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Neue Wege gehen

Neue Wege gehen Die Techniken, um die logistischen Prozesse entlang der Supply Chain der Bau- und Immobilienwirtschaft zu unterstützen, sind vorhanden. Dennoch tut sich die Branche schwer, hält an Bewährtem fest und setzt weiterhin auf Misstrauen und Intransparenz.

(mh, ak, am) Was das Verständnis und die Entwicklung des Supply Chain Management in der Unternehmenspraxis angeht, bestehen sowohl branchen-als auch unternehmensabhängig erhebliche Unterschiede.

Der Problembereich «Bauen und Supply Chain Management» blieb lange Zeit weitgehend unbeachtet in Theorie und Praxis,sodass diese Art des Managements bei der effektiven und effizienten Gestaltung von Bauprozessen noch immer nur eine untergeordnete Rolle spielt. Umso wichtiger scheint es, auch in der Bauwirtschaft die Prozessketten unternehmensübergreifend tiefer zu betracjten und Produktivitätsreserven durch Verbesserungen bei den Prozessabläufen in Verbindung mit durchgängigen und transparenten Informationsflüssen zu erschliessen.

Konstellation der Supply Chain
Die Baubranche unterliegt einer Vielzahl von branchenspezifischen Randbedingungen. Die Einzigartigkeit der Projekte und die zunehmende Betrachtung des Lebenszyklus eines Bauwerks infolge immer kürzerer Nutzungszyklen für die Bau-und Immo- bilienwirtschaft erfordert für jedes Bauvorhaben eine Neuformierung der am Bau Beteiligten innerhalb der Supply Chain. In der Baubranche sind somit zahlreiche «Partner» an der Supply Chain des Bauens beteiligt. Im Einzelnen gehören dazu: öffentliche, gewerbliche oder private Bauherren, Kreditgeber, Objektplaner (Architekten usw.), Statiker und andere Fachplaner, die bauausführenden Unternehmen des Bauhaupt-, Bauneben-und Ausbaugewerbes, Baustoffhersteller und -zulieferer, Behörden, Prüfinstitutionen sowie Bauwerksnutzer/-verbraucher, Projektsteuerer, Projektentwickler usw.

Schwachstellen entlang der Supply Chain
Ein wesentliches Problem entlang der Prozesse der Supply Chain der Bau- und Immobilienwirtschaft besteht darin, dass ein in den EDV-Systemen abgebildeter, durchgängiger und zeitnaher Informations-und Belegfluss sowohl unternehmensintern als auch unternehmensübergreifend nicht existiert. Häufig erfolgt eine papiergebundene Weitergabe von Informationen auf nicht dauerhaften Informationsträgern. Hinzu kommt die zeitlich verzögerte Übertragung der «Zettelwirtschaft» in die EDV-Systeme. Definierte Schnittstellen für einen unternehmensübergreifenden Informationsaustausch sind kaum vorhanden. Das Planen, Erfassen, Kontrollieren, Steuern und Dokumentieren der Prozesse basiert derzeit lediglich auf den Erfahrungen und der Kompetenz der in die Projektabwicklung eingebundenen Personen und deren Kommunikationsfähigkeiten.

Einsatz von AutoID-Techniken und Standards
Im Rahmen der Forschungsprojekte «InWeMo» (Integriertes Wertschöpfungsmodell mit RFID in der Bau-und Immobilienwirtschaft) und «RFID-Baulogistikleitstand» (siehe Hintergrundinformationen) wird durch die Entwicklung eines Gesamtkonzepts ge- zeigt, wie insbesondere der Einsatz von AutoID-Techniken in Verbindung mit dem Einsatz von Standards zur Optimierung logistischer Prozesse beitragen kann. Das Gesamtkonzept wird für die Supply Chain entwickelt und an der Schnittstelle Baustelle/Aussen- welt zwischen einem Zulieferer und einer Baustelle an einem Demonstrator «RFID-Baulogistikleitstand» verdeutlicht. Als erster Arbeitsschritt des Gesamtkonzepts wird im Rahmen des Forschungsprojekts «InWeMo» das Übertragungspotenzial des EPCglobal- Netzwerks der Organisation GS1 auf die Bauwirtschaft geprüft und innerhalb eines sogenannten «RFID-Bauservers» simuliert, um den optimierten, durchgängigen Informationsaustausch entlang der Supply Chain zu ermöglichen. Zur Vervollständigung des Gesamtkonzepts wird im Rahmen des Projekts «RFID-Baulogistikleitstand» ein webbasiertes Informationsnetzwerk konzipiert und innerhalb des Baustellencontainers demonstriert. Hierbei wer- den verschiedene Applikationen im Baustellencontainer integriert, welche AutoID-Techniken zur Erzeugung von Ereignisdaten nutzen. Die Auswahl der zu demonstrierenden Prozesse basiert auf der Analyse von Basisprozessen, die auf eine Vielzahl von Bauprojekten übertragbar sind. Im Einzelnen werden folgende Applikationen in dem Container vereint:
• Webbasiertes «Baustellenavisierungsportal» zur Online-Transportanmeldung mit barcodebasierter Liefer-ID-Erzeugung
• Kommissionierung und Lagerverwaltung beim Zulieferer mittels mobiler RFID-Technik
• Disposition und Verladekontrolle beim Zulieferer mittels mobiler RFID-Technik
• Warenausgangskontrolle beim Zulieferer mittels stationärer RFID-Technik
• Waren-und Lkw-Tracking während des Transports mittels RFID-Leser am Lkw
• Barcodebasierte Zufahrtskontrolle auf Baustelle
• Wareneingangskontrolle auf Baustelle mittels mobiler RFID-Technik
• Lagerplatzverwaltung auf Baustelle mittels mobiler RFID-Technik
• Einbaukontrolle auf Baustelle mittels mobiler RFID-Technik
• Kombinierte Zutrittskontrolle
• Zeiterfassung und Kontrolle der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) beim Betreten der Baustelle bzw. des Arbeitsbereichs mittels RFID-Technik und Fingerprint
• Einbindung von RFID-basierten Schliessanlagen
• Stationäre und mobile Werkzeug- und Bauproduktionsmittelregistrierung
• Einbindung von RFID-basierten
Baustationen:Neben den Applikationen werden innerhalb eines «Bauprojektdatenservers» Stammdaten angelegt, welche die Basis zur Durchführung von Kontrollen und zum rechtzeitigen Steuern von Prozessen liefern.Die Dokumentation der Ergebnisse des Erfassens,Kontrollierens und Steuerns der Prozessdaten erfolgt in einem Digitalem Erweiterten Bautagebuch (DEBT).Der das EPCglobal-Netzwerk simulierende RFID-Bauserver ermöglicht den unternehmungsübergreifenden Informationsaustausch. Die Ergebnisse zeigen, dass mithilfe des Gesamtkonzepts eine Vielzahl der Prozesse entlang der Supply Chain unterstützt werden können.

Umsetzung in der Praxis
Immer wieder wird in der Praxis der Baubranche die Frage gestellt, ob der Einsatz der RFID-Technik eine Utopie darstellt und warum sich die Branche mit Innovationen so schwertut. Nach Meinung der Verfasser liegen die Hürden zur Einführung des Einsatzes von AutoID-Techniken zum einen in der Neugestaltung von Prozessen und zum anderen in der Anschaffung von Hard-und der Erschaffung von Software. Neben den für die RFID-Transponder anfallenden Kosten schrecken vermutlich die als hoch eingeschätzten Investitionen für die Einführung neuer Systeme viele Unternehmen ab, wenngleich festzustellen ist, dass die wenigsten Unternehmen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen tatsächlich ernst- haft angestellt haben. Zudem fürchten Unternehmen sich gegebenenfalls vor einer neuen Abhängigkeit von IT-Fachleuten. In der Branche werden auch in anderen Bereichen Standards für den IT-Einsatz gefordert; diese sind zum Teil heute sogar bereits vorhanden, so beispielsweise die GAEB-Standards oder IFC – über den Umfang der Nutzung gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Die Standardisierungsprozesse haben sich als langwierig herausgestellt, sodass hier eine skeptische Einstellung entstanden ist zu Themen, bei denen es um die Einführung neuer IT-Systeme geht. Die positiven Beispiele für die Bedeutung von IT-Einsatz auch im Bauwesen, wie CAD-, GPS-, Maschinensteuerungslösungen usw., werden hierbei offenbar weniger stark wahrgenommen als negative Beispiele. Der Einsatz von AutoID-Techniken für die Kontrolle und Steuerung ist nur möglich, wenn es geplante Soll-Prozesse und Soll-Zustände gibt. Infolge der heute noch immer anzutreffenden baubegleitenden Planung erschwert sich der Einsatz. Der sich aus der Planung ergebende kurzfristige Einsatz von Unternehmen,Materialbestellungen usw. hat in der Branche offenbar dazu geführt, dass ein gewisser «Stolz» auf die Improvisationsfähigkeit entwickelt wurde und daher das Effizienzpotenzial durch Prozessumgestaltung unterschätzt wird.

Alte Muster verlassen
Der Einsatz von AutoID-Techniken für die Dokumentation führt zu einer erhöhten Transparenz. Die grössten Produktivitätsvorteile durch den AutoID-Einsatz ergeben sich, wenn die gewonnenen Daten partnerschaftlich und unternehmensübergreifend – unter Wahrung des Datenschutzes und der Urheberrechte – eingesetzt werden. Die Einstellung der verschiedenen am Bau Beteiligten ist heute jedoch offenbar noch von starkem Misstrauen geprägt, aus dem sich der Wunsch ergibt, dass das eigene Handeln für alle Geschäftspartner möglichst intransparent bleibt – auch weil sich hieraus das eigene Geschäftsmodell ableitet: wer darf auf welche Daten zugreifen? Hierzu trägt auch der starke Preiswettbewerb bei, der heute gegenüber dem Qualitätswettbewerb in der Bauwirtschaft leider noch überwiegt. Intransparenz ist heute offenbar teilweise sowohl bezüglich des Personal-als auch des Materialeinsatzes noch gewünscht. Zudem ist eine gewisse Ablehnung Neuem gegenüber zu erkennen. Ein weiteres Hindernis in der Anwendung der RFID-Technologie liegt im fehlenden Technikverständnis und/oder im Unwillen, sich neuen Technologien zu öffnen. Damit die AutoID-Techniken ihren Durchbruch im Bauwesen schaffen, sollte nach Meinung der Verfasser der Wunsch zur Nutzung der Technik unternehmensintern geweckt werden. Dieser Wunsch wird geweckt werden, wenn die Unternehmen die Wettbewerbsvorteile erkennen. Hierbei spielen die Faktoren «Imagepflege» oder «Imagestärkung» durch die Darstellung der Innovationskraft eines Unternehmens eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Durch AutoID-Techniken, insbesondere die RFID-Technik, gegebenenfalls in Verbindung mit Sensorik, sind dynamische Qualitätskontrollen, langfristige Dokumentationen und somit Kostenersparnis bei Wartung, Instandsetzungen, Reparaturen, Umbauten, Abriss sowie eine Gewährleistung von Qualität über die Zeit möglich. Dies sollte genug sein, um über den Einsatz dieser neuen Technik nachzudenken. Weitere Informationen unter www.rfidimbau.de und www.baubetrieb.de

Prof. Dr. Manfred Helmus
Agnes Kelm
Anica Meins-Becker

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