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Zukunft Bildung

Zukunft BildungDas erfolgreiche schweizerische Bildungssystem befindet sich im Umbruch. Was bisher als Qualitätsmerkmal galt – die föderalistische Struktur des Bildungswesens –, entpuppt sich immer mehr als Hindernis. Der Weg in die bildungspolitische Neuzeit ist aufgezeigt, erweist sich aber als steinig.

(bs) Die Schweiz ist föderalistisch strukturiert, um den unterschiedlichen Kulturen und Sprachen des Landes Rechnung zu tragen. Das galt bisher insbesondere auch für das Bildungswesen, das – historisch gewachsen – in der Schweiz eine explizite Staatsaufgabe ist.

Bund, Kantone und Gemeinden teilen sich diese Aufgabe, wobei die Hauptzuständigkeit bei den Kantonen liegt. Gesamtschweizerisch einheitlich geregelt sind der Schuleintritt (Alter), der Beginn und die Dauer des Schuljahres sowie der obligatorischen Schulzeit. Ansonsten hat jeder Kanton seine eigenen Schulgesetze und die Gemeinden verfügen über eine relativ grosse Autonomie, was lokal angepasste Lösungen ermöglicht.

Rasante Veränderungen
Seit rund 10 bis 15 Jahren befindet sich das Bildungssystem im Umbau. Er betrifft alle Stufen und Typen des Bildungswesens. Dieser Umbau vollzieht sich in einem für schweizerische politische Verhältnisse bislang kaum für möglich gehaltenen Tempo und erfolgte auf der obersten bildungspolitischen Ebene primär aus drei Reform-schritten:
 

  • dem Beschluss zum Bundesgesetz über die Fachhochschulen (1995) als eigene Bildungsinstitutionen;
  • der Unterzeichnung der Bologna-Deklaration (1999) zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes und
  • dem Volksentscheid zugunsten eines Bildungsverfassungsartikels (2006) über die Neuregelung der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im Bildungswesen (sogenanntes EDK-Konkordat HarmoS).

Die Umsetzung dieser Reformschritte traf und trifft auf Widerstände struktureller und ideeller Art. Insbesondere im Bereich der allgemeinen Bildung stehen traditionelle und weltanschaulich verankerte pädagogische Konzepte und Überzeugungen zur Disposition, die weder in ihren kurz- noch in ihren langfristigen Wirkungen wissenschaftlich eindeutig zu bewerten sind.

Mobilitätsschranken
Warum wurden diese Reformschritte überhaupt in Angriff genommen? Welches waren die Auslöser? Zu nennen sind primär drei Entwicklungen und «Problemkreise», die das bisherige System in Bewegung brachten:

  • Der Föderalismus des Bildungswesens entpuppte sich zunehmend als Mobilitätsschranke, verbunden mit sozialen und emotionalen Belastungen bei Schul-und Wohnort-wechseln, insbesondere bei einem Kantonswechsel. Die ungleiche Verteilung der Mittel und Ressourcen schaffte ungleiche Bildungschancen, und die anstehenden Entwicklungen waren kantonal mit vertretbarem Aufwand kaum mehr zu bewältigen. Schliesslich entstand auch durch die zunehmenden internationalen Struktur-und Leistungsvergleiche ein Druck zur Vereinheitlichung.
  • Auch das sogenannte «duale Bildungssystem» einer betrieblich und berufsständisch getragenen und organisierten Ausbildung mit ergänzenden staatlichen Berufsschulen stiess immer mehr an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Der schnelle Wandel der Berufsbilder und -karrieren erfordert im Hinblick auf lebenslanges Lernen breitere und allgemeinere berufliche Grundkompetenzen.
  • Heute muss unser Land jährlich etwa 30 000 Kader mit Hochschulabschluss aus dem Ausland «importieren», besonders in den Gesundheitsberufen sowie in Informatik, Ingenieurwesen, Wissenschaft allgemein und den Lehrberufen. Zwar hat die Zahl der Studierenden in die Human-und Geisteswissenschaften um die Jahrhundertwende überproportional zugenommen, jetzt zeichnet sich jedoch ein deutlicher Mangel in den anderen Fachrichtungen ab. Die sich hieraus ergebenden Defizite dürften bis 2030 noch nicht behoben sein.

Neue Lehr-und Lernkultur nötig
Auf praktisch allen Ebenen des Bildungswesens dominiert eine stark am Wissensvermittlungsmodell orientierte Lehr-und Lernkultur. Die Lerninhalte sind zumeist nach Massgabe fachlicher Kriterien und eines disziplinären Wissenskanons aus dem 19. Jahrhundert in fachlich festgefügten Einheiten verankert und gegliedert. Die Logik der Wissensproduktion und des Wissenserwerbs wird dagegen kaum berücksichtigt. Solche Strukturen taugen mehr als organisatorisches Gerüst zur administrativen Verwaltung von Bildungseinrichtungen als zu einer nachhaltig selbstmotivierenden und -gesteuerten Lernorganisation, wie sie von der Lernforschung gefordert wird. Sie behindern jedenfalls ein auf allen Bildungsstufen – wenn nicht ausschliesslich, so doch in unterschiedlichen Anteilen – wünschenswertes fall-und problembasiertes Projektlernen und Projektstudium.
HarmoS: Der Königsweg in die Zukunft?

Im HarmoS-Konkordat sind die wesentlichen Elemente einer Neuorientierung in der Steuerung des Bildungsbereichs enthalten. Es hat sich zum Ziel gesetzt, die obligatorische Schulbildung in der Schweiz weiter zu harmonisieren. Die Qualität und Durchlässigkeit des Systems sollen gesichert und die Mobilitätshindernisse abgebaut werden. Das HarmoS-Konkordat soll das Schulkonkordat von 1970 ablösen, welches das Schuleintrittsalter wie auch die Dauer der obligatorischen Schulzeit regelt. Das HarmoS-Konkordat hat folgende Inhalte:

  • Verlängerung der obligatorischen Schulzeit auf 11 Jahre mit Einführung einer Vorschule oder Eingangsstufe anstelle des bisherigen Kindergartens.
  • Benennung der übergeordneten Ziele der obligatorischen Schule für die ganze Schweiz, d.h. ein gemeinsamer Lehrplan, um der erhöhten Mobilität und der Chancengleichheit gerecht zu werden.
  • Bezeichnung von Instrumenten der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung auf nationaler Ebene, um die Anforderungen anzugleichen.
  • Bestimmung von Instrumenten verbindlicher Bildungsstandards. Hiermit ist gemeint, dass vermehrt Lernmethoden und Recherchefertigkeiten gelernt werden anstatt vor allem Faktenwissen. Damit sollen die Schülerinnen und Schüler auf eine sich schnell verändernde Welt vorbereitet werden.
  • Anpassungen an nationale und internationale Portfolios.

Über den Beitritt zum Konkordat entscheiden die Parlamente der Kantone, wobei der Beschluss jeweils dem fakultativen Referendum untersteht und somit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger definitiv entscheiden können. Dieser Vereinbarung kann auch der Nachbarstaat Fürstentum Liechtenstein beitreten. Der Kantone, welche dem HarmoS-Konkordat beitreten, verpflichten sich, die oben genannten Inhalte, Ziele und Strukturen für die obligatorische Schule umzusetzen. Dazu gehören auch die Einführung von Blockzeiten und Tagesstrukturen sowie die Anpassung der Lehrpläne (Einführung von sprachregionalen Lehrplänen). Der Konkordatsentwurf stimmt inhaltlich mit dem am 21. Mai 2006 angenommenen Bildungsverfassungsartikel überein. Die Entscheidungs-und Beitrittsprozesse laufen seit Herbst 2007, in einigen Kantonen wurden bereits Abstimmungen durchgeführt (siehe Kasten). Das HarmoS-Konkordat ist am 17. Februar 2009 mit der Ratifikation durch den Kanton Tessin als zehnter Kanton in Kraft getreten. Ab diesem Zeitpunkt gilt es für alle Kantone, die dem Konkordat beigetreten sind, verbindlich. Für die Strukturanpassungen haben die Kantone sechs Jahre Zeit. Weil die Anpassungsfrist jedoch für alle Kantone am gleichen Datum abläuft, haben Kantone, die dem Konkordat erst später beitreten, weniger Zeit, allfällige Strukturanpassungen vorzunehmen.

Bildung als Wahlkampfthema
Die Schweizer Bildungspolitik wird auch ein Schwerpunktthema im Wahljahr 2011. Es ist vor allem die SVP, die derzeit aus allen Rohren gegen die EDK, gegen HarmoS und gegen eine angebliche «Kuschelpädagogik» im Bildungswesen schiesst und damit das Thema für die Nationalratswahlen als Erste «besetzt». Sie sagt der Reformpolitik den Kampf an und fordert eine Rückkehr zur Leistungsschule. Die übrigen Parteien sind herausgefordert, aber auch die Wirtschaft, die mehr denn je qualifizierte und gut ausgebildete Fachleute braucht.

Bernhard Stricker

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