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E-Commerce: Immer noch Aufbruchstimmung

Am 19. Juni 2013 erscheint die fünfte Ausgabe des E-Commerce-Reports. Der Co- Autor Prof. Ralf Wölfle von der Fachhochschule Nordwestschweiz über Themen, die die Branche bewegen, Herausforderungen und Erwartungen.

GS1 network: E-Commerce oder E-Business – wo liegt eigentlich der Unterschied?
Prof. Ralf Wölfle: Die Art, wie Beziehungen und Prozesse in der Wirtschaft gestaltet werden, verändert sich durch die allgegenwärtige Vernetzung in der Datenverarbeitung – dafür steht der Begriff E-Business. Ein Teilbereich davon ist E-Commerce, die Gestaltung der Beziehung zu den eigenen Kunden mit elektronischen Medien. Im engeren Sinn wird meistens das Einkaufen im Internet gemeint, also das Klicken auf einen Bestell-Button. Der aktuelle Trend hin zu Cross-Channel-Konzepten, wo Sie zum Beispiel einen Artikel im Onlineshop von Ex Libris bestellen und ihn anschliessend in einer Filiale abholen und bezahlen, zeigt aber, dass ein weiter gefasstes Verständnis sinnvoll ist.

Mit dem E-Commerce-Report 2013, der Mitte Jahr publiziert wird, blicken Sie auf fünf Jahre Schweizer Onlinehandel zurück. Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Bereich E-Commerce in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
Nach gut 15 Jahren Onlinehandel herrscht immer noch Aufbruchstimmung, werden neue Konzepte ausprobiert und immer mehr technische Möglichkeiten genutzt – als Nächstes werden TV-Apps kommen. Mit der zunehmenden Nutzung unterschiedlicher Geräte mit Internetzugang löst sich ein Kaufprozess in Einzelvorgänge auf, die unabhängig voneinander auf verschiedenen Kanälen ausgeführt werden: die Anregung zum Kauf eines tollen Produkts bekommen, das Produkt identifizieren und vergleichen, Verfügbarkeit und Preise erfahren, Meinungen anderer kennenlernen, lokal kaufen oder online bestellen, auf eine für mich passende Weise bezahlen, das Produkt mitnehmen oder flexibel an einen passenden Ort anliefern lassen.

Welchen Herausforderungen muss sich die E-Commerce-Branche stellen?
E-Commerce bringt zahlreiche neue Geschäftskonzepte und auch Anbieter hervor – das Angebot wächst stärker als die Nachfrage. Alle Handelsunternehmen müssen sich deshalb einem verstärkten Wettbewerb stellen. ECommerce- Anbieter sind zudem mit steigenden Kosten für die Kundenakquisition und immer weiter steigenden Kundenerwartungen konfrontiert, zum Beispiel was die Schnelligkeit der Lieferung und die Flexibilität der Zustellung angeht.

Sie beobachten auch den ausländischen E-Commerce-Markt. Worin unterscheidet er sich vom Schweizer Markt?
Die Schweiz ist ein Follower-Markt, Innovationen kommen oft erst mit einigen Jahren Verzögerung in die Schweiz. Die Schweiz ist zu teuer, um hier neue Geschäftsmodelle auszuprobieren, zum Beispiel bei den Werbekosten. Ausserdem ist der Schweizer Markt – notabene mit seinen drei Sprachregionen und Kulturen – trotz hoher Kaufkraft ein kleiner Markt, was vor allem für Schweizer Anbieter ein Problem ist. Die im E-Business ganz generell wichtigen Skaleneffekte, bei denen sich eine hohe, mengenunabhängige Basisinvestition vor allem dann auszahlt, wenn sie auf eine möglichst hohe Zahl von Transaktionen umgelegt werden kann, greifen wegen des vergleichsweise niedrigen Marktpotenzials oft nicht. Damit kämpfen zum Beispiel Schweizer Modehändler.

Das Thema Nachhaltigkeit hat sich im stationären Handel etabliert und ist Erfolgsgarant. Welchen Stellenwert nimmt das Thema im Bereich E-Commerce ein?
LeShop weist bei jeder Bestellung aus, wie viel CO2 dadurch eingespart wurde, dass der Kunde nicht mit seinem privaten Pkw zum Einkaufen gefahren ist. Aber das ist eine Ausnahme, Nachhaltigkeit ist kein sehr visibles Thema im E-Commerce. Die meisten Unternehmen sind noch damit beschäftigt, ihr Geschäft auf ökonomische Nachhaltigkeit zu trimmen, also die eigene Existenz zu sichern. Nachhaltigkeit bei Produkten und Geschäftspraktiken wird nur da thematisiert, wo es für die Zielgruppe ein wichtiges Kriterium ist.

Die Anzahl der Smartphones nimmt weiterhin zu. Welche Bedeutung haben internetfähige Telefongeräte in Zukunft für E-Commerce?
Wie bereits gesagt, setzt sich ein Kaufprozess immer häufiger aus voneinander unabhängigen Teilvorgängen zusammen. Die Unabhängigkeit und Jederzeitigkeit dieser Vorgänge wird durch das Smartphone ermöglicht. Ausserdem lokalisiert das Handy den Nutzer, was neue E-Commerce-Möglichkeiten für den stationären Handel eröffnet: Interessenten können für den eigentlichen Kaufvorgang oder auch nur für die Abholung in ein Ladengeschäft gelotst werden. Zum Beispiel kann ein Bahnreisender, nachdem er während der Zugfahrt geklärt hat, dass ein gewünschtes Produkt im Zürcher Hauptbahnhof im ShopVille-RailCity verfügbar ist, einen Einkauf spontan, gezielt und mit sehr wenig Zeiteinsatz erledigen.

In welchen Bereichen können E-Commerce-Anbieter heute noch punkten? Was erwartet der Onlinekunde?
E-Commerce stellt sich in fast jeder Branche anders dar, ausserdem werden ständig neue Angebote erfunden. Deshalb gibt es kein Patentrezept. In den meisten Branchen haben sich allerdings schon leistungsfähige Anbieter etabliert, sodass die Eintrittsschwelle zwischenzeitlich recht hoch ist. Ein unabdingbarer Erfolgsfaktor ist die Fähigkeit zu kommunizieren. Gut etablierte Marken haben es da etwas leichter, ansonsten braucht es Originalität und die Fähigkeit, seine Zielgruppe zu begeistern. Je nach gewünschtem Tempo ist dazu ein hohes finanzielles Budget erforderlich. Bei der Sortimentspräsentation, der Logistik und dem Kundenservice haben Anbieter wie Amazon hohe Kundenerwartungen geprägt – hier darf man vor allem nicht negativ abfallen.

Die Fragen stellte Joachim Heldt.

Zur Person
Prof. Ralf Wölfle leitet den Kompetenzschwerpunkt E-Business am Institut für Wirtschaftsinformatik, das zur Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW gehört. Er ist Mitherausgeber und Co-Autor von zwölf Büchern und Verfasser zahlreicher weiterer Publikationen. Eine davon ist die Studienreihe E-Commerce-Report Schweiz, deren fünfte Ausgabe ab dem 19. Juni unter www.e-commerce-report.ch kostenlos erhältlich sein wird. Ralf Wölfle ist Vorstandsmitglied bei simsa, dem Schweizer Branchenverband der Internetwirtschaft, sowie langjähriger Leiter der Jury Business Efficiency beim Branchenwettbewerb «Best of Swiss Web». 

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