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Von der Kommunikation zur Kollaboration

Von der Kommunikation zur KollaborationDie Wertschöpfungsketten werden immer komplexer und sind ohne E-Business kaum mehr zu bewerkstelligen. Bei der Migros sorgen die GS1Standards dafür, dass Prozesse automatisiert und ohne Medienbrüche kostensparend ablaufen.

(md/aw) Die Standardisierung der Waren- und Informationsflüsse in der Migros nahm schon vor vierzig Jahren ihren Anfang. Die wichtigste Voraussetzung zur Optimierung der Warenströme wurde in der Migros schon 1968 mit dem Projekt APOSS (Automatic Point of Sale System) pilotiert: ein maschinell lesbarer «BullsEye»-Code.

Dieser Code war speziell für die Migros entwickelt worden und trug den Namen «Oeil Migros», das M-Auge.

Der Test mit dem M-Auge war technisch erfolgreich, scheiterte aber an der Integration über die ganze Wertschöpfungskette und an der langen Scandauer. Erst in den Achtzigerjahren wurde der international bereits erprobte EAN-Code als Versuch in acht Filialen der Migros eingeführt. Durchgesetzt hat sich die Scanner- und Strichcode-Technik erst in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre. Ende der Achtzigerjahre waren Scannerkassen flächendeckend in der Migros installiert.

Heutige Strichcode-Standards
Im Warenfluss setzt die Migros heute konsequent auf GS1 Standards. Der Einsatz der Strichcodes auf der Stufe Consumer Unit ist unbestritten und hat sich seit Jahrzehnten etabliert. Die Stufe Traded Unit wird vor allem im Informationsfluss für die Bestellungen verwendet. Eine Auszeichnung der TU-Etiketten mit dem GS1-128- Strichcode ist (noch) nicht zwingend erforderlich. Die Paletten werden für die zentral beschafften Sortimente in den Bereichen Non Food, Fachmärkte und Food konsequent mit SSCC ausgezeichnet und von den Lieferanten entsprechend elektronisch avisiert.

Prozessmodelle in der Migros
Zwischen der Migros und den Lieferanten gibt es unterschiedliche Prozesse für den Warenfluss. Innerhalb dieser Prozessmodelle wird als Bewirtschaftungsmodell zwischen Buyer Managed Inventory (BMI = von Händler/Migros gesteuerter Bestand) und Vendor Managed Inventory (VMI = lieferantengesteuerter Bestand) unterschieden. Die Anwendung der Logistik- Prozesse variiert von Sortiment zu Sortiment stark.

Der grösste Anteil der Warenströme wird über die zwei Zentrallager Migros Verteilbetrieb Neuendorf (Food Tiefkühl, Near Food und Non Food) und Migros Verteilzentrum Suhr (Food) im Stockkeeping-Prozess (BMI oder VMI) abgewickelt. Im Non-Food- und Fachmarkt- Bereich wird auch der Directto- Store- oder der Cross Docking-Prozess angewandt.

Eine spezielle Form der Zusammenarbeit ist das Lieferantenlager. Die Waren lagern dabei physisch im Verteilzentrum der Migros, bleiben aber bis zum Abschluss des Rüstprozesses im Eigentum des Lieferanten. Diese Logistikvariante bringt Vorteile sowohl für die Migros als auch für den Lieferanten. Der Lieferant spart eine Lagerstufe ein, indem er einen Teil seines Produktionslagers im Zentrallager der Migros führt. Die Migros profitiert von einer erhöhten Versorgungssicherheit, einem geringeren Abwicklungsaufwand und von einer Reduktion der Kapitalbindung.

Die Frische-Sortimente (Früchte und Gemüse, Brot und Backwaren, Convenience, Blumen und Pflanzen, Fleisch, Fisch und Geflügel, Molkereiprodukte) werden über die zehn regionalen Genossenschaften abgewickelt. Die Frische wird je zu einem Drittel als Lagerware (Stockkeeping), als Cross Docking oder als Break Bulk angeliefert. Die Feinverteilung erfolgt jeweils durch die regionalen Genossenschaften.

Voraussetzung für die Anwendung von VMI-Lösungen und für Prozesse auf Filialebene ist die elektronische Anbindung des Lieferanten. Mit der schrittweisen SAP-Einführung seit 2003 hat die Migros die Voraussetzungen für einen durchgängigen Informationsfluss von der Verkaufsstelle über das Zentrallager bis zum Lieferanten geschaffen. Insgesamt hat die Migros bereits über 500 Lieferanten elektronisch angebunden. Davon betreiben gegen 380 Lieferanten VMI. In Bezug auf das wertmässige Einkaufsvolumen machen die elektronisch angebundenen Lieferanten über 80 Prozent aus.

Dabei kommen je nach Logistikvariante eine Vielzahl von EDIFACTNachrichtentypen zum Einsatz. Beim Stockkeeping VMI sind es beispielsweise PRODAT (Artikelstammdaten und ECR-Parameter wie beispielsweise Lagerumschlag und Lieferbereitschaftsgrad), INVRPT (Bestände und Bewegungen Zentrallager), ORDERS (VMI Lieferanten-Bestellung), DESADV (Lieferavis) und INVOIC ( Rechnung, signiert und MwSt.-konform). Insgesamt werden im elektronischen Datenaustausch mit Dritten (Lieferanten) mehr als zehn verschiedene Meldungs-Typen eingesetzt. Dies ermöglicht es, den Informationsfluss zwischen der Migros und den Geschäftspartnern durchgehend elektronisch abzuwickeln.

Damit auch kleinere und mittlere Unternehmen am elektronischen Datenaustausch teilhaben können, wird den Lieferanten mit der Migros- Standardlösung MLSonline eine kostengünstige Alternative zu einer EDI-Eigenlösung angeboten. Diese internetbasierende Client-Server-Applikation ermöglicht einen raschen, problemlosen Einstieg in EDI und kann als Stand-alone-Lösung betrieben oder stufenweise mit dem eigenen ERP-System verbunden werden.

Ausblick in die Zukunft
Ein unmittelbarer Ersatz des EANStrichcodes auf Stufe CU, beispielsweise durch den GS1 DataBar oder gar durch RFID-Tags, drängt sich für die Migros noch nicht auf. Die Migros hat entschieden, dass alle neu beschaffte Kassen-Hardware (Hand- und Flachbettscanner) GS1-DataBar-fähig sein muss. Ein verbindliches Datum, ab wann GS1 DataBar am POS und auf der gesamten Wertschöpfungskette gelesen werden können muss, wird vorderhand nicht definiert.

RFID wurde in der Migros auf der Stufe CU geprüft. Einige technische Probleme sind noch nicht gelöst (z. B. zu tiefe Leserate). Zudem sind die Chip- Kosten pro Einheit noch zu hoch. Als Insellösung wird RFID-Technologie auf der Stufe TU und LU in verschiedenen Track-and-Trace-Anwendungen bei einigen Migros-Industriebtrieben und -Genossenschaften bereits erfolgreich angewendet. Zukünftige Entwicklungen im Bereich RFID und GS1 DataBar werden in Zusammenarbeit mit GS1 weiter beobachtet.

Bei den Logistikprozessen lässt sich eine Tendenz zu einem flexibleren, situativen Einsatz verschiedener Varianten feststellen (zum Beispiel: die einmalige Erstbelieferung als Cross Docking, die Nachlieferungen ab Lager/ Stockkeeping). Obwohl das Unternehmen beim EDI-Einsatz bezüglich Breite und Tiefe bereits einen ausgezeichneten Stand erreicht hat, werden die Anstrengungen zur Optimierung der Prozesse/Meldungen weiter fortgesetzt. Zusammen mit den Geschäftspartnern wird laufend nach neuen Einsatzmöglichkeiten gesucht.

So bietet die Migros ihren Lieferanten seit einiger Zeit einen elektronischen Zahlungsavis (REMADV) an und vervollständigt damit die Informationskette «From Purchase to Pay». Im Weiteren ist man daran, die Möglichkeit der elektronischen Fakturierung (eINVOICE) auch auf Betriebskreditoren (Dienstleistungen, Verbrauchsmaterial usw.) auszudehnen. Mittelfristig sollen alle Partner, welche regelmässig mit der Migros Geschäfte tätigen, von den Vorteilen eines elektronischen Datenaustauschs profitieren können.

Die Standardisierung der Prozesse und Technologien hat inzwischen einen guten Stand erreicht. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet in der Schweiz der GS1 Fachbeirat e-Business, in dem sich Vertreter aus Industrie und Handel gemeinsam engagieren. Nachdem es in den Bereichen Beschaffung und Distribution primär noch um Optimierungen und vor allem Multiplikation geht, sieht die Migros die grosse Herausforderung für die Zukunft in einer besseren Unterstützung der vor- und nachgelagerten Prozesse wie Sourcing, Planning und Controlling durch internetbasierende Informations- bzw. Kollaborations-Systeme. Dabei geht es nicht – oder nicht nur – um die Gewinnung, sondern vor allem um die Nutzbarmachung von Daten.

Unter dem Motto «Turning Data into Information and Information into Value » werden Businessinformationen und Prozessdaten nicht nur den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt, sondern vermehrt auch mit den Geschäftspartnern geteilt und zum gemeinsamen Erfolg genutzt: zeitnah, stufengerecht und transparent. Bereits heute gewährt das Unternehmen einer grösseren Zahl ausgewählter Lieferanten einen Zugriff auf sein Datawarehouse und ermöglicht eine Online-Abfrage von Belieferungs-, Bestandes- und Abverkaufsdaten sowie weiteren relevanten Kennzahlen zur Performance ihrer Artikel. Dies ist ein erster Schritt auf dem Weg «von der Kommunikation zur Kollaboration».

Marcel Ducceschi
Aurelius Wespi

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