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Wenn Sortierfehler zur echten Gefahr werden

Wenn Sortierfehler zur echten Gefahr werden Bei der Zuordnung der richtigen Blutgruppe darf nichts schiefgehen. RFID soll Restrisiken in der Supply Chain ausschliessen – und möglichst keine neuen heraufbeschwören.

(kk) «Öh, nee, lieber nicht» und «Die verfolgen ohnehin schon alles, was nicht niet-und nagelfest ist» lauten Kommentare, die auf dem Internet zum Thema «Blutspenden und Rückverfolgbarkeit durch RFID» (Radiofrequenzgestützte Identifikation) zu lesen sind.

Verwechselt
RFID könnte, was Blutspende-Organisationen und Blutbanken betrifft, tatsächlich an Bedeutung gewinnen. Internationalen Studien zufolge kommt es bei 6,5 Prozent aller Bluttransfusionen zu mehr oder weniger schwerwiegenden Komplikationen. Mehr als die Hälfte davon beruht auf Verwechslungen – und wäre somit vermeidbar. Die Folgen sind eklatant. Der Körper versucht das falsch zugeordnete Fremdmaterial abzustossen. Das Blut klumpt, die Körpertemperatur steigt, Schüttelfrost tritt ein. Mittlerweile gelingt es in der überwiegenden Anzahl solcher Fälle, das Leben der Patienten zu retten. Aber manchmal sterben sie auch. IT-Spezialist Ralf Knels, Leiter eines Instituts, das der Blutspendedienst des deutschen Roten Kreuzes in Cottbus unterhält, schätzt die Zahl der Todesfälle, die darauf zurückzuführen sind, in Deutschland auf drei bis vier pro Jahr. In Grossbritannien wurden innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren 210 Fälle mit schwerwiegenden Konsequenzen durch Übertragung der falschen Blutgruppe registriert. Bereits seit etlichen Jahren wird mit Barcode-Etiketten auf den Blutbeuteln gearbeitet, um der Verwechslungsgefahr vorzubeugen. Transporte müssen in jedem Fall temperaturgeführt erfolgen. Weil seit den 80er-Jahren neuen Ansteckungsgefahren wie der HIV-Immunschwäche und seit den 90erJahren auch BSE vorgebeugt werden muss, werden an die Rückverfolgbarkeit hohe Anforderungen gestellt. Zudem ist nach Unfällen, wenn für Sofort-Operationen Bluttransfusionen gebraucht werden, meist Eile angebracht. Knels führt als klassisches Beispiel einen Motorradunfall an. «Da haben Sie oft massive Blutungen im Bauchraum und zahlreiche Brüche.» Der häufig zu verzeichnende Mangel an Blutkonserven ist bekannt. Im Ernstfall gilt es zudem, unter mehreren hundert Möglichkeiten die richtige zu finden. «Sie haben aber eigentlich keine Zeit, lang zu suchen», so der IT-Fachmann.

Sortierfehler
In jüngerer Zeit wurden verstärkt RFID-gestützte Methoden getestet, um «Sortierfehler» in der Eile auszuschliessen. In vielen Spitälern verliefen Projekte mit Funkchips an Armbändern, um Medikamente und Patienten jeweils eindeutig zuordnen und Operationen exakter vorbereiten zu können, erfolgreich. Bereits 2007 hat die Chirurgische Abteilung des Kantonsspitals St. Gallen solche Armbänder mit 847 Patienten im Normalbetrieb getestet. Beim Schweizer IT-Anbieter Infomedis in Alpnach, der das System in Zusammenarbeit mit dem St. Galler Kantonsspital entwickelte, heisst es, dass sich damit «die gesamte Prozesskette von der Blutabnahme über die Blutuntersuchung und die Zuteilung von Blutkonserven bis hin zur Zuordnung der Blutkonserven zum Patienten sichern» liesse. Der deutsche Identtechnik-Anbieter Feig wagte sich nun auch an die Anbringung von RFID-Etiketten auf Blut-beuteln heran. In ausgedehnten Untersuchungen wurde zudem auf etwaige Effekte der 13,56-Mhz-Tags auf Zellmaterial geachtet. Knels: «Wir hätten eine leichte Spannung an der Oberfläche der Blutzellen durch die elektromagnetische Strahlung nicht völlig ausschliessen können.» Bei Testreihen in den Vereinigten Staaten habe allerdings auch die Food and Drug Administration (FDA) keine Bedenken hinsichtlich der Beeinflussung des biologischen Materials durch elektromagnetische Strahlung vorgebracht. Anders steht es um die Verträglichkeit mit anderen elektronischen Geräten. Dort stellte das Medizinische Zentrum der Universität von Amsterdam, das sowohl von der FDA als auch vom «Journal of the American Medical Association» als seriös eingestuft wird, bei 123 Tests an 41 medizinischen Geräten, Infusionspumpen und Defibrillatoren auf 868 MHz und auf 125 kHz Beeinträchtigungen durch elektromagnetische Interferenzen (EMI) fest. Die Unregelmässigkeiten, hiess es, sollten nach Auffassung der Fachleute jedoch nicht zu einem Bann führen, da sie nicht über das übliche Mass an gegenseitiger Beeinflussung hinausgingen, wie es auch bei anderen elektronischen Geräten zu verzeichnen sei. In der jeweiligen Umgebung, in der RFID-Lesegeräte und aktive Transponder genutzt würden, müssten zuvor eben Tests hinsichtlich der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) durchgeführt werden.

Härtetest
Blut wird unmittelbar nach der Entnahme zu Konzentraten aus roten Blutkörperchen oder Blutplättchen sowie Plasma weiterverarbeitet. Dabei sind unterschiedliche Temperaturprofile einzuhalten. Siemens hat gemeinsam mit der Schweizer Electronic AG und MacoPharma Funkchips mit einem integrierten Sensor entwickelt, der zugleich die Kühlkette kontrolliert. Bisher mussten Blutkonserven oft vernichtet werden, weil die Temperatur nur mangelhaft überwacht werden konnte. Übrigens müssen auch die Funketiketten selbst Extrembedingungen standhalten: Bei der Herstellung müssen sie einen Sterilisations-und Pasteurisierungsprozess überstehen. Beim Verarbeiten werden die Blutbeutel zudem mit bis zu 5000-facher Erdbeschleunigung zentrifugiert. Ob die RFID-Tags das aushalten, liess Siemens in der Abteilung für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin der Medizinischen Universität Graz überprüfen. Die gründlichste Methode, RFID-Chips zu schrotten, ist die Magnetresonanztomografie: Patientenarmbänder werden durch das starke Magnetfeld zerstört.

Klaus Koch

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