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«Der Sport hat nach wie vor ein positives Image in der Gesellschaft.»

Robbert de Kock, Generalsekretär des Weltverbands der Sportartikelindustrie, WFSGI(bs) Der ehemalige Profisportler und Neoschweizer Robbert de Kock ist Generalsekretär des WFSGI, des Weltverbands der Sportartikelindustrie. Seit vier Jahren leitet er die Geschäfte der unabhängigen Vereinigung.

Wann wurde der Weltverband der Sportartikelindustrie WFSGI gegründet?
Robbert de Kock: Das war 1978. Der Sitz befindet sich in der Schweiz, zuerst in Zürich, dann in Freiburg, in Verbier, in Lausanne und jetzt in Ostermundigen, also am fünften Standort innerhalb dieser 33 Jahre.

Warum wurde die Schweiz als Sitz des Generalsekretariats gewählt?
Weil das Land wirtschaftspolitisch stabil ist und viele internationale Organisationen – auch internationale Sportverbände – ihren Sitz in der Schweiz haben.

Gab es eine Vorläuferorganisation?
Nein, die Sportartikelhersteller waren bis 1978 auf Weltebene nicht organisiert.

Was war der Auslöser für die Gründung des WFSGI?
Als sich in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts abzeichnete, dass sich die Märkte immer stärker globalisierten, mussten die Sportartikelverbände und -hersteller reagieren und entsprechende Strukturen aufbauen. Gegründet wurde der Weltverband durch nationale und kontinentale Industrieverbände und durch verschiedene Markenhersteller.

Welches waren die ersten konkreten Aufgaben?
Die ersten Aufgaben waren der Austausch von Erfahrungen in den verschiedenen Märkten und die Bekämpfung von Markenverletzungen – inklusive Bekämpfung von Raubkopien. Heute ist die rechtliche Lage besser, was aber nicht heisst, dass das Kopieren und Fälschen von Produkten abgenommen hätte; die aktuelle Rechtslage bietet uns jedoch eine bessere Unterstützung. Wir hatten sogar ein Umweltkomitee Ende der 80er- Jahre. In den 90er-Jahren folgte das Thema Kinderarbeit.

Und welche Themen dominieren heute?
Heute dominieren Handels- und Gesundheitsprobleme. Zudem stehen die Aktivitäten im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2012 in London im Vordergrund. Wir arbeiten mit dem IOC zusammen, unter anderem in Bezug auf alle Details der Sportartikelausstattung, Akkreditierungen und Tickets.

Welches sind Ihre aktuellsten Probleme?
Im Moment haben wir starke Exportprobleme mit Sportschuhen von China nach Brasilien, wo hohe Einfuhrzölle eingefordert werden. Das hat zur Folge, dass der Preis eines Produkts in Brasilien durchschnittlich um 280 Prozent erhöht wird. Das gleiche Produkt – zum Beispiel von Nike, Adidas oder Puma – kostet in der Schweiz nur halb so viel wie in Brasilien. Wir wehren uns im Auftrag der Sportartikelhersteller gegen diese aus unserer Sicht unrechtmässige Steuer. Die brasilianische Regierung argumentiert, dass es eine lokale Sportartikelproduktion gebe, die mit den Importen aus China gefährdet werde. Aus unserer Sicht ist es in Brasilien derzeit nicht möglich, gewisse Produkte in der von uns gewünschten hohen Qualität und zu günstigen Verkaufspreisen herzustellen. Ausserdem könnte Brasilien in keinem Fall die gefragte Menge produzieren.

Wie gehen Sie in diesem Fall konkret vor?
Wir arbeiten einerseits eng mit dem chinesischen Wirtschaftsministerium zusammen, weil auch China ein Interesse daran hat, dass wir grundsätzliche  Lösungen finden – im Rahmen des WTO-Vertrags. Andererseits werden unsere Interessen in Brasilien durch unsere lokale Industrieorganisation und deren Anwälte vertreten. Mit anderen Worten: Wir bauen Brücken. Grundsätzlich besteht unsere Arbeit in einem Zusammenspiel von verschiedenen Elementen, wir ziehen gleichzeitig an mehreren Strängen und übernehmen die Koordination und die Führungsrolle.

Arbeitet der WFSGI auch mit der FIFA zusammen?
Die FIFA ist Mitglied bei uns. Mit ihr arbeiten wir im Bereich Corporate Responsibility zusammen. Das heisst: Bevor ein Produkt – beispielsweise ein Fussball – mit dem Label FIFA APPROVED oder FIFA INSPECTED deklariert werden kann, müssen die Markenhersteller beim WFSGI eine Bestätigung einholen, dass keine Kinderarbeit an diesem Produkt beteiligt ist, dass es unter fairen Arbeitsbedingungen zustande kam und dass die Arbeitsregeln des Landes eingehalten wurden. Erst wenn das alles stimmt, geben wir das Produkt für die FIFA frei.

Arbeitet der WFSGI auch mit internationalen politischen Organisationen zusammen?
Ja, wir arbeiten mit allen Organisationen der Vereinten Nationen (UN) zusammen, zum Beispiel mit der Welthandelsorganisation (WTO), aber auch mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Hinblick auf ein Projekt zur Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten. Zu diesen gehören neben Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch Adipositas und Diabetes. Das sind gegenwärtig die Hauptursachen für mehr als 60 Prozent der weltweiten Todesfälle. Am 15. September 2011 wurde in New York durch die WHO der «Aktionsplan zur Umsetzung der globalen Strategie zur Prävention und Bekämpfung nicht übertragbarer Krankheiten» verabschiedet.

Unser Verband ist insofern ein geeigneter Partner für die WHO, als wir die gleichen Interessen – eine gesunde Gesellschaft – haben. Sport ist das ideale Instrument zur Gesundheitsvor sorge. Vor allem für die Kinder, denn diese bewegen sich heute viel weniger als früher. Es ist erwiesen, dass ein Kind, das bis zum zwölften Lebensjahr nicht gelernt hat, sich aktiv sportlich zu betätigen, es später kaum mehr tun wird. Die Chance, dass es später sportlich noch aktiv wird, beträgt nur zwei bis drei Prozent. Der Anstoss zu mehr Bewegung kann unter anderem in der Schule gegeben werden, wozu wir einen Beitrag leisten können und wollen. Seit der Verabschiedung dieser Resolution sind wir nun in Zusammenarbeit mit der WHO und verschiedenen Stakeholdern daran, die nächsten Schritte zu entwickeln.

Ist das nicht eher eine staatliche Aufgabe?
Teilweise ist das eine staatliche Aufgabe, aber was macht ein Staat, wenn er kein Geld dafür hat? Wir sind bereit zu helfen und Verantwortung zu über nehmen – auch wenn unsere Industrie davon profitiert. Aber was ist daran schlecht, wenn wir eine Win-win-Situation erzielen? Wenn sich zum Beispiel jemand dank unseres Marketings entschliesst, fortan wandern oder laufen zu gehen, braucht er Schuhe und muss ins Sportgeschäft. Gleichzeitig tut er damit etwas für seine Gesundheit – und leistet einen Beitrag an die Gesundheitsprävention. Zudem tragen wir dazu bei, dass der Sport in der Gesellschaft ein positives Image hat.

Das klingt wunderbar, aber fügen sich alle grossen Sportartikelfirmen diesem Credo?
Alle Sportartikelfirmen haben ein Interesse an einer aktiven Bevölkerung. Natürlich gibt es Mitgliedfirmen, die genügend Geld haben, um unter ihrem Label eigene Projekte durchzuführen.

Sie streben also ein sozialpolitisches und ethisches Image für den Sport an?
Ja, klar, die meisten Firmen erachten ein ethisches Image als wichtig. Beispiele: «Football for Hope» der FIFA; Adidas hilft mit, indem die Firma kostenlos Fussbälle in Länder schickt, wo es keinen Zugang zu Sportartikeln gibt. Zudem liefern wir in einige afrikanische Regionen auch anderes Sportmaterial. In Südafrika gab es im Zusammenhang mit der WM verschiedene Aktivitäten von Nike, Adidas und Puma zur Unterstützung und Entwicklung von ärmeren Regionen in Südafrika.

Ihre Mitglieder sind ja untereinander auch Konkurrenten. Wie gehen Sie damit um?
Das Gemeinsame übertrifft das Trennende und Konkurrenzierende. Das Gemeinsame sind die Bemühungen zur Schaffung neuer und zur Erhaltung bestehender Märkte.

Wie teilen sich die Mitgliederfirmen diese neuen Märkte auf?
Das ist eine Frage des freien Marktes. Da greifen wir nicht ein.

Wie hoch ist der jährliche Umsatz der Sportartikelindustrie?
Weltweit beträgt der Umsatz 290 Milliarden Euro pro Jahr. Die Tendenz ist steigend, weil derzeit viele neue Märkte dazukommen, vorab China. Wir konnten 2003 in China einen Umsatz von 3,5 Milliarden feststellen, 2010 waren es schon 16 Milliarden. Amerika ist etwas rückläufig und macht heute noch knapp 100 Milliarden Umsatz. Aber relativieren wir das: 100 Milliarden US-Umsatz auf der Basis von 300 Millionen Einwohnern. Stellen Sie sich die gleichen Proportionen bezogen auf die Bevölkerung von China (eine Milliarde) vor. Das ist ein gigantisches Entwicklungspotenzial. Der Markt in Europa ist gesättigt, und wir müssen dagegen kämpfen, dass die Umsätze nicht abnehmen. Nur im Osten Europas bestehen noch Entwicklungsmöglichkeiten.

Und welches sind die stärksten Firmen?
Nike erreichte 2010 einen Umsatz von 19 Milliarden Euro, Adidas 12 Milliarden und Puma rund 2,7 Milliarden. In der Sportartikelindustrie gibt es nur rund 20 Firmen, die mehr als eine Milliarde Umsatz pro Jahr machen, aber Tausende mittlere und kleine Unternehmen.

Wie ist der WFSGI an der Spitze strukturiert?
Ich bin der Geschäftsführer mit dem Titel Generalsekretär. Dann gibt es einen ehrenamtlichen Präsidenten, Motoi Oyama, er ist gleichzeitig und hauptberuflich Präsident von asics. Unsere Präsidenten wechseln alle drei Jahre, gleichzeitig wechselt jeweils auch der Kontinent, aus dem der Präsident stammt. Dann haben wir ein «Board», einen Vorstand, der sich aus Vertretern der grossen Marken und nationalen Verbänden zusammensetzt und der sich mindestens zweimal pro Jahr trifft. Wir haben zusätzlich eine Generalversammlung, an der jedes Mitglied nur eine Stimme hat. Nike und Adidas, die bedeutend grössere Beiträge entrichten als ein kleines Mitglied, haben deshalb an der Generalversammlung nicht mehr Einfluss. Im Sekretariat in Ostermundigen arbeiten wir zu sechst, ergänzt mit 1,5 Stellen in Freiburg für die Finanzadministration, einem Legal Counsel in München und einem Trade Counsel in Brüssel. Dafür haben wir ein Jahresbudget von 1,5 Millionen Franken zur Verfügung, allerdings nur für den operativen Bereich.

Wie gross ist die Bandbreite der Sportartikel? Wo grenzen Sie sich ab? Wir haben keine Grenzen definiert, die Übergänge sind fliessend. Grundsätzlich gilt: Was man in einem Sportgeschäft findet, gehört zur Kategorie Sportartikel. Gleichzeitig gilt aber auch: Sport goes Fashion und Fashion goes Sport. Ralph Lauren und Tommy Hilfiger beispielsweise stellen mittlerweile auch Sportprodukte her, und umgekehrt beginnt Adidas, Modeschuhe herzustellen. Selbst Campingartikel werden in der Sportartikelbranche verkauft.

Wie viele Länder sind bei Ihnen vertreten?
Wir haben 15 nationale Verbände und einen kontinentalen, das ist Europa. Wir decken alle wichtigen Industrieländer ab. In gewissen Ländern gibt es keine Struktur für die Sportartikelindustrie, nicht mal einen Verband, der eine solche Rolle übernehmen könnte. In diesen Fällen übernehmen wir die Interessenvertretung.

Inwiefern sind Standards für Sie ein Thema?
Standards sind für uns ein wichtiges Thema, das wir aber bisher sträflich vernachlässigt haben. China hat uns deswegen kontaktiert und will mit uns über Standards in der Sportartikelindustrie reden. Für uns ist im Standardbereich wichtig, dass es eine globale Lösung gibt. Wir wollen vermeiden, dass es regional oder kontinental verschiedene Standards gibt. Leider ist das heute noch so.

Und inwiefern sind Auszeichnungen für Sie ein Thema?
Die EAN-Codes und das Labelling sind ein Dauerthema. Die FEDAS (Europäische Vereinigung der Verbände des Sportfachhandels) hat ein Klassifizierungssystem entwickelt, das allerdings nur in Europa verbreitet ist. Sie hat uns vorgeschlagen, dieses auf Weltebene zu übernehmen. Das zeigt, dass dieses Thema höchst aktuell ist. Wir stehen noch am Anfang, aber wir wollen es jetzt mit viel Schub vorantreiben.

Die Fragen stellte Bernhard Stricker.

 

Angaben zur Person

Robbert de Kock (geb. 1965 in Rotterdam) lebt seit 1987 in der Schweiz, wurde 2004 Schweizer Bürger und ist seit September 2007 WFSGI-Generalsekretär. 1987 kam er als Badminton-Profisportler in die Schweiz, spielte während neun Jahren in der Nationalmannschaft und war mehrfacher Schweizer Meister in seiner Disziplin. Danach begann er seine Karriere beim IOC als Sachbearbeiter für Marketing und Medien. Robbert de Kock hat eine Ausbildung in Ökonomie (MMO/HEAO) und Marketing (NIMA A/B) absolviert und sie mit verschiedenen Studien wie Projektmanagement (1996) und höheres Management (2001) ergänzt.

Bevor er sein Amt als WFSGI-Generalsekretär antrat, arbeitete er 14 Jahre in verschiedenen Funktionen für die Berner Basis von IIC (Intersport International Corporation). Als Produktmanager war er verantwortlich für Einkauf, Produktentwicklung, Markenbildung, Marketing und Vertrieb. Robbert de Kock spricht acht Sprachen fliessend. Auch heute noch ist er sportlich aktiv und spielt Tennis, Badminton, Volleyball, Golf, Fussball, segelt und fährt Ski. Robbert de Kock ist verheiratet und Vater von drei Kindern.


 

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