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Hightech für eHealth

Hightech für eHealth(bs) Die «Strategie eHealth Schweiz» des Bundesrates vom Juni 2007 ist seit Anfang dieses Jahres in der Umsetzung. Federführend ist der neu gegründete Steuerungsausschuss eHealth von Bund und Kantonen. GS1 network im Gespräch mit Adrian Schmid, Leiter der Geschäftsstelle eHealth.

 

GS1 network: Warum brauchen wir eigentlich eine eHealth-Strategie? Wo liegen die Vorteile gegenüber der heutigen Situation?
Adrian Schmid: Im Gesundheitswesen werden Milliarden von Daten erfasst, zum Teil bereits elektronisch, sehr viel aber immer noch auf Papier. Wir stellen ein grosses Interesse der Ärzte, Apotheken oder Spitäler an behandlungsrelevanten Informationen fest. Doch viele Datenquellen sind für andere Behandelnde entweder nicht zugänglich oder technisch inkompatibel
– die Verfügbarkeit von behandlungsrelevanten oder sogar lebenswichtigen Informationen ist damit nicht gewährleistet. Zu oft müssen sich die Patientinnen und Patienten selber um die Weitergabe von Berichten oder Röntgenbildern kümmern. Die koordinierte elektronische Vernetzung hat das Potenzial, das Gesundheitswesen sicherer, effizienter und qualitativ besser zu machen.

Welche Ziele hat die «Strategie eHealth Schweiz» des Bundesrates?
Die Stossrichtung lässt sich am besten anhand der dreiteiligen Vision des Bundesrates zusammenfassen. Teil 1: «Die Menschen in der Schweiz können im Gesundheitswesen den Fachleuten ihrer Wahl unabhängig von Ort und Zeit relevante Informationen über ihre Person zugänglich machen und Leistungen beziehen.» Ziel ist es in diesem Bereich, bis zum Jahr 2015 für alle ein elektronisches Patientendossier zu ermöglichen und damit die Qualität der Versorgung und die Patientensicherheit zu verbessern. Teil 2: «Die Menschen in der Schweiz sind aktiv an den Entscheidungen in Bezug auf ihr Gesundheitsverhalten und ihre Gesundheitsprobleme beteiligt und stärken damit ihre Gesundheitskompetenz.» Ein Portal soll in Zukunft den Zugriff auf das persönliche elektronische Patientendossier ermöglichen. Dieses Portal kann mit Gesundheitsinformationen und Diensten für Patientinnen und Patienten gekoppelt sein.
Teil 3: «Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) werden so eingesetzt, dass die Vernetzung der Akteure im Gesundheitswesen sichergestellt ist und dass die Prozesse qualitativ besser, sicherer und effi zienter sind.» Die IKT soll so eingesetzt werden, dass die Abläufe zwischen Ärzten, Spitälern, Apothekern oder Versicherern möglichst durchgängig und ohne fehleranfällige Medienbrüche gestaltet sind.

Wie weit ist diese Strategie bis heute schon umgesetzt?
Die Umsetzung der nationalen Strategie erfolgt nicht auf einen Schlag. Es wird aufgrund der Zuständigkeit der Kantone für die Versorgung regional unterschiedliche Geschwindigkeiten geben. Im März dieses Jahres hat der Steuerungsausschuss des Koordinationsorgans von Bund und Kantonen eine «Architektur eHealth Schweiz» mit einer ersten Liste von Standards verabschiedet. Wir empfehlen allen Akteuren, diese Vorgaben bei zukünftigen Neu- und Ersatzinvestitionen zu berücksichtigen. Damit kann eine wichtige Grundlage für die anlaufenden Aktivitäten in den Kantonen gelegt werden. Auf Bundesseite wird im Jahr 2010 die neue Versichertenkarte eingeführt, die zur Identifi kation der Versicherten eingesetzt werden kann.

Adrian Schmid, Leiter Geschäftsstelle eHealthWo liegen die grössten Hindernisse und Widerstände bei der Umsetzung der Strategie?
Ohne Projekte kein Nutzen, ohne absehbaren Nutzen keine Investitionen, ohne Investitionen keine Projekte. Es ist nicht einfach, diesen Kreislauf zu durchbrechen. «eHealth» ist aber mehr als der Einsatz von Computern und Breitband-Internet, digitalen Identitäten oder die Einigung auf technische Standards und Inhalte. Für den Erfolg von «eHealth» zwingend ist der Wille aller Akteure im Gesundheitswesen, Informationen im Interesse der Pati enten zu teilen – also das Verständnis, ein wichtiger Teil in einem vernetzten System zu sein. Das Schweizer Gesundheitswesen ist jedoch dezentral und zum Teil sehr kleingewerblich organisiert. Das erschwert bei einigen Akteuren den Blick für das Ganze.

Seit Anfang 2008 ist das gemeinsame «Koordinationsorgan eHealth» von Bund und Kantonen im BAG operativ. Sind die Interessen von Bund und Kantonen identisch? Ist eine dezentral-föderalistische Struktur (Kantone) mit einer zentralistischen (eHealth) kompatibel?
Bund und Kantone sind in unterschiedlichen Rollen für die Sicherheit, die Qualität und die Effizienz des Gesundheitswesens verantwortlich. Insofern decken sich die Ziele. Darüber hinaus braucht es eine Rollenteilung. Ein einzelner Kanton ist zu klein, um eine eHealth-Lösung zu verankern. Deshalb wird es nationale und kantonale Aufgaben geben, die sich ergänzen. Eine wichtige Frage ist politisch noch nicht beantwortet: In welcher Rolle bezahlt die Bevölkerung die notwendigen Startinvestitionen? Als Steuerzahler des Bundes? Als Steuerzahler des Kantons? Als Prämienzahler? Als Selbstzahler? Oder in welcher Mischform?

Ohne Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) funktioniert eHealth nicht. Auf welche Technologie (Standards) stützt sich die eHealth-Strategie?
Standards gibt es viele – die Kunst liegt bei der richtigen Auswahl. Die «Architektur eHealth Schweiz» setzt auf den IHE-Ansatz. Unter dem Dach der Initiative «Integrating the Healthcare Enterprise» arbeiten Anwender und Firmen weltweit seit gut zehn Jahren daran, die IT-Systeme im Gesundheitswesen durch den konsequenten Einsatz von Standards interoperabel zu machen. Der Vorteil: Bestehende Systeme können mit der Erweiterung von IHE-Vorgaben interoperabel gemacht werden. IHE-Profile sind heute in über 200 Produkten umgesetzt. Der Markt ist somit reif.

In Dänemark hat Medcom einheitliche Standards für den strukturierten Informations- und Daten austausch entwickelt. Ist eine solche Lösung auch für die Schweiz denkbar?
Ob in Dänemark oder in der Schweiz – es braucht die Einigung auf Standards für den strukturierten Informationsund Datenaustausch. Die Schweiz wird aber sicher nie auf die technische Lösung eines einzelnen Anbieters setzen. Wir bemühen uns um offene Standards als Basis für einen fairen Wett bewerb unter den Anbietern von technischen Lösungen. Das gefällt zwar nicht allen, es verringert aber die Gefahr von teuren Monopolstellungen.

Hat das dänische eHealth-Modell Vorbildfunktion für die Schweiz? Wo steht die Schweiz im europäischen Vergleich?
In der Tat gehört Dänemark zu den eHealth-Musterstaaten Europas. Die Dänen haben bereits 1996 die Initiative zum Aufbau von «ePatientendossiers» ergriffen und zielstrebig umgesetzt. Beim Vergleich zwischen der Schweiz und Dänemark geht jedoch häufig vergessen, dass die Skandinavier ein staatliches Gesundheitswesen mit optimalen organisatorischen Voraussetzungen für eHealth haben. Dagegen muss die Schweiz mit der geteilten Verantwortung zwischen Bund und Kantonen den steinigen Weg gehen. Im europäischen Vergleich hat die Schweiz konzeptionell sicher aufgeholt, im Alltag der Spitäler oder Arztpraxen folgt die Veränderung nicht von einem Tag auf den anderen.

Als erster Schritt (der eHealth-Strategie) wird die Versichertenkarte eingeführt. Wann genau? Und welche Daten enthält sie?
Die Einführung der Karte erfolgt auf Anfang 2010. Die Karte enthält die wichtigsten Angaben zur Person sowie die neue AHV-Nummer als starkes Identifikationsmerkmal. Die versicherte Person muss dem Arzt, Apotheker oder Spital die Versichertenkarte beim Bezug von Leistungen vorweisen. Damit kann sichergestellt werden, dass gleich zu Beginn der Abrechnung korrekte Daten verwendet werden. Zudem können persönlich-medizinische Daten auf der Versichertenkarte gespeichert werden. Patientinnen und Patienten sollen damit die Möglichkeit erhalten, bei einer geplanten Konsultation oder im Notfall einem Leistungserbringer wichtige Informationen über ihre Person und ihren Gesundheitszustand zugänglich zu machen – zum Beispiel Krankheiten, Unfallfolgen, Allergien oder eingenommene Medikamente.

Welche konkreten Konsequenzen hat die Einführung der Versichertenkarte a) für die Versicherten, b) für die Leistungserbringer und c) für die Versicherer?
Die Versicherten erhalten neu eine einheitliche «ID für das Gesundheitswesen», die sie für die Abrechnung vorzeigen müssen und auf welcher sie auf Wunsch wichtige medizinische Informationen speichern können. Die Leistungserbringer haben rasch Zugang zu den wichtigsten Abrechnungsdaten ihrer Patientinnen und Patienten. Freiwillig können sie den Patientinnen und Patienten auch medizinische Daten auf die Karte schreiben. Die Versicherer wiederum stellen ihren Kunden für jährliche Kosten von 1 Franken pro Jahr eine Karte aus und erhalten dafür bessere Abrechnungsdaten.

Ist der Datenschutz gewährleistet?
Ja, die Versichertenkarte ist rechtlich gut etabliert und die Daten entsprechend abgesichert.

Inwiefern ist die IT-Branche bei der Planung der Versichertenkarte (bzw. des eHealth-Systems) einbezogen worden?
Die Erarbeitung des technischen Standards eCH-0064 für die Versichertenkarte erfolgte in einem offenen und transparenten Prozess. Die IT-Branche war zur Teilnahme eingeladen und hat zum Teil auch mitgearbeitet.

Spielen die GS1 Standards bei der eHealth-Strategie eine Rolle?
Wir haben jedes Interesse, gut etablierte Standards zu berücksichtigen. Bei den medizinischen Daten auf der Versichertenkarte identifi zieren sich die Leistungserbringer mit ihrer EAN-Nummer. Die weitere Arbeit an den Standards erfolgt Schritt für Schritt.

Ist die Fokussierung der eHealth-Strategie (bzw. der Einführung der Versichertenkarte) auf rein technische und logistische Probleme womöglich der falsche Ansatz? Ist die Einführung der eHealth-Strategie nicht eher ein kulturelles oder mentalitätsmässiges Problem, weil sie durch die grosse Datentransparenz der Bevölkerung Angst macht?
Die Angst der Bevölkerung ist eine Behauptung. Umfragen im In- und Ausland zeigen eine grosse Bereitschaft zu einem modernen Informationsmanagement im Gesundheitswesen. Chronisch Kranke sind froh, wenn sie relevante Unterlagen schnell und einfach zugänglich machen können. Es sind eher die Leistungserbringer, die Angst haben vor Transparenz. Insofern geht Ihr Hinweis in die richtige Richtung: eHealth ist mindestens 80 Prozent «Kultur» und höchstens 20 Prozent «Technik».

Die Fragen stellte Bernhard Stricker.

 

Angaben zur Person

Adrian Schmid ist seit Anfang 2008 Leiter der Geschäftsstelle «eHealth» im neu geschaffenen Koordinationsorgan von Bund und Kantonen. Zuvor war er seit 2002 als Projektleiter tätig im Stab des Direktionsbereichs Kranken- und Unfallversicherung im Bundesamt für Gesundheit (BAG). In dieser Funktion leitete er unter anderem die Arbeiten an den Verordnungen zur Versichertenkarte und der Strategie eHealth Schweiz.

 

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