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GS1 – one global standard

Miguel A. Lopera, CEO GS1 International(jh) Miguel A. Lopera ist Chief Executive Officer und leitet seit 2003 die weltweite Organisation, die globale Standards zur Verbesserung von Wertschöpfungsketten entwickelt und umsetzt. GS1 global zählt über 100 nationale Organisationen.

 

GS1 network: Wie sehen die Ziele von GS1 aus?
Miguel A. Lopera: Während der letzten 30 Jahre haben wir uns der Gestaltung und Umsetzung globaler Standards für die Anwendung in der Supply Chain gewidmet. GS1 Standards geben einen Rahmen vor, der den sicheren und effizienten Austausch von Produkten, Dienstleistungen und dazugehörigen Informationen ermöglicht und so zum Gewinn des Unternehmens beiträgt und die Lebensbedingungen der Menschen jeden Tag und überall verbessert. Unsere Standards gewährleisten einen erfolgreichen Austausch zwischen Unternehmen und fungieren als grundlegende Richtlinien, welche die Interoperabilität erleichtern und vielen Industriezweigen eine Struktur geben.

Was sind die Stärken von GS1?
Zu unseren Stärken gehören die Entwicklung globaler Standards, die eindeutige Identifikation, die globale Reichweite und die interkulturelle Kommunikation. Wir steuern den welt-weiten Entwicklungs- und Umsetzungsprozess, um hochwertige und einfach zu handhabende Standards für Industrie und Lösungsanbieter bereitzustellen. Eine weitere Stärke ist das eindeutige Nummernsystem, um Güter, Dienstleistungen, Vermögensgegenstände und Standorte eindeutig zu identifizieren. Das GS1 System unterstützt somit die Automatisierung der Supply Chain und hilft mit, die Prozesse der Supply Chain sicherer zu gestalten. Mit unseren nationalen Tochtergesellschaften verfügen wir über ein globales Netzwerk, das den Mitgliedern qualitätssichernde Standards auf hohem Niveau zur Verfügung stellt. Die Kommunikation zwischen GS1, ihren Tochtergesellschaften, Mitgliedern und der Öffentlichkeit erfolgt über nationale und kulturelle Grenzen hinweg.

Und die Schwächen?
Da wir Unternehmen aus jeder Zeitzone verbinden, sieht es manchmal so aus, als ob wir nicht besonders schnell arbeiten. Dennoch ist die Zeit, die wir brauchen, um branchenübergreifende Vereinbarungen zu erzielen, sehr wichtig.

Was ist das Kerngeschäft von GS1?
Unser Kerngeschäft ist es, Standards zur Identifikation von Produkten, Dienstleistungen, Vermögensgegenständen und Standorten für die Anwendung in der Supply Chain zu entwickeln. Dieses einzigartige Identifikationssystem legt den Grundstein für alle Vorteile, welche Unternehmen und andere Organisationen aus den GS1 Standards ziehen.

Es ist recht schwierig, 108 unabhängige nationale GS1 Organisationen zu leiten. Wie stellen Sie sicher, dass sie gegenüber den Kunden alle einheitlich auftreten?
 Unsere Mitgliedsorganisationen – inzwischen sind es 111 – verfügen über engagierte Mitarbeitende, die sich voll und ganz der Bedeutung der globalen Arbeit mit lokalem Einfluss widmen. Wir haben einen Prozess eingerichtet, der strategische und betriebliche Synchronisation verbindet. Wir geben die Langzeitstrategien vor, wie wir sie in der GS1 2020 Vision definiert haben. Jedes Jahr arbeiten wir dann den Betriebsplan aus und legen die globalen und lokalen Aktivitäten fest. Dabei hilft uns das System Objectives, Goals, Strategies, Measures (OGSM). Der Prozess beginnt im September und endet im Mai mit unserer jährlichen Generalversammlung.

Um zu gewährleisten, dass wir alle einheitlich auftreten, stellen wir eine breite Palette von Kommunikationstools zur Verfügung, darunter eine Intranetseite mit einer beachtlichen Menge an Ressourcen und Materialien, einen internen Newsletter, der zweimal im Monat erscheint, Schulungsseminare und eLearning-Programme sowie regelmässige Meetings und Konferenzschaltungen. Zusätzlich findet jedes Jahr unser GS1 Global Forum statt, bei dem Vertreter der Mitgliedsorganisationen zusammenkommen, eine Woche lang Informationen austauschen und in Arbeitsgruppen bestimmte Themen bearbeiten.

GS1 bietet globale Standards für verschiedene Industriezweige an: Besteht nicht das Risiko, dass das System zu komplex wird und es für die Mitgliedsorganisationen und die Anwender zu schwierig wird, es zu überblicken?
 Die Ausweitung des GS1 Systems auf andere Sektoren wird von unseren Stammkunden aus dem Einzelhandelsund Konsumgütersektor vorangetrieben. Auf der einen Seite bieten Einzelhändler neben Lebensmitteln eine breite Palette von Produkten an, die von Healthcare über Heimwerkerartikel bis zu Unterhaltungselektronik und Autoersatzteilen reicht. Auf der anderen Seite unterhalten die Hersteller weitreichende Handelsbeziehungen mit der vorgeschalteten Supply Chain, die beispielsweise Zulieferer von Chemikalien und Verpackungsmaterialien mit einschliesst. Gleichzeitig sind Hersteller und Einzelhändler über Transport- und Logistikunternehmen miteinander verbunden. Daraus ergibt sich, dass unsere Stammkunden kein isolierter Sektor sind, und dies musssich in den Standards, die wir für sie bereitstellen, widerspiegeln.

 Die Arbeit in mehreren Sektoren ist verständlicherweise komplexer, als wenn man nur in einem Sektor tätig ist. In jedem Fall ist das GS1 System sektorübergreifend, was bedeutet, dass die meisten unserer Standards direkt auf mehrere Sektoren anwendbar sind. Durch das einheitliche globale Standard-System, das wir unseren Kunden zur Verfügung stellen, gewährleisten wir eine vereinfachte Nutzung, die nicht gegeben wäre, wenn man mehrere nicht globale, herstellerspezifische Systeme benutzen würde.

Seit Jahren versucht GS1 im Healthcare- Sektor Fuss zu fassen. Es scheint, als ob diese Industrie Schwierigkeiten habe, globale Standards anzunehmen. Aus welchem Grund?
Manche der Mitgliedsorganisationen arbeiten seit mehreren Jahren sehr erfolgreich mit lokalen Healthcare- Unternehmen zusammen, besonders mit Herstellern von pharmazeutischen Produkten.

Im Jahr 2006 haben wir auf Anfrage von zahlreichen Einzelhändlern und international tätigen Pharmaunternehmen entschieden, die komplette globale Healthcare Supply Chain zu untersuchen, einschliesslich Healthcare- Herstellern, Einkaufsorganisationen, Krankenhäusern und Apotheken. Dabei haben wir herausgefunden, dass es sich um eine der komplexesten Supply Chains handelt, die zusätzlich durch eine Vielzahl von lokalen Bestimmungen beieinflusst wird.

Es ist verständlich, dass die Erstellung globaler Standards für eine solch komplexe Supply Chain schwierig ist. Dennoch sind die Bemühungen und der Einsatz im Healthcare-Sektor, globale Standards zu übernehmen, beachtlich.

GS1 arbeitet im Rahmen der globalen Healthcare-Anwendergruppe seit fünf Jahren mit der globalen Healthcare-Gemeinschaft zusammen. Wir haben schon viel erreicht: So wurden globale Rückverfolgungsstandards für Healthcare- Produkte und Produktidentifikationsstandards für medizinische Produkte entwickelt. Die Einführung der weltweiten Datensynchronisation im Healthcare-Sektor wurde beschleunigt, was insbesondere auf die Erstellung von zwei Global Product Classification Codes (GPC) – einer für Arzneimittel und der zweite für Medizinprodukte – zurückzuführen ist. Jeden Monat treffen weitere Erfolgsgeschichten aus aller Welt ein, die unsere Fortschritte im Healthcare- Sektor belegen.

Die Arbeitsgruppen von GS1 werden von Grossunternehmen dominiert. Besteht dabei nicht das Risiko, dass in der Entwicklung des GS1 Systems nur noch die Anforderungen multinationaler Unternehmen berücksichtigt werden, obwohl auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen einen wesentlichen wirtschaftlichen Faktor darstellen?
Dies ist sicherlich eine Gefahr im Prozess der Entwicklung von Standards. Grössere Unternehmen haben natürlich mehr Mittel, die sie für Standards aufwenden können. Aufgrund ihrer globalen Supply Chains sind multinationale Unternehmen oft die ersten, welche die Vorteile globaler Standards erkennen. Dennoch garantiert der Global Standards Management Process (GSMP) eine faire Repräsentation der verschiedenen Handelspartner in allen Arbeitsgruppen. Multinationale Unternehmen haben einen direkten Vertreter, während kleine und mittelständische Unternehmen über die Mitgliedsorganisationen wie GS1 Schweiz vertreten sind.

Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung von GS1 EPCglobal?
Radiofrequenzidentifikation (RFID) ist eine Technologie, die die betrieblichen Prozesse verändern kann, indem sie die Supply Chains wirklich transparent macht. Standards bilden das Schlüsselelement und tragen dazu bei, das Versprechen in die Tat umzusetzen. Heute haben alle Sektoren Zugang zu den offenen GS1 Standards, und gleichzeitig sind auch die Preise für die RFID-Etiketten und Lesegeräte gefallen. Einzelne Marktsegmente wie die Bekleidungs- und Schuhindustrie haben in den letzten zwölf Monaten ein beachtliches EPC/RFID-Wachstum verzeichnet. Das zeigt uns, dass die Einführung einer Technologie schneller vonstatten gehen kann, wenn die betrieblichen Vorteile überwiegen. Die Tatsache, dass sich der Anwendungsbereichweiter vergrössert, lässt auf eine glänzende Zukunft von GS1 EPCglobal schliessen.


Welche Visionen haben Sie für GS1? Wo sehen Sie GS1 im Jahr 2020?
Da GS1 auf das Jahr 2020 hinarbeitet, haben wir uns klar definierte Ziele gesetzt. Das GS1 System soll für alle Branchen stärker nutzbar gemacht und in der Wirtschaft verankert werden, denn es bildet das Kernstück all unserer Aktivitäten. Unsere Werkzeuge, die es Unternehmen und Organisationen ermöglichen, qualitativ hochwertige Daten zu ihren Produkten und Prozessen zu pflegen und untereinander zu teilen, sollen vermehrt zum Einsatz kommen, denn sie ermöglichen einen vollständigen Überblick über die zunehmend globalen und komplexeren Supply Chains. Auch in der Beziehung zwischen Unternehmen und Privatpersonen sollen in Zukunft unsere freiwilligen Standards eine immer wichtigere Rolle einnehmen – Mobile Commerce und digitale Business-to- Consumer-Interaktion haben ein grosses Potenzial.

Gibt es eine Zukunft für nationale Mitgliedsorganisationen?
Aber sicher! GS1 könnte ohne ihre nationalen Organisationen nicht existieren. Sie kennen die lokalen Bedürfnisse ihrer Mitglieder. Sie sind Tag für Tag vor Ort und begleiten Unternehmen und Organisationen in der praktischen Umsetzung von Standards und standardbasierten Dienstleistungen. Wenn wir uns andere Organisationen ansehen, die globale Standards entwickeln, sehen wir, dass GS1 durch ihre lokale Präsenz einzigartig ist.

Welche Technologietrends erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Der Markt der Smartphones und Tablet- PCs wird weiter wachsen. Spezielle Anwendungen müssen entwickelt werden, damit der Verbraucher mit den Partnern in der Supply Chain interagieren kann.

Warum wurde die Einführung des GS1 DataBar auf das Jahr 2014 verschoben? Ist die Technologie noch nicht bereit für den Markt oder ist der Markt noch nicht bereit für neue Technologien?
Die Standards für den GS1 DataBar sind bereit und die Technologie, um ihn zu drucken und zu lesen, ist ebenfalls marktreif. Jedoch wird sich die Einführung des GS1 DataBar an den Bedürfnissen der Wirtschaft und an der Geschwindigkeit des Marktes orientieren. Einzelne Händler und ihre Zulieferer testen aber bereits die Symbologie und zeichnen gewichtsvariable Waren mit Zusatzinformationen wie Gewicht oder Mindesthaltbarkeitsdatum aus.

Mobile Commerce ist ein neuer «Trend». Wird dies nicht überbewertet? Warum sollten die Unternehmen mitmachen?
Mobile Commerce ist definitiv nicht bloss ein Trend. Ich behaupte sogar, dass Mobile Commerce unterbewertet wird. Branchenexperten schätzen, dass es bis 2015 etwa 2,5 Milliarden Smartphones geben wird und dass mobiles Internet 70 Prozent der Handynutzung ausmachen wird. Mobile Commerce zu ignorieren, könnte sowohl für Markeninhaber als auch für Einzelhändler gefährlich werden. So können heute schon über Mobiltelefone Informationen zu Produkten und deren Allergene abgerufen werden. Über das Smartphone können Rabattcoupons abgebildet und Eintrittskarten, Parkplätze oder Fahrausweise bezahlt werden. Diese Anwendungen sind nicht einfach nur «trendy» – sie erfüllen ein echtes Bedürfnis.

Standards – ist das nicht etwas monoton?
Manche mögen denken, dass Standards ein bisschen «langweilig» sind, aber dem stimme ich nicht zu. Standards sind die Grundlage für einen klaren, verständlichen Austausch zwischen Unternehmen in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft. Das hilft, die Kosten für alle niedrig zu halten. Dies ist ein wichtiger Grund, warum Standards sinnvoll und interessant sind! Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass eine Reihe von CEOs einiger der grössten Unternehmen der Welt in unserem Vorstand sitzen. Das ist ein weiterer Indikator dafür, dass Standards zum unternehmerischen Alltag gehören.


Die Fragen stellte Joachim Heldt.

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