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Von Eineinhalbsprachigen und Logistikmännern

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine Lücke, der Grad zwischen Selbstmarketing und Lüge ist schmal. Bei Bewerbungen fast Alltag. Doch Kandidaten, die es mit eidgenössischen Fachausweisen und Diplomen nicht allzu genau nehmen, drohen straf- und zivilrechtliche Konsequenzen. Auch die Abschlüsse Logistikfachmann, Logistikleiter und Supply Chain Manager sind geschützt.

«Es gibt offensichtlich nichts, was es nicht gibt», meint Franco Miani. Kopfschüttelnd berichtet der Studien- und Prüfungsleiter bei GS1 Schweiz von einem nicht allzu lange zurückliegenden Fall. Im Rahmen einer Bewerbung waren der eidgenössische Fachausweis Logistikfachmann und das eidgenössische Diplom Logistikleiter vorgelegt worden. Doch von GS1 Schweiz hatte die Person die beiden eidgenössisch anerkannten Urkunden nicht erhalten. Die Krux: Für beide Abschlüsse ist GS1 Schweiz der einzige Prüfungsträger.
«Jeder, der den eidgenössischen Fachausweis zum Logistikfachmann beziehungsweise das eidgenössische Diplom zum Logistikleiter erhält, hat bei uns die Prüfung bestanden», erläutert Franco Miani. Die Vorbereitungslehrgänge sind nicht obligatorisch. In der Regel besuchen sie jedoch alle Kandidaten – sei dies bei GS1 Schweiz oder anderen Anbietern. Die Prüfung hingegen wird ausschliesslich von GS1 Schweiz abgenommen. «Für Logistikleiter und Logistikfachmänner führt sozusagen kein Weg an uns vorbei», sagt Miani.

Der Bauch bringt den Stein ins Rollen
Im konkreten Fall hatte die Person das Auswahlverfahren für eine offene Stelle bereits durchlaufen. HR-Berater O. E. (Initialen von der Redaktion geändert) wollte eine letzte Überprüfung vornehmen. Konkreten Anlass dafür hatte er eigentlich nicht. «Reines Bauchgefühl meint O. E. Er fragte den Berufskollegen E. A. (Initialen geändert) mit langjähriger Erfahrung in der Rekrutierung von Fachkräften in Logistik und Supply Chain Management. Obwohl die Dokumente stimmig schienen, fragte E. A. bei GS1 Schweiz nach, denn Abschlüsse zum Logistikfachmann und Logistikleiter durch ein und dieselbe Person seien eher selten. «Daten, Unterschriften, alles schien korrekt. » Doch GS1 Schweiz hatte diese Urkunden nicht ausgestellt.

Kein Kavaliersdelikt
Da Logistikleiter und Logistikfachmann geschützte Titel sind, wandte sich GS1 Schweiz an die Rechtsabteilung des SBFI, des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (ehemals BBT, Bundesamt für Berufsbildung und Technologie). Das SBFI ist Aufsichtsinstanz über die eidgenössischen Prüfungen und über die Vergabe der geschützten eidgenössischen Titel. «Niemand darf sich mit unlauteren Mitteln Berufsmann mit eidgenössischem Fachausweis oder diplomierter Berufsmann nennen», erläutert Martin Fischer, Leiter Kommunikation beim SBFI.
«Ein solches Vorgehen ist weder moralisch noch juristisch akzeptabel. Und es ist ein Affront gegen alle Logistikfachmänner und Logistikleiter, die sich ihre Abschlüsse auf ehrliche Weise erarbeitet haben», meint Franco Miani. GS1 Schweiz entschloss sich deshalb, rechtliche Schritte einzuleiten, und ersuchte das SBFI, Anzeige wegen Urkundenfälschung zu erstatten. Für das SBFI war das kein Novum. «Wir bearbeiten jedes Jahr mehrere Fälle», so Fischer. Es sei jedoch schwer, die Zahl genau zu beziffern. «Nicht immer übernehmen wir die Anzeige. Manchmal wenden sich betroffene Arbeitgeber oder Prüfungsträger direkt an die Strafverfolgungsbehörden.»

Vertrauen ist gut, Kontrolle ( manchmal) besser
Dass viele Fälle nicht ans Licht kommen, liegt auch daran, dass Diplome selten systematisch überprüft werden. «Das ist nicht machbar. Dafür hat man die Ressourcen nicht», meint O. E. «Davon abgesehen geht man nicht unbedingt davon aus, dass Zeugnisse gefälscht sein könnten.» Ähnlich äussert sich Andreas König: «Ein bisschen Grundvertrauen braucht es schon.» Er ist Geschäftsführer der Logjob AG und rekrutiert seit mehr als zehn Jahren Logistik- und Supply-Chain-Kader. Vor allem die Kandidaten, die in der Endauswahl stehen, prüfe er genauer. Referenzen stünden dabei im Vordergrund. «Zudem besteht ein Unterschied zwischen ‹beschönigen› und bewusst fälschen. Der Lebenslauf wird oft aufgepeppt, und aus mittelmässigen Französischkenntnissen werden dann schnell mal sehr gute.» Für O. E. war es das erste Mal in seiner Karriere, dass etwas nicht stimmte. «Persönlich war es für mich ein Weckruf», sagt er. «Ich bin in Fällen, wo ich ein ungutes Grundgefühl habe, vorsichtiger geworden und prüfe die Unterlagen gründlicher. Zudem habe ich mir erlaubt, nach dem Zufallsprinzip jedes zehnte Diplom überprüfen zu lassen.» Andreas König hat es in seiner Tätigkeit als Personalberater schon zweimal erlebt, dass Kandidaten über das «Beschönigen» hinausgegangen sind: «In beiden Fällen sind die vorgelegten Arbeitszeugnisse so nicht vom Arbeitgeber ausgestellt worden.» Ob rechtliche Konsequenzen oder nicht: Bei Andreas König und bei O. E. waren die betreffenden Kandidaten für die jeweilige Stelle jedenfalls aus dem Rennen.

Katharina Birk

 

Titelanmassung und Urkundenfalschung
Im Strafrecht wird unterschieden zwischen Titelanmassung und Urkundenfälschung. «Strafbar macht sich, wer einen geschützten Titel führt, ohne die dazu erforderliche Prüfung bestanden zu haben, und so den Anschein besonderer Auszeichnungen oder Fähigkeiten erweckt», erklärt Simon Lang von der Kanzleigemeinschaft RVBS Partner in Aarau. Bei der Urkundenfälschung werde eine inhaltlich unwahre Urkunde geschaffen oder über den Aussteller getäuscht. «Bei einem inhaltlich unwahren Dokument wird indes immer vorausgesetzt, dass diesem Dokument eine erhöhte Beweiskraft und somit Urkundenqualität zukommt», so Simon Lang weiter. Anders verhält es sich, wenn der tatsächliche Aussteller nicht mit dem aus der Urkunde ersichtlichen Aussteller identisch ist. «Das trifft zu, wenn sich jemand im Namen der Schule ein falsches Diplom ausstellt.» Der wesentliche Unterschied zur Titelanmassung bestehe darin, dass bei der Titelanmassung nicht zwingend eine «unwahre Urkunde» vorliegen müsse. «Es reicht, wenn sich jemand Dr., lic. phil. oder eidg. dipl. Logistikleiter nennt.»

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