojekte eine herausragende Bedeutung. Erst in diesem Rahmen wird manchmal die Bedeutung von potenziellen Innovationen für das Tagesgeschäft verschiedenster Stakeholder sichtbar, seien es Entscheidungsträger von Unternehmen, Handelspartner oder Kunden.

In Pilotprojekten werden zudem wichtige Kennzahlen definiert, Lernprozesse finden statt und bestenfalls ergeben sich Erfolgsstorys, die geteilt werden können. Innovation gehört zu den am schwierigsten messbaren Vorhaben, aber man muss es dennoch versuchen, bevor gewonnene Erkenntnisse skaliert oder breit ausgerollt werden.

Warum kämpfen viele Unternehmen mit Innovationen?
Es ist oft schon schwierig genug, den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Zudem sind die konkreten geschäftlichen Herausforderungen häufig nicht deutlich sichtbar und erschweren das Aufstellen einer Roadmap. Nach dem Start von Innovationsprojekten ist viel Geduld nötig, damit sie ihre Wirkung entfalten. Der Zeitbedarf wird oft unterschätzt. Meist dauert es eben länger als gedacht, bis Innovationen zur Marktreife kommen.

Ferner wird oft zu viel Druck in Richtung bahnbrechender Innovationen aufgebaut, die zudem einen radikalen Umbruch erfordern. Bei solchen Veränderungen im Geschäftsmodell von Unternehmen ist das Risikomanagement gerade in der Übergangsphase anspruchsvoll. Meiner Auffassung nach sollten sich Unternehmen auf den Transfer bestehender Technologien in neue Angebote und neue Dienstleistungen konzentrieren, um so für den Kunden neue, innovative Angebote zu schaffen.

Das Risikopotenzial kann durch ein ausgewogenes Innovationsportfolio reduziert werden. Dieses enthält kurzfristig eine schrittweise Verbesserung von Innovationsprojekten, mittelfristig vergleichsweise sichere Vorhaben und langfristig die risikoreichen, aber vielversprechenden Entwicklungsprojekte.

GS1 Standards sind die Grundlage für transparente und digitale Supply Chains. Unterstützen sie auch andere digitale Lösungen für den Einzelhandel und andere Branchen?
Selbstverständlich. Den GS1 Digital Link Standard habe ich bereits erwähnt. Er macht es besonders einfach, durch einen Barcode-Scan ein physisches Produkt mit online vorhandenen Produktinformationen zu verbinden. So können Verbraucher Waschanleitungen für Textilien oder Unternehmen Installationsanweisungen erhalten. Im Gesundheitswesen lassen sich die Informationen vom Beipackzettel abrufen. Wird die Produktinformation serialisiert, sind auch Informationen zur Produkthistorie verfügbar. Das können im Verbraucherbereich Herkunftsangaben sein, für Unternehmen wären Wartungs- und Reparaturhistorien wertvoll. Zudem arbeitet GS1 kontinuierlich an Lösungen, die entlang der physischen und digitalen Grenze neue Potenziale erschliessen. Ich möchte hier das GS1 Web Vocabulary, die Arbeit am Global Data Model und die globale Datenbank, GS1 Registry Platform, für GS1 Identifikationsschlüssel erwähnen, welche ein riesiges Potenzial aufweist und die Lücke zwischen dem physischen Produkt und dem digitalen Abbild schliesst. Wir blicken einer vielversprechenden Zukunft entgegen, in der alles, was verbunden werden kann, auch miteinander verbunden wird.

Wie unterstützt GS1 den Einzelhandel dabei, seinen Kunden neue Features anzubieten?
Vor Jahrzehnten war es unser grösstes Anliegen, mit unseren Systemen den Transport von Waren in der Supply Chain zu unterstützen, und das bis zum Verkaufspunkt, aber nicht darüber hinaus. Heute wollen Einzelhändler und Unternehmen vor allem die Bedürfnisse ihrer Kundschaft besser verstehen und ihnen Mehrwert liefern – das geht über den Verkaufspunkt hinaus.

Deshalb denken wir entlang der Schnittstelle zwischen der digitalen und der physischen Welt. Wir wollen herausfinden, wie Verbraucher die Produkte benutzen und was sie über diese wissen möchten. Dazu gehören die Rückverfolgbarkeit und Sicherheit bei Lebensmitteln ebenso wie Rezepte oder Serviervorschläge, Garantieinformationen, Wasch- und Pflegeanleitungen und Ähnliches.

Sie waren vier Jahre lang Vice President Retail für GS1 Global. Was hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt?
Die Medien haben unter dem Eindruck rasch wachsender Online-Marktplätze gern und oft über das Ende des traditionellen Einzelhandels geschrieben. In Wirklichkeit aber haben sich erfahrene Einzelhandelsunternehmen dem technologischen Wandel immer angepasst. In den letzten Jahren hat die Geschwindigkeit des Wandels allerdings zugenommen. Ich finde es besonders spannend, wie alle Unternehmen jetzt ihre Anstrengungen zur digitalen Transformation intensivieren und dem laufenden Wandel mit agilen Methoden begegnen. Es gibt heute Onlinehändler, die echte Ladengeschäfte aufbauen, um mit der Kundschaft direkt in Kontakt zu kommen. Traditionelle Unternehmen wiederum investieren massiv in Innovationen, und Start-ups setzen auf E-Commerce. Die Lieferung von Lebensmitteln und fertigem Essen erlebt eine disruptive Welle. Start-ups und E-Commerce-Unternehmen schaffen neue Liefermodelle, traditionelle Anbieter passen sich aber rasch an und bieten ergänzend «Instore Experiences». Der Einzelhandel ist also alles andere als am Ende: Er ist im Gegenteil eine Branche, die sich besonders intensiv und lebhaft mit der Gestaltung ihrer Zukunft befasst.

Welche Innovationen sind derzeit für den Einzelhandel und die Industrie am wichtigsten?
Da fallen mir vor allem zwei Themen ein: Big Data und Social Media. Mit Big- Data-Anwendungen erschliessen sich Unternehmen neue Chancen, ihren Kunden erheblichen Mehrwert zu bieten. Wie wäre es, wenn Brauereien ihre Lieferungen am Wochenende wetterabhängig gezielt in die heissesten Städte senden könnten? Wie wäre es, wenn Firmen ihre aktuellen Verkaufspreise in Echtzeit nach einem Abgleich von Lagerbeständen, Konkurrenzpreisen und Marktnachfrage anpassen könnten? Solche Möglichkeiten zeigen ein wenig das Potenzial, welches in Big Data liegt.
Dank Social Media können sich Firmen heute auf ganz andere Art mit ihren Kunden verbinden. Chatbots beantworten Kundenfragen sehr schnell und aus Social-Media-Kanälen wird aktuelles Kundenfeedback extrahiert. Das Monitoring der von Käufern vergebenen Produktratings unterstützt das Verständnis von Verhaltensänderungen bei der Kundschaft. Das sind sehr innovative Ansätze, mit denen der Einzelhandel seine Zukunft neu und erfolgreich gestalten kann.

Die Fragen stellten Alexander Saheb und Joachim Heldt.
 

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