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Vom Sofa zum Parkplatz driven

Der jüngste Onlinespross heisst LeShop- Rail: Bahnpendler können an den Bahnhöfen Zürich und Lausanne die Tragtaschen voller Lebensmittel am Bahnschalter oder in einem Schliessfach abholen.Die Vielfalt im Multichanneling wächst: LeShop.ch senkt mit dem Drive-Abholmarkt die Schwelle fürs Onlineshopping. Das Angebot umfasst einen personalisierten Service beim Abholen und optimierte Logistikprozesse bei der Kommissionierung.

Auf der Autostrasse zwischen Biel und Lyss taucht auf halber Strecke nach einer Rechtskurve ein Gebäude auf: Das reale Gegenstück zur virtuellen Welt des Einkaufens ist in grüner Farbe gehalten. LeShop hat im Herbst 2012 in einer ehemaligen Karosseriewerkstätte in Studen die Kommissionierzentrale des neuen Vertriebskanals «Le Shop-Drive» eingerichtet.

 Sichtkontakt schafft Vertrauen: Eine Drive-Mitarbeiterin im freundlichen LeShop-Overall begrüsst die Kundin persönlich und hilft beim sorgfältigen Einpacken der Ware in den Kofferraum.Online bestellen…
... mit dem Auto die Ware danach beim Drive-Center abholen – der Puls dieses für die Schweiz neuartigen Pilotprojekts lässt sich an diesem grauen Vormittag im Januar noch kaum spüren. Ein Teil der Belegschaft hält sich im Pausenraum auf und wärmt sich an Bechern des Kaffeeautomaten. Sacha Herrmann, Chief Operations Officer bei LeShop, beugt sich über das Geländer einer Empore und erteilt Instruktionen an die Mitarbeitenden im Erdgeschoss, die Waren in die Regale ein- und auslagern. Herrmann ist verantwortlich für die Informatikanbindung, die Logistik und für Finanzen/HR. «Mobilität» ist eines seiner Schlüsselwörter, wenn er die treibenden Kräfte des Online-Detailhandels erläutert. Mobile Geräte wie Smartphones (iPhone oder Android) und iPads erleichtern den Onlineeinkauf – der Computer im Büro muss nicht hochgefahren werden, auf dem Sofa lässt sich in Sekundenschnelle via Touchscreen auf die bunte Warenwelt von LeShop.ch zugreifen. Letztes Jahr wurden bereits 32 Prozent aller Bestellungen von mobilen Endgeräten aus aufgegeben.

Abenteuerliche Pionierjahre
Das hyperbequeme Sesam-öffne-dich ist kinderleicht; kein Vergleich zum E-Commerce in den Pionierjahren. LeShop SA, ein typisches Start-up, wurde 1998 von vier Jungunternehmern gegründet und nahm mit einem Sortiment von 1500 Trockenartikeln den Betrieb auf. Seit Beginn erwies sich die Zusammenarbeit mit der Post für die Hauslieferung als bestimmendes Element des Versandhandels mit Lebensmitteln. Noch im November desselben Jahres entwickelte LeShop eine Kühlkette für die Lieferung von Frischprodukten wie Früchte, Gemüse, Fleischund Molkereiwaren.
Um ein Haar jedoch wäre das Experiment Lebensmittel-Onlineversand wieder versenkt worden. 2002 kündigte die finanziell angeschlagene Bonappétit- Group als Hauptaktionärin von LeShop die Schliessung des Onlinegeschäfts an, um ihr Kerngeschäft zu entlasten. Den Pionieren gelang es, stimuliert durch eine Solidaritätswelle seitens von Kunden, Partnern und Lieferanten, für eine Überbrückungszeit einen Investor zu finden. Der endgültige Durchbruch erfolgte aber über die Partnerschaft mit dem Migros- Genossenschafts-Bund, der in LeShop eine Gelegenheit erkannte, seine eigenen Webshop-Experimente zugunsten eines bereits funktionierenden Geschäftsmodells aufzugeben. Diesem Schulterschluss ist es zu verdanken, dass der trendbewusste Convenience- Shopper gleich auf drei Produktegruppen zugreifen kann: Migros-Artikel zu günstigen Preisen, Markenartikel und schliesslich auch Genussmittel wie Bier oder Wein.

Barrieren senken, Kunden gewinnen
 Sichtkontakt schafft Vertrauen: Eine Drive-Mitarbeiterin im freundlichen LeShop-Overall begrüsst die Kundin persönlich und hilft beim sorgfältigen Einpacken der Ware in den Kofferraum.«Es sind mehrere Barrieren zu überwinden, damit die Kunden den Onlineeinkauf von Lebensmitteln wagen», sagt Sacha Herrmann, der dieses Geschäft von der Pike auf kennt. «Die Kunden müssen akzeptieren und vertrauen, dass unsere Mitarbeiter Frischprodukte wie Gemüse und Früchte sorgfältig für sie auswählen.» Das Trockensortiment wird in Papiertüten bereitgestellt. Die Gewährleistung der Kühlkette ist eine zusätzliche Anforderung ans Onlinegeschäft mit Lebensmitteln. Frischprodukte kommen in Kühltaschen, die zusätzlich mit Kühlelementen ausgestattet werden. Tiefgekühlte Produkte werden in Behältern transportiert, die mithilfe von Trockeneis den Inhalt kühlen. Ein Pfandsystem sorgt für den Rücklauf der  Mehrwegbehältnisse. Schliesslich muss die Präsentation der Waren beim Kunden auch optisch einen guten Eindruck hinterlassen. «Ein Artikel wie Waschpulver gehört nicht in dieselbe Tragtasche wie Babynahrung», betont Herrmann.
Le Shop-Drive umfasst zwar nicht das ganze Servicepaket der Heimlieferung, bietet aber neue Vorteile. Die Logistikprozesse sind so weit optimiert, dass ein Kunde zwei Stunden vor dem Abholen noch Ware bestellen kann. Mit der Variante Drive verzichtet LeShop auf Lieferpauschalen und Mindesteinkaufswert. Dies bietet die Chance, neue Kunden anzusprechen. Ein Indiz, dass der Abholdienst den Bedürfnissen eines Familienhaushalts entspricht: Neun von zehn Onlinebestellungen beinhalten Frischprodukte. Und so funktioniert es im Detail: Eine Automobilistin nähert sich vorsichtig einer der Zahlsäulen des Drive-Centers und identifiziert sich mit ihrer Kundenkarte oder mithilfe eines QR-Codes auf dem Bestellcoupon oder dem Smartphone.
Anschliessend folgt der Zahlungsvorgang mit einer Debit- oder Kreditkarte; nach erfolgter Zahlung wird der Fahrzeuglenkerin ein freies Parkfeld zugewiesen. Nachdem sie dort angelangt ist, öffnet sich sogleich das Tor zur Lagerhalle. Eine Drive- Mitarbeiterin im freundlichen LeShop- Overall begrüsst die Kundin persönlich und hilft beim sorgfältigen Einpacken der Ware in den Kofferraum; Mineralwasser im 6er-Pack, Orangensaft, Gemüse, Früchte. Grüne Behälter bei den Parkfeldern dienen der Entsorgung von Glas, Metall und Kunststoff.

Optimierte Prozesse
«Wir sind in einem Geschäft mit kleinen Margen tätig», betont Herrmann gleich mehrmals. Deswegen gibt es beim Abholmarkt in Studen auch keine Möglichkeit, mit Bargeld zu bezahlen. Das Drive-Konzept verzichtet auch auf die Entgegennahme von telefonischen Bestellungen. Man vertraut auf die Agilität der «Digital Natives», die sich gewohnt sind, einen Kaufvertrag online über eine Website korrekt abzuschliessen. Nach Abschluss des Bestellvorgangs kann der Kunde die Abholzeit wählen. Unmittelbar danach beginnt der Picking-Auftrag an die Mitarbeitenden in Studen.
Was die Kunden nicht sehen: In den Regalen des Distributionszentrums sieht es aus wie bei einem Discounter. Hier wird Shelf-Ready-Packaging praktiziert, das heisst, die einzelnen Artikel werden nur notdürftig aus der Umverpackung befreit. Auf sogenannten Flowracks wird Ware nachgeschoben. Die Schutzhauben der Wellkarton- Transportverpackungen lassen sich nach Abverkauf des Inhalts zusammenfalten und entsorgen. Warenannahme, auspacken, lagern, Produkte ins Gestell räumen; auf solche  arbeitsintensiven Vorgänge entfällt gemäss Branchenstudien fast die Hälfte der direkten Kosten im klassischen Detailhandel. «Unsere Website ist die Verkaufsfläche», sagt Sacha Herrmann. «Dort darf es schön präsentiert sein. Im Haus selbst müssen wir die Lagerbewirtschaftung ständig optimieren und arbeitsintensive Prozesse möglichst vermeiden.» Die LeShop-Geschäftsleitung hat sich bei der Umsetzung des Drive-Konzepts von ähnlichen Geschäftsmodellen in Frankreich inspirieren lassen.
Dort sind ausnahmslos alle Supermarktketten, wie Auchan, Carrefour oder Leclerc, auf den Abholmarkt- Trend aufgesprungen. Die Argumente überzeugten offenbar den Migros- Genossenschafts-Bund als Investor. Als wollte man es den Skeptikern in der Branche nochmals zeigen, wie damals in den Pionierjahren: In der zweiten Jahreshälfte öffnet das nächste LeShop-Drive-Center im aargauischen Staufen bei Lenzburg seine Tore.

Manuel Fischer

Onlineshopping und Einkaufsmuster
Andere Länder, andere Onlinepräferenzen. In Deutschland sind Onlineshops, die Artikel aus dem Bereich «Bekleidung, Textilien, Schuhe» anbieten, mit 36,5 Prozent am gesamten Fernabsatz vertreten. 10 Prozent aller online bestellten Güter sind Kosmetik- und Drogerieartikel, während Lebensmittel unbedeutende 4,1 Prozent am gesamten Fernabsatz ausmachen. Gemäss einer Erhebung des Bundesverbandes des deutschen Versandhandels (BVH) wurden 2013 im Online- und Versandhandel mit Lebensmitteln rund 971 Millionen Euro Umsatz erzielt, das sind gerade mal 0,59 Prozent des Gesamtumsatzes des Einzelhandels mit Lebensmitteln von geschätzten 164 Milliarden Euro.
Ganz anders in Grossbritannien: Gemäss dem Institute of Grocery Distribution (IGD) werden bereits 3,8 Prozent des Umsatzes im Detailhandel online abgewickelt; eingeschlossen sind hier allerdings Lebensmittel und Konsumgüter des täglichen Bedarfs. In Frankreich hat das Drive- Modell eingeschlagen. Das Marktforschungsinstitut Kantar Worldpanel publiziert monatliche Kurzmeldungen. Diesen zufolge werden ungefähr 4 Prozent der Einkäufe für Güter des täglichen Bedarfs online bestellt und dann an den Drive-Märkten abgeholt; ein Drei-Milliarden-Euro-Markt, Tendenz steigend! Die Unterschiede in den Mustern des Onlineshoppings sind frappant. Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch von den Konsumenten genutzt. E-Commerce muss bereits bestehende Einkaufsmuster unterstützen. So vertrauen die Briten bei der Onlinebestellung auf ihre guten Erfahrungen mit der Heimlieferung – auch in städtischen Ballungsräumen. In Frankreich arbeiten in Familienhaushalten beide Elternteile Vollzeit und wollen deshalb mit dem Abholservice Zeit gewinnen. Seit Längerem bekannt ist, dass deutsche Konsumenten einen möglichst geringen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben wollen. Gebühren für die Heimlieferung scheinen in diesem Kontext wenig attraktiv zu sein.
Noch eine Fussnote zur Schweiz: Nebst dem bereits etablierten Hauslieferdienst «Home» und dem Abholservice «Drive» bietet LeShop mit «Rail» neu einen dritten Service an. Bahnpendler können an den Bahnhöfen Zürich und Lausanne die Tragtaschen voller Lebensmittel am Bahnschalter oder in einem Schliessfach abholen.

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