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Die Kreislaufwirtschaft kommt - jetzt

Bei den Verbrauchern findet derzeit ein Umdenken statt: Aspekte rund um Umwelt, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft gewinnen an Bedeutung. Die Corona-Krise hat diese Entwicklung beschleunigt. Harald Dutzler, Experte für Nachhaltigkeit bei PwC Strategy&, erklärt im Gespräch, weshalb jetzt der ideale Zeitpunkt für Händler und Konsumgüterhersteller ist, das Thema ernsthaft anzupacken – und wie sie dabei am besten vorgehen.

Im Zuge von Covid-19 hat sich die Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit erhöht. Woran liegt das?
Während des Lockdowns waren die Menschen an ihr Zuhause gebunden. Das hat viel Geschwindigkeit rausgenommen und das Bewusstsein für viele Dinge geschärft. Wo die Verbraucher in früheren Krisenzeiten immer auf den Preis schauten und die Discounter stärkeren Zulauf bekamen, sehen wir dieses Mal einen gegenläufigen Trend: Die Konsumenten greifen verstärkt zu regionalen, biologisch angebauten Lebensmitteln. Dieses Umdenken beobachte ich auch im Fashion-Bereich: Die Verbraucher sind nicht mehr bereit, sich mit günstig produzierten Artikeln und mediokrer Qualität zufriedenzugeben. Hier setzt definitiv ein Bewusstseinswandel ein, auch die Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion rücken stärker in den Vordergrund.

Und der Lockdown hat diesen Prozess beschleunigt?
Genau. Sind die Geschäfte geschlossen, kann ich auch weniger einkaufen. Wenn ich den ganzen Tag zu Hause bin, sehe ich, wie viel Müll ich produziere. Zudem sind in der Krise auch soziale Aspekte in den Vordergrund gerückt. Menschen haben den Job verloren oder mit Einkommenseinbussen zu kämpfen. Auch die Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie haben den Fokus auf soziale Aspekte und den Umgang mit den Mitarbeitenden gelenkt. All diese Erfahrungen führen derzeit zu einem Bewusstseinswandel. Und der Handel und die Konsumgüterindustrie bekommen solche Veränderungen immer als Erste zu spüren.

Ein wichtiger Pfeiler für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen ist die Kreislaufwirtschaft. Worum geht es bei diesem Prinzip?
Bei der Circular Economy geht es darum, verantwortungsbewusst mit den Ressourcen umzugehen und zwar über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts – von der Gewinnung der Rohstoffe über die Produktion bis hin zu Verbrauch, Entsorgung, Recycling und Wiederbenutzung. Dabei ist es wichtig, den energetischen und ökologischen Fussabdruck über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu verstehen. Die Logik, die immer zugrunde liegt: Ich verbrauche nur so viel, wie auch verfügbar ist.

Was muss aus Ihrer Sicht in der Branche passieren, damit es jetzt weiter vorangeht?
Der Durchbruch ist schon da, er ist nur noch nicht überall angekommen. Jetzt braucht es in der Branche einen einheitlichen Rahmen, sodass alle Beteiligten in die gleiche Richtung gehen. Feste Eckpfeiler sind auch für den Verbraucher wichtig, der Orientierung sucht und Vertrauen fassen muss. Der Konsument möchte nicht im Internet recherchieren müssen, ob ein gewisses Zertifikat wirklich sinn- voll ist oder nur Marketing. Er muss sich schnell und verständlich über den ökologischen Footprint eines Produkts informieren können.

Wo können Händler und Konsumgüterhersteller genau ansetzen, um schnelle Erfolge zu erzielen?
Ein guter Ausgangspunkt ist das Thema erneuerbare Energien. Jedes Unternehmen braucht Energie für Produktion, Logistik und die gesamte Wertschöpfungskette. Und diese Energie sollte so weit wie möglich aus erneuerbaren Quellen stammen. Das ist für Händler und Konsumgüterhersteller meist realisierbar, ohne das Geschäftsmodell komplett verändern zu müssen. Zweitens müssen Unternehmen sich Gedanken darüber machen, wie ihre Produkte genutzt werden sollen – und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg, inklusive der Wiederverwertung. Nicht zuletzt sollten sie sich fragen, wie sie mit Abfällen umgehen wollen, und auch Nebenprodukte sinnvoll nutzen. Letztlich geht es darum, die gesamte Supply Chain anzuschauen und zu analysieren, wo Anpassungen möglich und sinnvoll sind.

Können Sie eine erfolgreiche Initiative exemplarisch nennen?
Sogar mehrere. Ein erstes gelungenes Beispiel für eine nachhaltige Initiative der Kreislaufwirtschaft ist Adidas mit seiner Beteiligung an der Organisation «Parley for the Oceans», die auf die Wiederverwendung von Plastik setzt. Die Idee dahinter: Es werden Plastik und Netze aus dem Ozean gefischt, um daraus Schuhe und Bekleidung herzustellen – und das Bewusstsein für den Zustand der Ozeane zu schärfen. Die Herstellung wird dadurch natürlich aufwendiger, aber die Nachfrage der Kunden nach den Produkten ist hoch und der Erfolg gibt Adidas recht. Solche Initiativen entfalten enorme Strahlkraft. Ein weiteres Beispiel ist das österreichische Start-up Refurbed. Dieses bietet einen Marktplatz für aufgearbeitete Consumer-Electronics-Produkte wie zum Beispiel Handys oder E-Bikes. Durch die Aufbereitung übernimmt Refurbed dabei die Rolle eines lizenzierten Verkäufers inklusive Garantie und bietet die Produkte im Vergleich zum Neupreis bis zu 40 Prozent günstiger an. Das nimmt Kunden die häufig verbreitete Angst vor nicht funktionstüchtigen Geräten. Erwähnenswert ist auch das Konzept von «Son of a Tailor». Das Unternehmen hat erst kürzlich den «Zero Waste Pullover» auf den Markt gebracht. Durch die Fokussierung auf massgeschneiderte Kleidung konnte «Son of a Tailor» die hohe Rücksendequote – das grosse Problem vieler Modelabels – auf nur zwei Prozent minimieren. Ausserdem nutzt das Unternehmen 3D-Technologien, um Verschnitte bestmöglich zu vermeiden.

Was sind die grössten Stolpersteine bei der Implementierung?
Jedes Unternehmen hat ganz viele Ideen und Initiativen, die manchmal in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Die Herausforderung besteht darin, diese zielgerichtet zu bündeln, verständlich und sichtbar zu machen. Dafür braucht es eine gemeinsame Vision, auf die sich alle konzentrieren. Zweitens müssen Unternehmen sich klar werden, dass manche Initiativen kontraproduktiv für das Geschäftsmodell sind. Ein Produkt, dessen Lebenszyklus möglichst lang sein soll, lässt sich eben nicht mehr so häufig verkaufen. Das muss man akzeptieren – und in letzter Konsequenz auch bereit sein, das Geschäftsmodell infrage zu stellen. Drittens: Kreislaufwirtschaft stösst tiefgreifende Veränderungen im Unternehmen an. Das passiert nicht über Nacht. Der Weg zur Kreislaufwirtschaft ist eine lange Reise – gespickt mit vielen Hürden.

Wieso lohnt es sich, diese Hürden zu nehmen? Was sind die langfristigen Vorteile?
Abgesehen von den positiven Auswirkungen auf die Umwelt profitieren Unternehmen sowohl intern als auch extern: Firmen, die das Thema ernsthaft und ehrlich angehen, entwickeln einen grossen Zusammenhalt, weil sie sich auf einen gemeinsamen Wertekodex berufen können. Wenn sich ein Unternehmen ernsthaft mit Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft beschäftigt, gibt das den Mitarbeitenden ein Gefühl der Unternehmenszugehörigkeit. In der Aussenwirkung lässt sich über ein Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft eine viel engere Bindung zum Endkunden aufbauen, weil man sein Unternehmen, seine Produkte und Marken emotionaler beim Kunden positionieren kann.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Einführung von Initiativen der Kreislaufwirtschaft?
Am wichtigsten ist es, eine klare Vision zu entwickeln, die von der obersten Führungsebene vorgegeben, aber auch vorgelebt wird. Und im Einklang mit dieser Vision muss das Unternehmen dann seine Entscheidungen treffen – auch wenn diese manchmal unpopulär und aus ökonomischer Sicht zunächst nicht ideal scheinen. Aber es gibt entscheidende Situationen, Momente der Wahrheit, wo es besonders darauf ankommt, sich treu zu bleiben. Da gilt es dann, richtig zu entscheiden. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind immer auch ein Kulturthema. Es muss in der Unternehmenskultur verankert werden – und dieser Prozess braucht Zeit.

Wie können Sie Unternehmen dabei unterstützen?
Wir bringen unsere Erfahrung aus anderen Projekten ein und können aufzeigen, was erfahrungsgemäss funktioniert und wo es vermutlich haken wird. Denn Unternehmen müssen das Rad nicht immer neu erfinden und können Fehler, die andere gemacht haben, vermeiden. Zudem setzt es ein wichtiges Signal, ein eigenes Programm für Kreislaufwirtschaft aufzusetzen und sich dafür auch externe Unterstützung zu holen. So lässt sich der Prozess stark beschleunigen. Die besten Ideen stecken meist in den Unternehmen selbst, in den Köpfen der Mitarbeitenden. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Denkanstösse zu geben und den Blick über den eigenen Tellerrand zu fördern. Wir sind quasi der Katalysator, um die richtigen Ideen zu priorisieren.

Wieso ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, um das Thema voranzutreiben?
 Viele Unternehmen stecken gerade in einer tiefgreifenden Veränderungsphase, die durch die Coronakrise nur beschleunigt wird. Der Trend geht dahin, die globalen Wertschöpfungsketten zu überdenken, wieder eher regional zu beschaffen und zu produzieren. Das ist ein guter Moment, Entscheidungen nach ökologischen Aspekten auszurichten und Initiativen der Kreislaufwirtschaft zu implementieren. Es geht jetzt darum, den Schwung aus dem aktuellen Umbruch zu nutzen. Aktuell ist viel Aufmerksamkeit für Umwelt- Themen da, insbesondere bei den Konsumenten. Deshalb ist jetzt der ideale Zeitpunkt, um mutige Schritte zu gehen, die im Markt gesehen und honoriert werden. Wer abwartet, der riskiert, den Zug zu verpassen.

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