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Konflikte, Krisen und Katastrophen

Laut Umfrage fürchten sich die Firmenlenker im Krisen- oder Katastrophenfall am meisten vor einem Ausfall der Produktionsanlagen, der Energieversorgung und der IT.Während grosse Unternehmen gut für den Krisen- oder Katastrophenfall gerüstet sind, hapert es bei kleinen Firmen deutlich öfter. Dabei wäre die Eintrittsschwelle zu einem Betriebskontinuitätsmanagement nicht besonders hoch.

(as)«Man muss ganz klar sagen, dass die Schweizer Unternehmen im Allgemeinen fit und parat sind», betont Valentin Wepfer, Leiter Collaborative Supply Chains bei GS1 Schweiz. Allerdings zeigt er sich überrascht über die noch immer grossen Lücken bei der Krisenund Katastrophenvorsorge. Konzepte und Ansätze des Betriebskontinuitätsmanagements (BKM) sind laut Wepfer noch jung und erst wenig verbreitet. In der Branchenoptik sind die Lücken eher gleichmässig verteilt. «Im Einzel-und Grosshandel und in der Zulieferindustrie ist der Handlungsbedarf tendenziell aber etwas grösser», meint Wepfer.

Furcht vor Anlagenausfall, IT-Problemen oder Personalabsenzen
Laut einer Umfrage von GS1 Schweiz fürchten sich die Firmenlenker im Krisen- oder Katastrophenfall am meisten vor einem Ausfall ihrer Produktionsanlagen, der Energieversorgung, der IT oder dem Ausbleiben zahlreicher Mitarbeitender. Diese Aspekte sind für 38 Prozent der Befragten die grössten Risiken. Weitere 25 Prozent sorgen sich um spezielle Marktsituationen. Sie sehen sich von einem Rückgang der Nachfrage oder einer geringeren Produktequalität wegen mangelnder Ressourcen oder des Ausfalls von Vorlieferanten bedroht.
Insgesamt wurden von GS1 Schweiz rund 4000 Firmen zu ihrer Risikoeinschätzung und ihren Massnahmenplänen für den Krisen- oder Katastrophenfall befragt. Dabei stachen vor allem die Branchen Gross- und Detailhandel, Konsumgüterindustrie sowie Logistikdienstleister durch hohe Antwortquoten heraus, ebenso das Gesundheitswesen.

Natur- und Umweltkatastrophen sind nicht die grösste Sorge
Auf Platz 3 rangiert mit 12 Prozent der Bereich Geld und Finanzen. Entscheider fürchten hier vor allem Probleme, die sich einerseits aus Wechselkursszenarien und andererseits aus mangelnder Liquidität ergeben können. Erst dann folgen mit 11 Prozent Nennungen die «klassischen» Katastrophen aus den Bereichen Natur und Umwelt und ihre schädigenden Auswirkungen auf die Infrastruktur der Unternehmen. Mit 10 Prozent am Ende der Skala finden sich Verkehrsgeschehen, Logistik oder politische Hintergründe. Als hieraus erwachsende Gefahren werden Verkehrskollaps, Transportausfälle, Terroranschläge, Importverbote oder eine instabile politische Lage genannt.
Über die Branchen hinweg kennt allerdings eine grosse Mehrheit der Firmen die unternehmenskritischen Prozesse, deren Ausfall sowohl für das eigene oder andere Unternehmen als auch für Endverbraucher Schäden verursachen können. Mehr als die Hälfte der Unternehmen verfügt wenigstens teilweise über eine Krisenorganisation und hat Strategien, Pläne und notwendige Massnahmen definiert. Die grosse Mehrheit kennt mindestens teilweise die Risiken von Lieferanten und Vorlieferanten und bindet diese in das Krisenmanagement mit ein. Ausserdem haben die meisten Firmen interne Notfallpläne, die Elemente wie Feriensperren, Einsatz von Desinfektionsmitteln oder Nutzung eines Home Office vorsehen.
Es gibt jedoch auch Schwachstellen. Nur knapp die Hälfte aller Unternehmen verfolgt die identifizierten Risiken ganz oder teilweise. Zudem fehlen in sehr vielen Firmen Notsysteme (Kommunikationsmittel, Notstromaggregate, Betriebsstoffreserven usw.). Nur eine Minderheit der Unternehmen verfügt über Verträge mit alternativen Lieferanten oder Dienstleistern, Notlagerbestände oder Verträge mit Stellenvermittlungsbüros. Genauso wenige sind über behördliche Vorsorgepläne wie Pandemiepläne, Energiekontingentierung usw. informiert.

Krisenvorsorge erfordert keine hohen Investitionen
Vermehrter und grundlegender Handlungsbedarf besteht allerdings bei mittleren und kleineren Firmen, damit sie aus unternehmerischer Verantwortung heraus minimale Anforderungen des Risikomanagements überhaupt erfüllen können: Sie sollten baldmöglichst die eigene Krisenorganisation hinterfragen oder eine solche einrichten. Während grosse Firmen mehrheitlich gut organisiert sind und – bei Umsätzen von über 400 Millionen Franken – immer eine personell definierte Krisenorganisation haben, sieht es bei kleinen Firmen anders aus. Rund ein Drittel aller Firmen mit 10 bis 20 Millionen Franken Umsatz hat keine Krisenorganisation etabliert.
Mit Blick auf die Branchen sind es vor allem Hersteller von Konsumgütern, Logistikdienstleiser und Transport, das Gesundheitswesen und die Pharmaindustrie, die über eine personell definierte Krisenorganisation verfügen. Bei den Handelsfirmen haben hingegen nur 24 Prozent ein entsprechendes Instrument. Allerdings sind gerade diese Unternehmen mit Blick auf die Sicherstellung der Landesversorgung besonders wichtig. «Vor diesem Hintergrund besteht Handlungsbedarf», betonen die Autoren der Studie.
So sieht das auch Valentin Wepfer, der ein einfaches Herantasten an die Materie empfiehlt. Betriebskontinuitätsmanagement ist nicht zwingend mit hohen Investitionen verbunden. «Die 80/20-Regel trifft hier voll zu», soWepfer. Er rät vor allem zu vier Massnahmen. Firmen sollten eine Krisenorganisation planen und dazu in einem ersten Schritt einer Person die Hauptverantwortung übertragen. Zweitens sollten grundlegende Informationen bei Branchenverbänden und in der Literatur beschafft werden. Das seien Angaben zu Standards oder Best Practices sowie behördliche Vorsorgepläne (Pandemiepläne, Energiekontingentierung). Zudem müssten Firmen ihre kritischen Geschäftsprozesse identifizieren, definieren und – idealerweise zusammen mit Lieferanten oder Kunden – regelmässig überprüfen. Schliesslich rät Wepfer zur Sicherung des Zugangs zu wichtigen oder produktionskritischen Materialien durch entsprechende Verträge oder Einlagerung.

Haben Unternehmen eine eigene, personell defnierte Krisenorganisation? (Auswertung nach Firmenumsatz)Die Hälfte der Handelsunternehmen kennt kritische Prozesse nur teilweise
Die Bedeutung der Identifikation kritischer Geschäftsprozesse hebt auch die Untersuchung von GS1 hervor. Als solche werden Geschäftsprozesse verstanden, deren Störung oder Ausfall hohe Schäden mit Blick auf den Endverbraucher verursachen. Die Handelsunternehmen sind hierbei erstaunlicherweise schlechter vorbereitet als im Zusammenhang mit dem eigenen oder anderen Unternehmen. 43 Prozent kennen die fraglichen Prozesse nur teilweise, 13 Prozent gar nicht. Doch gerade für Händler ist die Kenntnis der relevanten Prozesse von grösster Wichtigkeit: Sie sollten in Krisensituationen nämlich in der Lage sein, den Nachschub in ihre Verkaufsstellen sicherzustellen.
Aktuell ist für die Unternehmen aller Branchen auch die Sicherheit ihrer Versorgung mit Rohstoffen oder durch Vorlieferanten. Hier haben vor allem kleine Firmen ihre Lieferanten unter Kontrolle. Dieser Überblick resultiert vermutlich aus der insgesamt kleineren Zahl an Lieferanten, von denen diese Firmen abhängen. Grössere Unternehmen hingegen fokussieren auf ihre Hauptlieferanten, weil sie über eine wesentlich grössere Zahl an Geschäftsbeziehungen verfügen. Sie klassifizieren deshalb ihre Lieferanten in der Regel nach deren Wichtigkeit. Auf diesem Gebiet besteht aus Sicht von GS1 Handlungsbedarf vor allem bei den Herstellern und Zulieferern. Gerade Hersteller brauchen für ihre Produkte sämtliche Inhaltsstoffe. Deren Beschaffung sollte also entsprechend abgesichert sein.
Weitere in der Studie untersuchte Aspekte waren die Stromversorgung, die Telekommunikation, Lagerbestände bei Schlüsselprodukten sowie die Pandemievorsorge. Dort sieht es überwiegend gut aus. Mit Blick auf die Stromversorgung sind die kritischen Systeme weitgehend bekannt und über eine unterbrechungsfreie Stromversorgung abgesichert. Bei der Telekommunikation sind sich die Firmen der Konsequenzen eines Ausfalls mehrheitlich bewusst. Verbreitet werden auch grössere Lagerbestände an Schlüsselprodukten gehalten. Allerdings sind Unternehmen manchmal nur teilweise über die kantonalen Pandemiepläne informiert.

Alexander Saheb

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