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«Fachkräfte wollen heute selbstbestimmt und auf Augenhöhe mit anderen arbeiten »

Kohlberg & Partner ist ein renommiertes Unternehmen im Bereich Human Resource Services, welches dank Erfahrung und Kompetenz seit rund 18 Jahren erfolgreich Kader- und Fachspezialisten mit Unternehmen verbindet. Wir haben uns mit Inhaber Jürg Kohlberg und Sandra Tinner-Derungs, Recruitment Consultant Supply Chain Management, Logistics and Procurement, im virtuellen Gespräch über Selbstorganisation, flache Hierarchien und Homeoffice unterhalten.

GS1 network: Für viele hat sich die Arbeitsform innert kurzer Zeit verändert. Homeoffice ist aktueller denn je. Wie erleben Sie die Situation?
Jürg Kohlberg: Homeoffice ist in der Politik und den Medien während der Corona-Krise zur Allzweckwaffe geworden. Es hat auf den ersten Blick viele Vorteile: Wegfall des Arbeitsweges und bessere Koordination von Beruf, Familie und Freizeit. Personen aus meinem Umfeld, aber auch ich selbst, haben in dieser Zeit die Erfahrung gemacht, dass viele Homeoffice wollen, aber es nicht alle können. Meistens liegt es an mangelnder Selbstdisziplin und der Ablenkung aus dem persönlichen Umfeld.

Ich habe viele Menschen kennengelernt, die anfangs sehr begeistert von Homeoffice waren, sich aber schnell wieder nach dem Austausch mit dem Team sehnten und aus den eigenen vier Wänden herauskommen wollten. Persönlich habe ich das Gefühl, dass Homeoffice je nach Aufgabenstellung absolut sinnvoll ist und eine echte Bereicherung im Arbeitsalltag darstellt. Aber es kommt auf die richtige Dosis an

Sandra Tinner-Derungs: In der Zusammenarbeit mit unseren Kunden hat sich eigentlich nichts geändert. Diese sind nach wie vor gut erreichbar, wo auch immer sie sich befinden, im Unternehmen oder im Homeoffice. Im Fall einer Direktansprache sind die Kandidaten im Homeoffice besser erreichbar und können auch ungestörter telefonieren.

Wie definieren Sie Führung?
Jürg Kohlberg: Für mich ist jeder, der zielgerichtet das Erleben und Verhalten von Mitarbeitern in Organisationen beeinflusst, eine Führungskraft. Diese Person kann formell als Führungskraft eingesetzt sein oder kann als informelle Kraft einer offiziellen Führungskraft als Unterstützung dienen. Sie soll aber dann auch innerhalb der Organisation eine Chance als echte Führungskraft erhalten.

Sandra Tinner-Derungs: Für mich persönlich bedeutet Führung, gemeinsam mit meinem Team in einem Boot zu sitzen, die Richtung vorzugeben und die anderen vom gemeinsamen Ziel zu überzeugen, sie zum Rudern in die gleiche Richtung zu motivieren und sie für ihre Leistung und ihre Entscheidungen auch in die Verantwortung zu nehmen.

Wie hängen Organisationsstrukturen und Führung zusammen?
Jürg Kohlberg: Aus meiner Sicht sehr eng! Wenn uns eine Firma beauftragt, eine Führungskraft zu suchen, müssen wir verstehen, wie die Organisation aufgebaut ist. Welches sind die Ziele der Organisationseinheiten und wie interagieren diese? Die Organisation bildet den Rahmen, in welchem sich die Führung zu bewegen hat. Für mich bedeutet die Funktion des Führens, die Mitarbeiter anzuleiten, die Ziele zu erreichen, Verantwortung zu tragen und Eigeninitiative zu wecken.

Sandra Tinner-Derungs: Aus meiner Sicht gehören sie zusammen. In einem Unternehmen, in welchem flache Hierarchien herrschen, ist auch die Führung eine andere. Führungskräfte in einem agilen Umfeld führen nicht mehr einzelne Mitarbeiter, sondern konzentrieren sich auf Aktivitäten, die das gesamte Team weiterbringen.

Agilität und flache Hierarchien sind aktuell in aller Munde. Beschreiben diese Begriffe ein neues Organisationskonzept oder sind das nur Modeerscheinungen?
Jürg Kohlberg: In den letzten Jahren hat sich ein deutlicher Trend abgezeichnet: weg von der pyramidenförmigen Hierarchie, hin zu flachen Hierarchien. Fachkräfte wollen heute selbstbestimmt und auf Augenhöhe mit anderen arbeiten.

Besonders agil sind die Organisationsbereiche eines Unternehmens ausgestaltet, in denen geistige Wertschöpfung entsteht. Sie setzen agile Prinzipien zu hundert Prozent um und werden in Form agiler Teams organisiert. Ganz vorne mit dabei sind die Forschungsund Entwicklungsbereiche. Auch Marketing und Vertrieb gehören je nach Branche mehr oder weniger dazu.

In den klassischen Fertigungsbereichen, in denen es um die Produktion grösserer Serien geht, treffen wir häufiger auf Lean-Organisation, die wir je nach Ausgestaltung auch zu den agilen Organisationsformen zählen können.

Sandra Tinner-Derungs: Flache Hierarchien sind in Konzernen aus meiner Sicht schwierig umzusetzen, können allerdings in einem KMU gut funktionieren. Jedoch gibt es auch Trenderscheinungen wie die Holokratie als Methode zur Unternehmensführung. Diese funktionieren unter Umständen in Start-ups. Aber wie soll das in einem Grosskonzern funktionieren? Die Holacracy-Systematik legt viel Wert auf Konsens und demokratische Entscheidungsfindung. Wenn wir die Methode genauer untersuchen, stellen wir fest, dass die Kreise, auf welchen die Holokratie aufgebaut ist, auch hierarchisch sind.

Das Grundbedürfnis des Menschen ist Sicherheit und Kontrolle. Daher glaube ich, dass die meisten Menschen eine Struktur und Hierarchie brauchen, um sich sicher zu fühlen und einen Teil der Verantwortung nicht allein zu tragen. Vielleicht werden wir sogar mit der Corona- Krise einen Schritt weg von den flachen Hierarchien machen.

Was ist der Treiber für diese Entwicklung?
Jürg Kohlberg: Ich sehe die Treiber insbesondere in der immer höheren Komplexität von Aufgabenstellungen und den sich laufend ändernden Anforderungen der Kunden und Märkte. Um dem gerecht zu werden, braucht es fachlich herausragende Teams, die flexibel auf diese Bedürfnisse reagieren können.

Stellen Sie sich das wie ein Segelschiff vor, welches sich laufend den veränderten Wind- und Wetterverhältnissen anpassen muss. Dazu braucht es aus meiner Sicht Führungskräfte, die die Rahmenbedingungen dem Team entsprechend flexibel anpassen können.

Was bedeuten Holokratie & Co. für die Führung? Wo liegen Chancen, wo Nachteile?
Jürg Kohlberg: Holokratie verstehe ich als System, in dem eine Organisation basisdemokratisch mit einer Verfassung, mit Organisationskreisen und einer Rollenverteilung geführt wird. Führungskräfte übernehmen die Rolle von Wegbereitern für innovative und agile Teams. Hier sehe ich Chancen für Start-ups, die komplexe Dienstleistungen und Produkte entwickeln.

Für eine holokratische Organisationsform braucht es reife Charaktere, die ihr Ego zugunsten der Sache zurückstellen können. Wie werden charismatische Persönlichkeiten, die über ein natürliches Führungsverhalten verfügen, reagieren, wenn sie nur eine vordefinierte Rolle einnehmen dürfen? Werden sie sich nicht nach einer anderen Organisationsform umschauen? Was passiert, wenn das Start-up den Kinderschuhen entwachsen ist und sich die Strukturen dem Wachstum des Unternehmens anpassen müssen?

Sandra Tinner-Derungs: Mit Holokratie will man den Schwenk zur Selbstorganisation vollziehen, Kommunikationswege und Entscheidungswege verkürzen. Die Mitarbeiter übernehmen mehr Verantwortung, alle sind gleich und es gibt keine Managerpositionen mehr, denn Positionen und Hierarchien werden durch Rollen ersetzt. Jeder trifft im Rahmen seiner Rollen eigene Entscheidungen und muss dafür niemanden um Erlaubnis bitten. Das Konzept klingt erst einmal grossartig.

Viele Unternehmen haben sich moderne Verhaltensregeln und Führungsformen gegeben und reden auch gerne darüber. Das ist alles schön und gut. Aber warum gibt es genau in diesen Unternehmen so viel Frust und Wechsel? Vielleicht weil Geld, schicke Produkte und ein toller Arbeitsplatz doch nicht alles sind? Natürlich kann man jetzt sagen, alle Mitarbeiter, die das Modell nicht begrüssen, sollten das Unternehmen verlassen. Aber kann ich wirklich auf jeden Mitarbeiter verzichten? Wer überprüft zum Beispiel die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und internen Richtlinien? Viele dieser Regeln erfordern eine klar definierte und festgeschriebene Reportingstruktur. Dazu braucht es definierte Stellen, an die berichtet werden kann, und das sind die Manager, die auch die Verantwortung zu tragen haben, falls einmal etwas schiefgeht.

Anstatt Titel wie «Manager» zu vergeben und zu bestimmen, wer Chef ist und wer Entscheidungen fällen darf, entfallen all diese Titel in holokratisch geführten Unternehmen. Aber viele Menschen wollen sich doch auch über ihren Titel von anderen differenzieren. Auch die gängigen Online-Business- Plattformen sind so aufgesetzt, dass immer der Jobtitel angegeben werden  soll. Steht da in Zukunft «kein Titel»?

Warum sollte die Selbstorganisation ein Thema für Unternehmen sein?
Jürg Kohlberg: Als Experten in der Vermittlung von Kader und Spezialisten spüren wir in den meisten Gesprächen mit unseren Kandidaten, dass der Wunsch nach Selbstorganisation bei der Arbeit hoch ist. Auch wenn wir mit Unternehmen sprechen, wünschen diese Mitarbeitende, die sich selbst organisieren und einbringen können.

Selbstorganisation ist für viele Unternehmen ein Thema. Ob es dann bis zur holokratischen Form ausgebaut wird, wage ich zu bezweifeln. Vermehrte Agilität und Flexibilität wird aber helfen, sich den Anforderungen der Märkte und Kunden erfolgreich zu stellen. Daher werden auch die meisten Unternehmen, im Sinne einer lernenden und sich kontinuierlich verbessernden Organisation, diese Überlegungen in ihre Unternehmenskultur einfliessen lassen.

Sandra Tinner-Derungs: Es sind agile Organisationen, die auf das Prinzip der Selbstorganisation setzen, in der jeder Mitarbeiter sowohl Weisungsgeber als auch Empfänger ist. Das Wissen und die Erfahrung jedes Mitarbeiters sind wichtige Elemente. Haben die Mitarbeiter mehr Entscheidungs- sowie Gestaltungsmöglichkeiten und auch Freiraum, dann identifizieren sie sich mehr mit der Arbeit.

Schnelligkeit ist in unserer digitalen Welt das A und O. Der Kunde erwartet in kurzer Zeit eine Antwort. Hier ist eine grosse Entscheidungsfreiheit des Mitarbeiters gefragt, damit er rechtzeitig reagieren kann. Muss die Anfrage erst mehrere Hierarchieebenen durchlaufen, kann der Mitarbeiter dem Kundenbedürfnis nicht gerecht werden.

Für welche Unternehmen ist die Organisationsform Holokratie geeignet?
Sandra Tinner-Derungs: Holokratie eignet sich vor allem für Start-ups mit einer geringen Zahl von Mitarbeitern, für kleine Unternehmen, aber auch für Nichtregierungsorganisationen. Wer sich heute überlegt, ein neues Unternehmen zu gründen, sollte, falls er das Organisationsmodell Holokratie wählt, dieses von Anfang an einführen.

Aber nochmals: die wichtigste Voraussetzung sind die Mitarbeiter. Holokratie kann nur funktionieren, wenn die Mitarbeiter bereit sind, sich einzubringen, sich an die Regeln zu halten und auch Neues auszuprobieren. Und für flexible Organisationsstrukturen bieten sich zudem flexible Büros, Co-working und Homeoffice an.

Wie muss ich mir die Mitarbeiterentwicklung in holokratisch geführten Unternehmen vorstellen?
Jürg Kohlberg: Da ich die holokratische Arbeitsform mehrheitlich in kreativen und geistig anspruchsvollen Arbeitswelten sehe, werden die Mitarbeiter an den Aufgabenstellungen wachsen. Doch wer erkennt die Talente und führt sie wieder neuen Rollen zu? Fehlt da  eine Führungskraft in koordinierender Rolle?

Sandra Tinner-Derungs: Die Mitarbeiter wollen sich auch in dieser Organisationsform weiterentwickeln. Ich könnte mir vorstellen, dass es für jeden Kreis einen Champion gibt, der die Mitarbeiter betreut und fördert.

Unternehmensführung 4.0. Wie werden Ihrer Meinung nach in Zukunft Unternehmen geführt, respektive wie sollten sie geführt werden?
Jürg Kohlberg: Der Markt und der Kunde sollen noch mehr in den Fokus gerückt werden. Die einzelnen Organisationseinheiten sollen sich mit den idealen Produkten, in der richtigen Qualität und mit dem besten Service danach ausrichten. Dazu braucht es eine Führungskultur, die darauf abzielt, Teams zu stärken und sie für die Unternehmensziele zu gewinnen. Die Unternehmen müssen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich eigenständige Entscheidungen treffen lassen und Verantwortung übernommen werden kann. Die Teams sollen sich zu selbstlernenden Einheiten entwickeln und sich kontinuierlich verbessern, um die definierten Unternehmensziele zu erreichen. Dazu braucht es Koordinatoren, Betreuer und Trainer sowie agile Organisationen und flexible Mitarbeiter.

Sandra Tinner-Derungs: Immer wieder hören wir von unseren Kandidaten, dass sie sich den nötigen Freiraum wünschen, um sich zu entfalten und ihren Teil zur Weiterentwicklung des Unternehmens beitragen zu können. Sie wünschen sich kein Mikromanagement und niemanden, der ihnen im Nacken sitzt. Eine solche offene und fördernde Unternehmenskultur spricht die meisten Kandidaten an, und das sehe ich auch als zukunftsweisend.

Die Fragen stellte Joachim Heldt

 

Weitere Informationen:

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