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Trends und Entwicklungen

 

Trends und EntwicklungenIn der aktuellen angespannten Lage stellt sich die Frage, wie sich die globale Wirtschaftskrise auf die Struktur und die Prozesse der Supply Chain auswirkt und welchen Beitrag das Supply Chain Management zur Überwindung der Krise leisten kann.

 

(sm/et/cb) Nach vielen Jahren sinkender Logistikkosten sind diese europaweit seit 2003 um knapp 20 Prozent gestiegen und werden bis 2013 voraussichtlich weiter ansteigen. Um den Herausforderungen der globalen Wirtschaftskrise zu begegnen, müssen sich die Supply Chains verändern. Das geht aus der aktuellen Studie «Excellence in Logistics » hervor.

 

 

Die Untersuchung zeigt, wie sich aus der globalen Wirtschaftskrise neue Anforderungen an die Supply Chain ergeben und welche operativen, strukturellen und organisatorischen Antworten in den einzelnen Branchen, aber auch branchenübergreifend, auf die Krise gegeben werden. Vor diesem Hintergrund sind auch die Themen «Nachhaltigkeit» und «Trends in der Supply-Chain-Informationstechnologie » untersucht und neu bewertet worden. An der Studie, die seit 1982 alle fünf Jahre von der European Logistics Association und A.T. Kearney durchgeführt wird, haben 150 Unternehmen aus 18 europäischen Ländern und aus acht verschiedenen Branchen teilgenommen.

 

Excellence in Logistics

Eine optimierte, regionale Aufstellung der Supply-Chain-Netzwerkstrukturen, eine höhere Flexibilität sowie straffes Risikomanagement und systematische Steuerung des Nettoumlaufvermögens sind gemäss der aktuellen Studie die zentralen Erfolgsfaktoren. Die Studie verbindet die Entwicklung der klassischen Kosten- und Leistungsbenchmarks im Supply Chain Management, die über den Zeitraum 1982 bis 2008 erfasst und bewertet wurden, mit dem Schwerpunktthema «Supply Chain Excellence in der globalen Wirtschaftskrise ».

 

«Auf der einen Seite gilt es, die Supply- Chain-Kosten und die Bestände inklusive des gebundenen Kapitals so niedrig wie möglich zu halten. Auf der anderen Seite steigen jedoch die Anforderungen der Kunden bezüglich Lieferzeiten, Lieferfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit. Diesen Zielkonflikt strategisch richtig aufzulösen, ist in Zeiten der Wirtschaftskrise wichtiger denn je, will man seine Wettbewerbsposition verbessern und gestärkt aus der Krise hervorgehen», so Dr. Stephan Mayer, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des Projektteams.

 

Steigende Kosten und hohe Bestände

Eine wichtige Kennzahl für die Supply Chain Performance sind die Logistikkosten. Seit Beginn der Studie sind diese von 12,1 Prozent im Jahr 1987 um 50 Prozent auf 6,1 Prozent im Jahr 2003 gesunken. In den Folgejahren bis 2008 sind die Logistikkosten bei unverändertem Branchenmix um knapp 20 Prozent von 6,1 auf 7,3 Prozent des Nettoumsatzes wieder angestiegen. Dabei verteilt sich der Zuwachs auf die drei Kostenkomponenten Transport, Lagerbetriebs- und Bestandeskosten.

 

Als grösster Kostenblock sind die Transportkosten zu nennen, die im Zeitraum zwischen 1987 und 1998 nahezu halbiert wurden. Der Kostenrückgang ist auf die Liberalisierung der Frachttarife und andere Einfüsse zurückzuführen. Der anschliessende Anstieg der Logistikkosten erklärt sich mit der fortschreitenden Globalisierung und den damit zusammenhängenden grösseren Transportentfernungen und den gestiegenen Treibstoffkosten.

 

Auch im Bereich der Lagerbetriebs- und Bestandeskosten ist im Zeitraum von 2003 bis 2008 eine Steigerung zu verzeichnen. Die Lagerbetriebskosten sind von 1,5 Prozent auf 1,8 Prozent angestiegen, was einem Zuwachs von 20 Prozent entspricht. Die Studie geht davon aus, dass die Kostensteigerung auf die deutliche Zunahme der Artikelvielfalt im globalen Kontext und die wachsende Bedeutung von Value Added Services zurückzuführen ist. Ebenso sind die Bestandeskosten im gleichen Zeitraum von 0,8 Prozent auf 1,2 Prozent deutlich angestiegen. Die Studie prognostiziert einen weiteren Anstieg der Bestandeskosten bis ins Jahr 2013. Es ist jedoch fraglich, ob die Annahme vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise wirklich eintrifft, denn die Unternehmen werden gezwungen sein, ihre Bestände abzubauen.

 

«Gebundenes Kapital in der Supply Chain ist in Form von Beständen auf allen Wertschöpfungsstufen des Unternehmens zu finden. In der Krise sind sie daher von Bedeutung, da sie in erheblichem Umfang dringend benötigtes ‹Cash› absorbieren können. Kurzund mittelfristig werden Unternehmen mehr denn je aufgefordert sein, durch eine Optimierung der Bestände alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Liquidität und der Kapitalstruktur konsequent zu nutzen», erklärt Erik Thiry, Direktor bei A.T. Kearney.

 

Logistikkosten nach Branchen

Bei der Betrachtung der einzelnen Branchen sind mit Ausnahme des Detailhandels heute höhere Supply- Chain-Kosten festzustellen als vor fünf Jahren. In der Prozessindustrie sind die Logistikkosten deutlich angestiegen. Der Zuwachs beträgt 28 Prozent. Hier sind vor allem die hohen Bestände und die damit zusammenhängenden Lagerbetriebskosten zu nennen, weil in der Vergangenheit vermehrt auf Lager produziert wurde. Beim Maschinenbau belaufen sich die Logistikkosten auf 7,1 Prozent des Nettoumsatzes, in der Konsumgüterindustrie auf 8,4 Prozent.

 

Einzig der Detailhandel fällt aus dem Rahmen. Hier sind die Logistikkosten leicht gefallen. Der Kostenanteil beträgt 3,6 Prozent des Nettoumsatzes. Betrachtet man den Logistikkostenanstieg in der Konsumgüterindustrie, so scheint es dem Handel gelungen zu sein, einen Teil der Logistikkosten auf die Hersteller zu verlagern.

 

Nachhaltigkeit und Segmentierung

Gemäss der Untersuchung wird das Thema «Nachhaltigkeit» sehr ernst genommen und steht bei 60 Prozent der befragten Unternehmen auf der Agenda. Die Experten sind sich einig: hier besteht grosser Handlungsbedarf, denn Nachhaltigkeit muss im Unternehmen gelebt werden. Vor allem das Thema CO2-Footprint wird bis ins Jahr 2013 wesentlich an Bedeutung zunehmen, denn die Logistik ist neben der Produktion einer der wesentlichen CO2-Verursacher im Unternehmen. Im Moment jedoch macht es den Anschein, als ob die Krise das Klimadenken bremse.

 

Auch der Trend zur Segmentierung der Supply Chain, so die Erkenntnisse aus dem Jahr 2003, wird weiter anhalten. 64 Prozent der befragten Unternehmen geben an, ihre Supply Chain zu segmentieren. Bei der Bedeutung der Segmentierungskriterien fällt auf, dass einfache Kriterien, wie die Aufstellung der Supply Chain nach Produkt- oder Marktsegmenten, als sehr wichtig eingestuft werden. Als Folge der Segmen- tierung können Unternehmen einen besseren Lieferservice bei niedrigen Logistikkosten bieten und die Bestände tief halten. Unternehmen mit Supply-Chain-Segmentierung sind erfolgreicher als Unternehmen, die nicht differenzieren, so die aktuelle Studie.

 

IT-gestützte Logistik

Die Prozesse im globalen Supply Chain Management sind ohne durchgängige Informatik-Unterstützung nicht effektiv und ineffizient. Aus der Untersuchung geht deutlich hervor, dass die Bedeutung aller Bereiche der IT stark zunehmen wird. Ein durchgängiges, globales ERP-System wird von den befragten Unternehmen als wichtige Voraussetzung für die Prozessunterstützung in der Supply Chain eingestuft. So setzen 75 Prozent der Unternehmen ERP-Systeme insbesondere für Supply-Chain- und Finanzprozesse ein. Online-Anwendungen wie Realtime- Verfügbakeit im Auftragsprozess werden nur durch 39 Prozent der Unternehmen eingesetzt.

 

Gleich oder gar höher bewerten die Unternehmen Systeme zur Planungsunterstützung, zum Stammdatenmanagement und zum Performance Management. Hier wurden grosse Investitionen getätigt und ein Umsetzungsgrad von 70 Prozent wurde bei den Planungssystemen erreicht. Bei der Logistikplanung werden hingegen nur 45 Prozent der Unternehmen von der Informatik unterstützt. Diese Komponente wird aber in den nächsten Jahren an Bedeutung zunehmen. Beim Stammdatenmanagement setzen knapp 60 Prozent der befragten Unternehmen entsprechende Lösungen ein. Im Bereich der Business-Intelligence- Systeme sind es sogar 70 Prozent.

 

Mit geringer Priorität wurden Lösungen wie eBusiness-Plattformen und Track & Trace-Systeme bewertet. Im Bereich von eBusiness überwiegen Lösungen zur Lieferantenanbindung (74 Prozent), gefolgt von Kundenportalen (57 Prozent). Die Bedeutung von Track & Trace-Systemen wird aber in den nächsten fünf Jahren deutlich zunehmen.

 

Trotz Krise – Globalisierung geht weiter

Auch wird in Zukunft das Thema Globalisierung weiterhin eine zentrale Rolle im Supply Chain Management spielen. In den vergangenen Jahrzehnten war die Globalisierung einer der grössten Treiber für Wachstum und Wohlstand. Bei gleichzeitiger Zunahme der Bevölkerung stieg der Weltexport pro Einwohner von 450 Dollar im Jahr 1980 auf über 2000 Dollar im Jahr 2007. Exportorientierte Länder wie die Schweiz und Deutschland haben davon besonders profitiert.

 

«Die Wirtschaftskrise inklusive der Konjunkturprogramme einzelner Regierungen hat unlängst eine Umkehr des Globalisierungstrends nahegelegt. Dies wurde durch die aktuelle Studie jedoch nicht bestätigt. Als Folge der Wirtschaftskrise zeichnet sich zwar eine Verlangsamung der Globalisierungsdynamik ab, von einer Deglobalisierung sind wir jedoch weit entfernt», erläutert Cay Bernhard Frank.

 

Laut Einschätzung der befragten Unternehmen sind die wichtigsten Globalisierungstreiber die Faktoren, die im direkten Zusammenhang mit Einkauf und Beschaffung stehen, gefolgt von Treibern auf der Marktseite. Bei den kostenorientierten Treibern kommt den Personalkosten die grösste Bedeutung zu, vor den Energie- und Transportkosten. Die Studienteilnehmer gehen davon aus, dass die Bedeutung aller Globalisierungstreiber bis 2013 weiter zunehmen wird.

 

Konsolidierung, Regionalisierung, Flexibilisierung

Wichtige Wettbewerbsvorteile lassen sich über eine Konsolidierung und Regionalisierung der Supply Chain erzielen. Die Experten erwarten, dass die Zahl der Produktions- und Lagerstandorte in den nächsten Jahren zurückgehen und sich der gesamte Supply-Chain-«Footprint» konsolidieren wird. Die Entwicklung wird sich im Zuge der Wirtschaftskrise deutlich beschleunigen. Die Experten rechnen mit einer Straffung des Produktionsnetzwerkes um rund 20 Prozent bis ins Jahr 2013.

 

Erwartet wird auch, dass sich die Struktur der Produktionsnetzwerke hin zu einer stärker regionalen Aufstellung verschiebt. In Zukunft werden die meisten Produktionsstandorte regionale Märkte bedienen, die absolute Anzahl sowie der Anteil der Standorte, die nur lokal oder global liefern, werden zugunsten dieser regionalen Kernwerke zurückgehen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch bei der Eingangs- bzw. Distributionslogistik ab. Bei den Eingangslägern wird eine Reduktion von rund einem Drittel bis 2013 erwartet, bei den Distributionslägern von etwa 20 Prozent.

 

Verschiebung von Push zu Pull

«Unerschlossenes Potenzial liegt zudem in einer weiteren Flexibilisierung der Supply Chain. Es ist wichtig, dass Unternehmen die Reaktionsfähigkeit ihrer Supply Chain erhöhen, um so schnell auf die schwankende Marktnachfrage reagieren zu können. ‹Pull statt Push›, lautet hier die Devise, das heisst, kundenspezifisch statt für das Lager zu produzieren», erläutert Stephan Mayer.

 

Die Untersuchung hat allerdings gezeigt, dass die Mehrzahl der Befragten noch über keine konsequente «Pull- Supply-Chain» verfügt. Als Folge der zurückliegenden Boom-Jahre konnte 2008 im Vergleich zu 2003 sogar ein leichter Anstieg der «Push»-Produktion hin zu mehr «Make-to-Stock» beobachtet werden.

 

Dabei zeigen sich bei den untersuchten Branchen allerdings grosse Unterschiede. Obwohl die Automobilindustrie als Vorreiterin bei der Implementierung von neuen Produktionsphilosophien betrachtet werden kann, stehen derzeit etwa 20 Millionen «Push-Fahrzeuge» auf Halde. In der Fast-Moving-Consumer-Goods-Industrie und im Handel dominieren die Fertigung auf Lager und der Abverkauf vom Lager.

 

Liquidität maximieren, Risiken minimieren

«In Zeiten der Wirtschaftskrise ist das aktive Management des Nettoumlaufvermögens, das heisst von Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten, eine der Kernaufgaben des Supply Chain Management. Unternehmen sollten jetzt alle Möglichkeiten ausschöpfen, kurzfristig Kapital freizusetzen, um ihre Kapitalposition zu verbessern. Die Steuerung des Nettoumlaufvermögens ist ein oftmals vernachlässigtes Instrument», stellt Erik Thiry fest.

 

Für die Supply-Chain-Verantwortlichen kommt es jetzt darauf an, dass sie ihre Bestände senken, etwa durch einen systematischen Umbau der Supply Chain hin zu einer «Pull- Supply-Chain». Zudem sollten sie ihr Forderungsmanagement auf Optimierungschancen untersuchen und etwa durch eine schnelle und fehlerfreie Lieferung sowie Rechnungsstellung den «Cash-to-Cash-Cycle» verkürzen. Ebenso wichtig in der Krise ist ein funktionierendes Supply-Chain-Risikomanagement, mit dem Zahlungs- und Kreditrisiken gesteuert werden. Auch hier besteht Verbesserungspotenzial. Aktuell verfügt nur ein Drittel der befragten Unternehmen über ein Supply- Chain-Risikomanagement. Wichtig ist, Transparenz über die Leistungsfähigkeit der Supply-Chain-Prozesse zu schaffen und diese stetig zu verbessern.

 

Dr. Stephan Mayer

Erik Thiry

Cay Bernhard Frank

 

Überarbeitet von Joachim Heldt

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