gs1-neton-header-04.jpg

3D-Drucker revolutionieren die Supply Chain

3D-Drucker machen momentan den Sprung vom Prototyping zur Produktionstechnologie. Als solche versprechen sie, aufgrund fehlender «Economies of Scale», die Supply Chains in Zukunft fundamental zu verändern.

Momentan vergeht kaum ein Tag ohne Medienbericht über den 3D-Druck. Die Technologie scheint für fast jede Industrie innovative Lösungen zu versprechen. Das Wirtschaftsmagazin «The Economist» spricht sogar von der nächsten industriellen Revolution. Doch was ist wirklich dran an diesem Hype? Wird 3D-Druck die Produktion und die Supply Chains grundlegend verändern?

Das Ende von «Economies of Scale»
3D-Druck, technisch als additive Fertigung bezeichnet, steht für eine Reihe von Technologien, die Teile und Produkte additiv produzieren. Ausgangspunkt ist ein digitales 3D-Modell des Teils, welches von einer Software in Schichten «geschnitten» wird. Ein 3DDrucker «druckt» jede einzelne Schicht, vergleichbar mit einem 2D-Drucker. Schicht um Schicht wird so das Bauteil aufgebaut. Es existiert eine Reihe verschiedener 3D-Druck-Technologien, die eine ganze Palette an Materialien verarbeiten und Teile mit unterschiedlichen Eigenschaften herstellen können. Abbildung 1 gibt eine Übersicht über die gängigsten Verfahren.

Die zentrale Frage ist nicht, ob 3D-Druck eine Auswirkung auf die Supply Chain der Zukunft hat,

sondern wann.

Ursprünglich entwickelt wurden die Technologien für die Herstellung von Prototypen, was als Rapid Prototyping bezeichnet wird. Während der vergangenen Jahre schafften sie vermehrt den Sprung zur richtigen Produktionstechnologie, was unter Rapid Manufacturing verstanden wird. Während Rapid Prototyping eine Prozessverbesserung im Entwicklungsprozess darstellt, hat Rapid Manufacturing das Potenzial zur disruptiven Veränderung der Produktion. «Eine disruptive Technologie ist eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt» (Wikipedia).

Schichtweise und günstig in die Zukunft
Um die ganze Aufregung um 3D-Druck zu verstehen, muss ein Blick auf die Unterschiede zwischen den traditionellen Produktionsverfahren (wie zum Beispiel Spritzguss) und den neuen Technologien geworfen werden. Hierbei stechen zwei Punkte hervor. Das sind einerseits die geometrischen Freiheiten, die durch den schichtweisen Aufbau der Teile ermöglicht werden.

Der Komplexität der einzelnen Schichten sind kaum Grenzen gesetzt – vergleichbar mit einem 2D-Drucker, bei dem es keinen Unterschied macht, ob eine komplexe Zeichnung oder ein einfaches Quadrat ausgedruckt wird. Diese geometrischen Freiheiten ermöglichen Bauteile mit komplexer Struktur, wie sie im Leichtbau oder bei strömungsoptimierten Bauteilen benötigt werden. Der zweite grosse Unterschied liegt in der Kostenstruktur (siehe Abbildung 2). Die meisten traditionellen Verfahren benötigen für jedes zu produzierende Bauteil ein spezifisches Werkzeug, dessen Herstellung teilbezogene Fixkosten darstellt, welche auf die gesamte Produktionsmenge verrechnet werden müssen. Aus diesem Grund sinken die Kosten pro Teil mit zunehmender Stückzahl, was als «Economies of Scale» oder Skaleneffekte bezeichnet wird. Die traditionellen Verfahren werden daher oft als Massenproduktionsverfahren bezeichnet, da sie sich für die Produktion grosser Stückzahlen des gleichen Produkts eignen. Im Gegensatz dazu kennt der 3D-Druck eigentlich keine «Economies of Scale». Ob 10, 100 oder 1000 Teile produziert werden, hat keinen Einfluss auf den Preis pro Stück.

Kundenspezifische, lokale und bedarfsgerechte Produktion
Die geometrischen Freiheiten werden in den kommenden Jahren zahlreiche Innovationen hervorbringen. Das disruptive Potenzial des 3D-Drucks beruht allerdings auf dem zweiten oben genannten Unterschied, denn die Kostenstrukturen definieren Supply Chains. Die Supply Chains der produzierenden Industrien sind heute stark von «Economies of Scale» geprägt. Grundsätzlich werden grosse Mengen eines Produkts möglichst zentral produziert, um die Kosten tief zu halten. Die veränderte Kostenstruktur des 3D-Drucks hat das Potenzial, diese Supply Chains fundamental zu verändern und eine kundenspezifische, lokale und bedarfsgerechte Produktion zu ermöglichen.

Kundenspezifisch (Customization)
Heute besteht eine Diskrepanz zwischen Markt und Produktion. Kunden verlangen immer besser auf ihre Bedürfnisse abgestimmte und stärker personalisierte Produkte. Das heisst, der Markt fordert viele unterschiedliche Produkte in kleiner Stückzahl. Die heutigen Massenproduktionstechnologien verlangen aber nach grossen Stückzahlen der gleichen Produkte. Um mit dieser Diskrepanz umzugehen, wurden die Techniken der Mass Customization entwickelt. Diese stossen aber zunehmend an ihre Grenzen. 3DDruck hat das Potenzial, eine echte Customization in der Produktion zu ermöglichen, da keine grosse Stückzahl nötig ist, um tiefe Kosten zu erzielen. Dies kann so weit gehen, dass der Kunde selbst in den Designprozess seines Produkts eingreift und für ihn ein Unikat hergestellt wird. 3D-Druck widerspiegelt daher das Bedürfnis nach massgeschneiderten Produkten der Märkte besser als die heute verwendeten Produktionsverfahren.

Lokal (on-location)
Traditionell muss eine möglichst grosse Nachfrage nach Produkten konsolidiert werden und an einem oder einigen wenigen Standorten produziert werden. Mit 3D-Druck ist dies nicht mehr nötig. In einem dezentralen Netzwerk kann möglichst nahe beim Kunden produziert werden. Dies reduziert Transportwege und Lieferzeiten.

Bedarfsgerecht (on-demand)
Da für jedes produzierte Los eines Teils die Produktion umgerüstet werden muss, werden traditionell grosse Stückzahlen produziert, auf Lager gelegt und dann an Kunden verkauft. Mit den additiven Technologien können auch kleine Mengen kosteneffektiv produziert werden, und die Produktion kann erst nach eingegangenem Kundenauftrag erfolgen. Im Voraus auf Lager zu produzieren ist daher nicht mehr nötig, und hohe Vorabinvestitionen in eine erste Serie, Lagerhaltung und Obsoleszenzen können verhindert werden.  Diese drei Attribute werden die Produktionsnetzwerke der Zukunft prägen. Ein mögliches Szenario ist, dass Produktion vermehrt zum Service in einem dezentralen Netzwerk wird. In einem solchen stellen Dienstleister an einer Vielzahl von Standorten Produkte für verschiedene Firmen her. Die Firmen selbst konzentrieren sich auf die Entwicklung von Produkten, welche die Kundenbedürfnisse bestmöglich abdecken. Hier werden Customization und der Trend zu Nischenprodukten immer wichtiger. Häufig wird der Kunde dabei sein Produkt selbst mitgestalten – zum Beispiel über Produkt-Konfiguratoren. Dieses Konzept wird unter dem Begriff Co- Creation verstanden. Erst wenn der Kunde das Produkt wirklich bestellt, wird die Produktion an einem möglichst lokalen Standort von einem Dienstleister ausgeführt.

Die Frage ist, wer diese Produktionsdienstleister sein werden. Bereits heute besteht ein lebendiger 3D-Druck- Dienstleistermarkt mit einigen hundert Anbietern alleine in Europa. Dies sind grösstenteils junge und momentan noch kleine Firmen. Einige dieser Firmen werden sich weiterentwickeln und Teil des dezentralen Produktionsnetzwerks werden. Andererseits können sich die Produzenten von heute weiterentwickeln. Hierzu müssen sie sich allerdings einen anderen Fussabdruck zulegen. Anstelle von wenigen Standorten, an denen sie wenige Produkte in grosser Stückzahl herstellen, müssten sie an vielen Standorten viele Produkte in kleiner Stückzahl fertigen.

Eine dritte Möglichkeit ist, dass die grossen Logistikdienstleister diese Position einnehmen. Deren Fussabdruck mit Hunderten von Standorten, über alle Kontinente verteilt, deckt sich gut mit dem eines dezentralen Produktionsnetzwerks. Zudem beginnen die Logistiker schon heute, sich immer tiefer in die Wertschöpfungsprozesse ihrer Kunden zu integrieren. Kühne & Nagel beispielsweise bietet bereits Montagedienstleistungen an: So werden Komponenten in ein K & N-Lagerhaus geliefert, dort von K & N-Personal zum finalen Produkt montiert und direkt an die Kunden des Kunden verschickt. Eine weitere vertikale Integration, welche die Produktion von Teilen mittels 3D-Druck umfasst, kann einen logischen nächsten Schritt darstellen.

Limitationen und Ausblick
Momentan gibt es noch etliche Limitationen beim 3D-Druck. Die Palette der zu verarbeitenden Materialien vergrössert sich zwar ständig, ist allerdings im Vergleich zu traditionellen Verfahren limitiert. Die Wiederholbarkeit der Verfahren ist noch nicht komplett gegeben, was einerseits zu hohen Ausschussraten und andererseits zu Schwierigkeiten bei der Sicherstellung von gleichbleibenden Teileeigenschaften führt. Es fehlen zudem Standards, und auch die Frage nach dem Schutz des Urheberrechts ist noch nicht beantwortet. Als letzter Punkt wird angeführt, dass der 3DDruck zu teuer ist im Verhältnis zu den traditionellen Verfahren und sich daher ausserhalb von Nischenanwendungen nur schwer rechnet.

Aufgrund dieser Limitationen wird teilweise argumentiert, dass das Potenzial von 3D-Druck beschränkt sei. Ich glaube allerdings an den disruptiven Vorteil, welcher von der Absenz von «Economies of Scale» ausgeht. Was disruptiver Vorteil bedeuten kann, soll abschliessend an einem Beispiel illustriert werden. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Segelschifffahrt innert weniger Jahre komplett durch die Dampfschifffahrt verdrängt, und keine einzige der grossen Segelwerften schaffte den Sprung auf die neue Technologie. Interessanterweise war das Dampfschiff bereits 90 Jahre zuvor erfunden worden – es war also alles andere als über Nacht gekommen. Während dieser ganzen Zeit wurde die Technologie als untauglich für die wichtigen kommerziellen Meeresrouten erachtet, weil sie störungsanfällig, langsam, laut und teuer war. Diese Limitationen trafen auch alle zu – allerdings hatte man den disruptiven Vorteil der Technologie übersehen: Sie braucht keinen Wind. Sobald die Limitationen überwunden wurden, war die Dampfschifffahrt der Segelschifffahrt in den meisten Anwendungen überlegen.

Meiner Meinung nach sieht es beim 3D-Druck ähnlich aus. Es bestehen zwar momentan verschiedene Limitationen – allerdings auch ein potenziell disruptiver Vorteil: keine «Economies of Scale»! Der 3D-Druck stimmt somit besser mit den Bedürfnissen der Kunden und Märkte überein. Die zentrale Frage ist für mich daher nicht, ob der 3D-Druck eine Auswirkung auf die Supply Chains der Zukunft hat, sondern Wann.

Matthias Baldinger

 

Zur Person
Matthias Baldinger doktoriert am betriebswissenschaftlichen Zentrum der ETH Zürich. Er untersucht, wie Firmen bei der Anwendung von 3D-Druck unterstützt werden können. Aus dieser Forschung ist das ETH-Spin-off Additively.com entstanden. Additively.com ist die unabhängige Plattform für 3D-Druck. Laden Sie Ihre Teile in wenigen Minuten auf die Plattform. Diese unterstützt Sie bei der Auswahl der richtigen 3DDrucktechnologie und holt Angebote von geeigneten Dienstleistern ein. Sie vergleichen die Angebote und bestellen Ihre Teile. Weitere Informationen: www.additively.com

Nach oben