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Besser später als nie

Ausbildung und Training sind zentrale Instrumente um sich auf Krisen vorzubereiten.Was ist unter Krisenmanagement zu verstehen, und wann ist Krisenmanagement professionell? In diesem Beitrag wird versucht, diese Fragen zu beantworten, indem aufgezeigt wird, wie Unternehmen und andere Institutionen mit Krisen umgehen, das heisst, es wird ein realistischer Ist-Zustand der Vorbereitungen auf krisenhafte Ereignisse illustriert.

(umg)Von Obengenanntem ausgehend, wird ein wünschbarer Soll-Zustand im Sinne einer Vision skizziert, einer Vision, die es auch umzusetzen gilt. Um dem Anspruch auf Professionalität gerecht zu werden, müsste ein Krisenmanagement auch effizient und effektiv sein, doch wie und an was soll dies gemessen werden?

Und tritt das Unvorstellbare ein …
Gerade jüngste Ereignisse grossen Ausmasses und von hoher Tragik haben gezeigt, dass auch das Unvorstellbare, Unfassbare plötzlich brutale Realität werden kann. Der Ruf nach einem «Krisenmanagement» ertönte in allen Medien, nachdem das Nicht-Denkbare (heute sprechen wir auch vom schwarzen Schwan) eingetroffen war.
Beispiel einer Interpellation aus dem Parlament an den Bundesrat: Angesichts des erweiterten Risikospektrums der modernen Gesellschaft und der nicht vorhersehbaren Eskalationsgefahren (Pandemie, Versorgungsprobleme, Informationsoperationen, Stromausfall, Finanzkrise, Fall Tinner, Steuerstreit, Bankgeheimnis, Terrorismus) stellt sich die Frage des integralen Krisenmanagements (zivil/militärisch) der Schweiz. Was gedenkt der Bundesrat zu unternehmen, um:

• die interdepartementale Lagebeurteilung und Krisenführung ständig zu gewährleisten;

• die Koordination mit den kantonalen Krisenstäben, der Privatwirtschaft und anderen nichtstaatlichen Akteuren aufgabenbezogen sicherzustellen;

• die interkantonale Koordination krisenresistent zu unterstützen;

• bestehende Instrumente und Leistungen in einem Gesamtkonzept zu integrieren?

Antwort des Bundesrates: Krisenmanagement bezeichnet den systematischen Umgang mit Krisen. Es umfasst die Früherkennung von Krisen, die Warnung und Alarmierung, die Vorbereitung auf Krisen, die Führungstätigkeiten in der Krise (inkl. Krisenkommunikation) und die Krisennachbereitung, dies unabhängig davon, ob das Ereignis oder die Krise ziviler oder militärischer Natur ist.
Die Führungsverantwortung kann je nach Ereignis beim Bund liegen, der über Mittel wie etwa die Diplomatie oder die Armee verfügt. Sie kann bei den Kantonen liegen, die insbesondere über die Mittel des Systems Bevölkerungsschutz (Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, technische Betriebe und Zivilschutz; Art. 3 des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes, BZG; SR 520.1) verfügen.
Die Aufgaben und die Zuständigkeiten zum Entscheid sind in Krisenlagen grundsätzlich gleich wie in der ordentlichen Lage. Es gehört zu den Stärken unseres Landes, dass das Krisenmanagement der Schweiz sich auf mehrere Träger mit eigener Verantwortung und eigenen Mitteln abstützen kann. Dem Bundesrat stehen im Krisenfall vorbereitete Organisationen zur Seite, Krisenstäbe, die für vorhersehbare Ereignisse geschaffen sind. Nötigenfalls sind in besonderen Fällen dennoch Ad-hoc-Organisationen (Task Forces) einzusetzen.

Wenn alle Lichter ausgehen
Ausbildung und Training sind zentrale Instrumente, um sich auf Krisen vorzubereiten. Für die Aus- und Weiterbildung der Krisenstäbe der Bundeskanzlei und der Departemente ist die Bundeskanzlei (Krisenmanagementausbildung des Bundes) zuständig. Das Training der Fachstäbe ist primär Aufgabe der Departemente. Gleiches gilt für die Stäbe der Armee im VBS.
Im Auftrag des Bundesrates wurde beispielsweise im Spätherbst 2009 eine strategische Führungsübung (SFU) zum Thema «Stromausfall» unter Leitung der Bundeskanzlei durchgeführt. Dass die SFU im Jahr 2005 eine Pandemie/ Epidemie zum Thema gehabt hatte, zeigt, dass die Verwaltung versucht, zukünftige Risiken frühzeitig zu erkennen und deren Bewältigung so weit wie möglich im Voraus zu üben. Im Nachgang zu dieser SFU hat der Bundesrat auch die «Weisungen über organisatorische Massnahmen in der Bundesverwaltung zur Bewältigung besonderer und ausserordentlicher Lagen » vom 24. Oktober 2007 erlassen (Bl 2007 7801).
Aufgrund obiger Ausführungen besteht aus der Sicht des Bundesrates grundsätzlich kein Bedarf, die bestehenden Instrumente und Leistungen in ein «Gesamtkonzept» zu überführen, da auf Stufe Bund das integrale Krisenmanagement im umfassenden Sinne durch den Bundesrat selbst und die ihn unterstützende Generalsekretärenkonferenz (bzw. die Organe der sicherheitspolitischen Führung bei Krisen im sicherheitspolitischen Bereich) sichergestellt wird.
Der Bundesrat ist sich aber bewusst, dass zwischen den bestehenden Organen (Leistungen und Instrumente) bzw. zwischen Bund und Kantonen noch Abstimmungsbedarf sowie Ausbildungs- und Trainingsbedarf besteht. Im letzteren Fall erfolgt die Unterstützung laufend, thematisch und unter Einbezug der entsprechenden Partner.
Inwieweit im Rahmen des nationalen Krisenmanagements (interkantonal, interdepartemental und mit externen Partnern) noch Mechanismen (Prozesse und Strukturen) zum optimierten Aufbau eines nationalen Sicherheitsverbundes (Bund–Kantone–Gemeinden– Private–Ausland) zur effektiven und effizienten Bewältigung sicherheitspolitisch relevanter Ereignisse und Krisen geschaffen werden müssen, ist Inhalt eines Projekts im VBS, welches in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen geführt wird. Im Bereich des sicherheitspolitischen Krisenmanagements der Schweiz schafft der sicherheitspolitische Bericht 2010 Klärung.

Dauerhaft die Zukunft sichern
Werden solche Forderungen nach dem Eintreten eines Krisenfalls laut, sind die dieser Forderung nach Krisenmanagement zugrunde liegenden Absichten zu hinterfragen: Um was geht es, was soll mit «Krisenmanagement» als «Deus ex machina» bezweckt werden? Geht man diesen Forderungen auf den Grund, erweisen sich die Absichten meist als sehr durchsichtig und zweckgerichtet. Nicht selten geht es darum, eigene Wunschvorstellungen zu realisieren, und «Krisenmanagement » dient dabei als willfähriges Vehikel. Dieses Beispiel ist vielleicht überzeichnet, und trotzdem: unter Krisenmanagement wird nicht immer das Gleiche verstanden. Bedenkenswert ist zudem, dass Krisenmanagement nur im Krisenfall aktuell ist, und erfolgreich ist ein Dispositiv dann, wenn eine Krisensituation adäquat bewältigt werden kann.
Krisenmanagement braucht es nur im Krisenfall! Richtig, es gibt tatsächlich belegbare Fälle, wo ein Krisenfall trotz fehlender Vorbereitung und entsprechender Dispositive zur Erfolgsstory wurde. Ein tatkräftiger, meist im Moment oder selbst ernannter Krisenmanager macht genau das Richtige, führt und entscheidet, kommuniziert eloquent und dezidiert mit den Medien. Dennoch, es ist die Ausnahme. Auch der fähigste und erfahrenste Krisenmanager muss sich auf ein Dispositiv, eine Organisation und vorbereitete Krisenszenarien stützen können.
Krisenmanagement ist demnach nicht eine Spezialdisziplin für den Fall der Fälle, sondern eine Daueraufgabe in jedem Unternehmen oder in jeder Institution, eine Tatsache, die inzwischen wohl kaum mehr ernsthaft in Zweifel gezogen wird bzw. offen abgelehnt werden kann.

Gut vorbereitet in die Krise
Auf welchen Krisenfall muss man sich vorbereiten? In der unternehmerischen Realität gibt es verschiedentlich noch generelle Krisenorganisationen. Wenn irgendein Ereignis auftritt, dann sind die Verantwortlichen bezeichnet, und wir nehmen mal an, dass diese Krisenstabsmitglieder über ihre Funktion orientiert wurden und zudem im Krisenfall auch aufgeboten werden können. Solche generellen und rudimentären Krisenstabsorganisationen sind, wenn nicht gänzlich unbrauchbar, so doch höchst fraglich.
In einem sich verändernden, komplexen Umfeld ist mehr gefragt: Welche Krisenszenarien sind relevant? Solche Szenarien möglichst wirklichkeitsnah zu erfassen, ist nur über eine umfassende Analyse der Risikoexposition möglich, das heisst, es muss versucht werden, Risiken systematisch zu identifizieren und auch zu bewerten. Erschwert wird die Einschätzung eines Risikos dadurch, dass niemand mitSicherheit zukünftige Entwicklungen und Ereignisse voraussehen kann. Eine systematische Analyse ist keine Garantie, dass sämtliche Risiken auch richtig erfasst werden, bietet aber dennoch eine höhere Aussagekraft.
Es genügt nicht, die Qualität eines Risikos zu erfassen! Es geht nicht umhin, als nochmals auf jüngste Ereignisse hinzuweisen: Das Undenkbare hat sich ereignet. «Undenkbar» als Ausdruck einer extrem tiefen Wahrscheinlichkeit. Nur: was kann ein tiefer Wahrscheinlichkeitswert für eine Bedeutung haben, wenn gleichzeitig die Auswirkungen extrem hoch sind? Es hat sich nur das bestätigt, was Professor M. Haller aus St. Gallen bereits vor vielen Jahren fast visionär festgehalten hat: «Unsere Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass deren Risiken eine sehr kleine Eintretenswahrscheinlichkeit aufweisen – allerdings bei maximalem Schadenpotenzial.»
Die Voraussetzung, relevante Krisenszenarien zuverlässig zu definieren, kann nur geschaffen werden, wenn die Qualität eines Risikos umschrieben wird, und dazu genügen herkömmliche Berechnungen nicht mehr.

Die Vision
Ein Unternehmen ist auf Krisenszenarien vorbereitet, Krisenmanagement ist Teil der Unternehmensstrategie und -führung. Ein Unternehmen oder eine Institution, die Gesellschaft oder ein Staat ist nur dann wirklich auf Krisenfälle vorbereitet, wenn Krisenmanagement nicht Selbstzweck oder ein Fall für den Fall ist, sondern in die Unternehmensstrategie oder Staatsräson integriert ist. Es kann nicht sein, dass eine Unternehmensstrategie mögliche Krisenszenarien ganz einfach ausblendet.
Entscheidend ist, dass sämtliche, auch undenkbare Risiken einbezogen werden. Eine partielle Risikosicht kann tödlich sein. Dies hat nichts mit Pessimismus oder mangelnder unternehmerischer Risikoübernahme zu tun, sondern ist Ausdruck einer überlegten Risikoperzeption. Sind visionär die Voraussetzungen dazu geschaffen, kann eine konkrete Umsetzung angegangen werden. Methodische Instrumente, technische Mittel sind dazu hilfreich, aber es gilt auch hier: Kommunizieren Sie das Ziel.
Ist Krisenmanagement effizient und/ oder effektiv? Auf einen ersten Blick würde die Feststellung, dass sich die Wirkung eines gut organisierten Krisenmanagements nicht erst im Krisenfall zeigen würde, als richtig eingeschätzt. Dies ist mitunter ein Grund, warum Krisenmanagement nicht selten als allenfalls notwendige und eventuell aufwendige Aufgabe wahrgenommen wird. Die Qualität einer solchen Krisenvorbereitung ist demnach nicht unbedingt hoch und unter Normalbedingungen auch nicht messbar, was in sich konsistent ist.
Folgt man der aufgezeigten Vision einer Unternehmensstrategie, bei der Krisenmanagement ein integrierter Bestandteil ist, dann ist Effektivität und Effizienz sehr wohl messbar, denn die Vorbereitung auf den undenkbaren Fall ist nichts anderes als die Ermöglichung und Sicherstellung eines Sustainable Development.

Zur Person
Uwe Müller-Gauss ist dipl. Entrepreneur FH, Executive MBA und Inhaber der Müller-Gauss Consulting. Der Risk Manager und Pandemie-Experte hat mehrjährige Erfahrung bei der Realisierung von Security, Risk & Continuity Management-Strategien, Sicherheits- und Notfallorganisationen, Sicherheitsprüfungen (Revision) und Führungsinstrumenten für das Krisenmanagement und der Ausweichplanung für sensitive Business-Kernprozesse.

Uwe Müller-Gauss

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