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«20 Prozent der Patienten verursachen 80 Prozent der Gesundheitskosten.»

Bernhard Wegmüller, Direktor, H+ Die Spitäler der SchweizBernhard Wegmüller, Direktor, H+ Die Spitäler der Schweiz, Bern

GS1 network: Der Gesundheitsmarkt ist ein 55-Milliarden-Markt, der wächst und Arbeitsplätze schafft. Wie sehen Sie sein Entwicklungspotenzial? Wo liegen seine Grenzen?
Bernhard Wegmüller: Die Entwicklung im Bereich der sozialen Krankenversicherung hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: dem medizinischen Fortschritt zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten und der Alterung der Bevölkerung. Die Zunahme von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und die Entwicklung von Behandlungen gegen Krebs oder Demenz geben diesem Markt ein riesiges Entwicklungspotenzial. Weltweit rechnet man damit, dass in den nächsten Jahren die Möglichkeiten zur Behandlung von Krankheiten erheblich zunehmen.

 

Daneben entwickelt sich der Markt der Gesundheitserhaltung und des Wohlbefindens rasant. Prävention, Gesundheitsförderung, Wellness- und Schönheitsangebote werden in den Industrieländern immer stärker nachgefragt. Die Grenzen des Wachstums liegen in der Kaufkraft und Wertehaltung der Bevölkerung. Bei den selbst bezahlten Waren und Dienstleistungen des Gesundheitsmarktes regeln Angebot und Nachfrage das Wachstum. In der sozialen Krankenversicherung nimmt auch die Politik Einfluss. Das starke Wachstum der Gesundheits- und Krankheitsausgaben in allen Industrieländern zeigt, dass den Menschen diese Leistungen sehr wichtig sind.

Wie lautet Ihr Rezept (bzw. der effektivste Hebel), um der Kosten explosion im Gesundheitswesen entgegenzuwirken?
Die zwei Treiber für die Mengenentwicklung sind der medizinische Fortschritt und die Alterung der Bevölkerung. Es ist wohl von niemandem das Ziel, diese beiden Faktoren zu bremsen. Denn dies würde Rückschritt und Rationierung heissen. Natürlich ist es wichtig, die Behandlungen möglichst effi zient anzubieten. Die Spitäler und Kliniken haben in den letzten Jahren viele Anpassungen vorgenommen und behandeln beispielsweise Patienten viel kürzer oder häufi ger ambulant. Die neuen Fallpauschalen ab 2012 unterstützen diese Entwicklung zusätzlich. 20 Prozent der Patienten verursachen 80 Prozent der Gesundheitskosten, die Hälfte davon alleine 60 Prozent. Die koordinierte Behandlung dieser Patienten birgt weiteres Sparpotenzial. Um die Voraussetzungen für integrierte Versorgung und Managed Care zu verbessern, müssen ambulante und stationäre Leistungen in Zukunft gleich finanziert (Monismus) und der Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen verbessert werden. Heute betreiben die Krankenkassen Risikoselektion statt die Förderung von koordinierten Behandlungsmodellen.

Und wie beurteilen Sie die eHealth-Strategie des Bundes?
Die eHealth-Strategie des Bundesrates ist ein Teil der eGovernment-Strategie. Sie soll dazu beitragen, dass die heute zersplitterten Prozesse im Gesundheitswesen besser koordiniert werden können. Damit sollen die Qualität in Behandlungsketten, die Effi zienz und die Transparenz unterstützt werden. Die eHealth-Strategie schafft für diese verbesserte Koordination zwischen den Akteuren die technischen Voraussetzungen wie eStandards und abgestimmte Prozesse.
Zwei Grenzen bleiben auch mit eHealth. Erstens ist eHealth sicher keine Wunderwaffe gegen die Zunahme der Leistungen und Ausgaben im Gesundheitswesen. Und zweitens müssen für die Stärkung der integrierten Versorgung auch die heutigen Fehlanreize bei den Krankenkassen beseitigt werden.

Wie stufen Sie die Supply Chain im Gesundheitswesen bezüglich Transparenz, Sicherheit und Durchgängigkeit ein?
Die Supply Chain ist so durchsichtig wie in anderen Branchen auch. Wir sehen da keine systematischen Unterschiede. Dank einheitlicher Standards, die über die Stiftung RefData teilweise schon bestehen, können Transparenz, Sicherheit und Durchgängigkeit weiter optimiert werden. In den Spitälern hat Sicherheit generell hohe Priorität. Elektronische Patientenakten und Fehlermeldesysteme helfen den Spitälern, die Patientensicherheit weiter zu verbessern. Um diese wichtigen Informationen auch gegen aussen nutzbar zu machen, sind einheitliche eStandards zentral.

Wo sehen Sie das grösste Einsparungspotenzial – ohne dass Leistung abgebaut werden müsste?
Die weitere Verbesserung der Behandlung von chronischkranken und schwer erkrankten Patienten bietet noch Chancen. Die technischen Hilfsmittel können in Form der modernen Informationstechnologie und einheitlicher Standards einen wichtigen Beitrag leisten. Es bleibt aber unerlässlich, dass bei den Krankenkassen die Fehlanreize beseitigt werden, die sie heute davon abhalten, solche koordinierten Behandlungsmodelle zu fördern. Ambulante und stationäre Leistungen müssen gleich finanziert und der Risikoausgleich massiv verbessert werden. Dass dies funktioniert, zeigen Erfahrungen in den Niederlanden.

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