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Logistikszenarien

LogistikszenarienAuch die Logistikbranche spürt die Auswirkungen der Finanz-und Wirtschaftskrise. Ein Aufschwung ist so schnell nicht zu erwarten. Erst durch Innovationen kann sich eine neue Wirtschaftsdynamik entwickeln.

(ws) Dieser Beitrag bezieht sich auf eine aktuelle Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats für Verkehr beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der Bundesrepublik Deutschland.

 

Branche im Wandel
Das Logistik- und Güterverkehrsgewerbe sieht sich weltweit massiv mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise konfrontiert. Infolge des drastischen Rückgangs des nationalen und internationalen Warenaustauschs sind auch die Aufträge für den Güterverkehr eingebrochen.

Die Rückgänge betreffen alle Verkehrsträger und erstrecken sich in Abhängigkeit der Relationen und der Charakteristika der Verkehrsleistungen von 10 Prozent bis teilweise über 50 Prozent. Im Landverkehr bewegen sich die Einbrüche beim Strassengütertransport um rund 20 Prozent, im unbegleiteten kombinierten Verkehr auf der Nord-Süd-Relation um bis zu 30 Prozent.

Von den Volumenrückgängen sind selbstredend alle Logistikleistungen bis hin zur Kontraktlogistik betroffen. Obwohl generalisierende quantitative Aussagen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Logistik- und speziell des Güterverkehrsgewerbes kaum möglich sind, stellt sich doch die Frage, welche Szenarien künftig für die Zukunft relevant sein können.

Neue Wege suchen
Rückblickend besagt die Erfahrung mit Konjunkturverläufen, dass sich am Ende eines positiven Zyklus eine Konjunkturblase (Bubble) herausbildet, der anschliessend ein drastischer Einbruch der Wirtschaft (Crash) folgt. So übertrifft die Schwere der Krise seit 2008 deutlich die Krise von 1929, als der Welthandel im ersten Jahr bei Weitem nicht so stark einbrach, wie dies derzeit zu beobachten ist.

Mit dem Crash erkennen Unternehmen, dass sich die traditionellen Entscheidungsroutinen als problematisch herausgestellt haben, und beginnen die nächste Wirtschaftsphase mit einer intensiven Suche nach neuen Wegen, die durch Innovationen bei Produkten und Prozessen sowie Versuche einer besseren Absicherung gegenüber Risiken geprägt sind.

Dieser Strukturwandel benötigt Zeit, sodass kein rascher Aufschwung nach der Krise erwartet werden kann. Langfristig kann es aber durchaus zu höheren Wachstumsraten kommen, wenn durch Innovationen eine neue Wirtschaftsdynamik entsteht. Der Entwicklungspfad von Strukturwandel und technischem Fortschritt lässt sich dabei nicht verlässlich prognostizieren. Aber es ist möglich, die grossen Herausforderungen zu beschreiben, welche die Wirtschaft langfristig bewältigen muss, um sich an künftige Rahmenbedingungen anzupassen.

Der Blick zurück
Die kräftige Ausdehnung von Güterverkehr und Logistik in den vergangenen beiden Jahrzehnten, vor allem zwischen den Jahren 2002 und 2008, ist aus den Treibern des Wirtschaftswachstums in diesem Zeitraum abzuleiten. Die Absenkung der Wertschöpfungstiefen gepaart mit einer globalen Verteilung der Produktion wurde durch Konzepte der bestandslosen Fertigung, Belieferungen im Direktverkehr ohne gezielte Bündelung, Cross-Docking-Konzepte zur Bestandsvermeidung in der Distribution oder Zentralisierung der Bestände in Europa – mit entsprechend weiträumigen Lieferradien – begleitet. Dies wurde durch ein niedriges Niveau der anteiligen Transportkosten an den gesamten Kosten der Wertschöpfungskette unterstützt.

Es boomten vor allem der Luftfracht- und der Containerschiffsverkehr auf internationalen Routen, in erster Linie nach Asien aufgrund des dynamischen Aussenhandels mit China und anderen asiatischen Ländern. Aber auch der Strassengütertransport hat durch die Individualisierung und Kleinteiligkeit der Güterbewegungen in Verbindung mit einer hohen Eilbedürftigkeit stark profitiert. Selbst der Einzelwagenverkehr der Bahn konnte in diesem Zeitraum eine ungeahnt positive Entwicklung nehmen.

Die Erhöhung der Treibstoffpreise in den Jahren 2006 bis 2008 hat diese Tendenz leicht gebremst. «Green Logistics»-Konzepte deuteten die Möglichkeit an, Logistikprozesse so zu organisieren, dass der wirtschaftliche Mehrwert mit möglichst geringem Einsatz an materiellen und natürlichen Ressourcen erreicht wird.

Im Zuge der Wirtschaftskrise sind solche Entwicklungen vorübergehend ins Stocken geraten. Mit den starken Produktions- und Aussenhandelseinbrüchen und den damit verbundenen Prognoseunsicherheiten geht der Versuch der Unternehmen einher, Bestände zu reduzieren und die Logistikprozesse so kurzfristig wie möglich zu disponieren.

Flexibilität ist gefragt
Durch die hohen Überkapazitäten bei den Transportunternehmen sind die Verlader gegenwärtig in der Lage, massiv Druck auf die Konditionen auszuüben und die Transporte oftmals zu Grenzkosten – teilweise sogar darunter – durchführen zu lassen. Damit stellt sich die Frage, welche Entwicklung Güterverkehr und Logistik nach einer Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums und des internationalen Austauschs nehmen werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürften die Unternehmen das gegenwärtige Verhaltensmuster mit kurzfristigen Dispositionen und flexiblen Anpassungen auch in der ersten Phase eines Konjunkturaufschwungs beibehalten.

Da aber die Transporteure ihre Kapazitäten zurückfahren – erinnert sei an die Einbrüche auf dem Nutzfahrzeugmarkt oder die Aufschübe bzw. Stornierungen beim Containerschiffbau – und begleitend Marktbereinigungen auf der Angebotsseite stattfinden, werden mittelfristig die Transportkosten speziell und die Logistikkosten generell wieder ansteigen.

Dies beflügelt eine strukturelle Änderung von Logistikprozessen. Ein solcher Trend wird durch zu erwartende Ölpreissteigerungen unterstützt. Ausserdem werden die EU sowie deren Mitgliedsländer nach überstandener Krise die beschlossene CO2-Reduktionspolitik fortführen, um die anspruchsvollen Klimaziele für 2020 zu erreichen. Die dafür angedachten verkehrspolitischen Massnahmen finden ebenfalls in einer Erhöhung der Transportkosten ihren Niederschlag.

In der Konsequenz steht ein Entwicklungspfad zur Diskussion, der sich durch neue Güterverkehrs-und Logistikkonzepte auszeichnet. Hierbei ist an folgende Optionen zu denken:

  • Intensivierung von Logistikkooperationen der Verladerschaft sowie der Logistikdienstleister mit dem Ziel der Bündelung von Sammel-und Verteilverkehren sowie der Hauptläufe.
  • Förderung von Allianzen und offenen Netzwerken im Stückgut- und Containerverkehr.
  • Erhöhte Anstrengungen zur Nutzung von Bahn und Schiff auf den Hauptläufen.
  • Besser vertaktete intermodale Transportangebote im Stückgut- und Containerverkehr.
  • Optimierung und Automatisierung des Umschlags in Güterverkehrszentren.
  • Verstärkte Nutzung emissionsarmer Fahrzeugtechnologien.

Die Realisierung innovativer Logistikkonzepte kann deshalb gesamtwirtschaftlich sinnvoll erscheinen, weil sowohl die Gesamtkosten der Logistik als auch der Energiebedarf und die Umweltbelastung zurückgehen. Die dafür erforderlichen leistungsfähigen Verkehrsmittel benötigen Infrastrukturen, die eine zuverlässige Taktung der Logistikprozesse zulassen.

Gleichzeitig ist zu beachten, dass langfristig nachhaltige Prozesse im Sinne von niedrigen Energieverbräuchen und CO2-Emissionen eine Stärkung der in diesem Bereich effizienten Verkehrsmittel erfordern. Hier besteht – vor allem im qualitativen Bereich – ein erheblicher Aufholbedarf, um zum Beispiel Bahnen und Binnenschifffahrt sowie die erforderlichen Umschlagsknoten für die künftigen logistischen Anforderungen vorzubereiten.

Daher gilt es, bereits während des Ausklangs der gegenwärtigen Wirtschaftskrise die verkehrspolitischen Weichen für derartige Entwicklungen durch anreizkompatible Massnahmen im Bereich der Steuer-, Gebühren-, Regulierungs-und Investitionspolitik zu stellen. Die Wirtschaftsakteure und die Verkehrspolitik sind also gleichermassen gefordert, den Güterverkehr und die Logistik aus der Krise zu manövrieren.

Wolfgang Stölzle

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