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Kommissionieren – flexibel, leistungsstark, ergonomisch

Distributionszentren sind dazu da, Waren präzise, zeitoptimiert und zuverlässig zusammenzustellen. Planer solcher Zentren müssen ein vertieftes Verständnis innerbetrieblicher Logistikprozesse ihrer Kunden gewinnen sowie die vielfältigen Fragen der Informatik, Kommunikationstechnik und Ergonomie des Kommissionierens berücksichtigen.

In einem 2011 erschienenen Fachbeitrag schlugen Autoren des Fraunhofer- Instituts für Materialfluss und Logistik IML eine erweiterte Systematik intralogistischer Prozesse in Distributionszentren vor. Die praxisorientierte Strukturierung ermittelte nicht weniger als acht Bausteintypen, nach denen Distributionszentren gebaut werden können.

Kommissionieren mit System
Ausschlaggebend für die Einteilung in Bausteintypen sind die Beziehungen zwischen der Bereitstelleinheit (Behälter, in denen Waren eingelagert worden sind: Regal, Palett, Tray usw.), dem mit der Kommissionierung beauftragten Mitarbeiter und der Auftragsablage (Behälter, die für den Warenversand bereitgestellt werden). Da der Kommissionierungsvorgang in einer oder mehreren Zonen vollzogen wer- den kann, wurde dieser Sachverhalt in der Klassifikation der Bausteintypen berücksichtigt. Nachfolgend seien hier nur drei der acht Typen erläutert.

Kommissionieren mit (auftragsneutraler) Artikelbereitstellung (Person-zur-Ware)
Dieser Typ repräsentiert die in der Praxis am häufigsten anzutreffende klassische Person-zur-Ware-Kommissionierung. Die Artikel werden in Paletten-, Fachboden- oder Durchlaufregalen eingelagert. Die Kommissionierer bewegen sich zu den Kommissioniersystem in einem Mode-DistributionszentrumBereitstelleinheiten, entnehmen Waren und komplettieren so Aufträge. Häufig werden Auftragseingänge zu Serien zusammengefasst und innerhalb der Serie auf die Positionen der einzelnen Lagerzonen aufgeteilt. Somit sammeln beauftragte Kommissionierer in bestimmten Lagerzonen Artikel, die zu mehreren Aufträgen gehören. Die Technik kann helfen: Am Markt erhältlich sind beispielsweise durch Lasernavigation gesteuerte Paletten-Hubwagen, welche Informationen vom zentralen Lagerverwaltungssystem erhalten, um Regalplätze anzufahren. Dem Fahrzeug folgend, kommissioniert der Lagermitarbeiter alle Produkte, bis der Auftrag komplett zusammengestellt ist.

Zonenkommissionieren mit auftragsbezogener Artikelbereitstellung
Hierbei handelt es sich um eine Mischform der Person-zur-Ware- und Ware- zur-Person-Kommissionierung. Das Bereitstellen der Artikel erfolgt teilweise auftragsbezogen. Das Regalbediengerät übernimmt die Bereitstellung wie auch die Nachschubversorgung der Waren. Kommissionierer bewegen sich innerhalb einer Zone zu den Bereitstelleinheiten im Paletten-Hochregallager oder automatischen Kleinteilelager und erledigen die Teilaufträge. Häufig werden die Auftragsablagen über eine Fördertechnik von Zone zu Zone weitergereicht.
Als Beispiel kann das vom Discounter Denner bei der Erweiterung seines Verteilzentrums Mägenwil gewählte Caddy-Pick-System dienen. Dort sind rund 1600 Kommissionierplätze durch eine Elektrohängebahn verbunden. Als Transportmittel kommen 64 Gehänge, Caddy-Pick genannt, zum Einsatz. Jeder Caddy-Pick transportiert zwei Rollcontainer, die, nachdem der Kommissionierungsauftrag durchgeführt worden ist, auf Lastwagen geladen und zu den betreffenden Filialen gefahren werden.

Stationäres Kommissionieren mit auftragsbezogener Artikelbereitstellung (Ware-zur-Person)
Dieser Typus setzt einen höheren Automatisierungsgrad des ganzen Kommissioniersystems voraus. Artikel werden von einem vorgeschalteten Lager über eine Fördertechnik an den Arbeitsplatz befördert. Die mit der Kommissionierung beauftragen Mitarbeitenden legen keine Wege zurück und arbeiten an einer Station. Zur Erhöhung der Kommissionierleistung können die Auftragsablagen automatisch am Arbeitsplatz mittels Fördertechnik bereitgestellt werden. Unternehmen aus Detailhandel, Pharmagrosshandel, Automobil- und Zulieferindustrie setzen solche Systeme ein.

Kommissionierverfahren
Das Abarbeiten von Kommissionierungsaufträgen aufgrund von Kommissionierlisten (oder Pickzetteln) ist infolge der Fehleranfälligkeit dieser Arbeitsweise zunehmend durch Verfahren der automatischen Identifikation und Datenerfassung abgelöst worden. Bei der Kommissionierung mit mobilen Datenerfassungsgeräten (MDE) wird die Kommissionierliste auf dem Gerät angezeigt. Entnommene Artikel werden auf dem MDE bestätigt.
Dank der meistens direkten Verbindung des MDE zum Lagerverwaltungssystem kann der aktuelle Stand der Kommissionierung laufend verfolgt werden. Die MDE-Geräte sind oft mit Barcode-Scannern (oder RFID-Lesegeräten) ausgerüstet, was eine zusätzliche Überprüfung der entnommenen Artikel ermöglicht.

  • Pick-by-Voice ist ein Kommissionierverfahren, das auf der sprachlichen Kommunikation zwischen Lagerverwaltungssystem und kommissionierender Person basiert. Das System sendet hierbei mittels Funk oder WLAN die Aufträge an die mit der Kommissionierung beauftragten Mitarbeiter. Die erste Sprachausgabe umfasst das Regal, von dem die Ware entnommen werden soll. Ist der Kommissionierer dort angelangt, nennt er die am Regal angebrachte Prüfziffer, womit das System eine Überprüfung vornehmen kann. Wurde die richtige Prüfziffer genannt, kommt von System die Anweisung, wie viele Einheiten eines Artikels aus dem Regal entnommen werden sollen.
  • Pick-by-Light gehört ebenfalls zu den beleglosen Kommissionierverfahren. Den Mitarbeitern werden die zu pickenden Artikel und Mengen über eine direkt am Entnahmefach angeordnete Fachanzeige übermittelt. Eine Pick-by-Light-Fachanzeige besteht mindestens aus einer weithin sichtbaren Blickfangleuchte und einem Quittierknopf. Damit bestätigt der mit der Kommissionierung beauftragte Mitarbeiter die Entnahme des Artikels und meldet die Bestandesänderung in Echtzeit an das Lagerverwaltungssystem zurück.
  • Futuristische Perspektiven bietet die Pick-by-Vision-Kommunikation: Informationen zu den Kommissionieraufträgen werden mithilfe einer von den Mitarbeitern getragenen Datenbrille ortsunabhängig in deren Blickfeld übertragen.


Gesundheitliche Aspekte
Das Kommissionieren ist nicht selten von körperlich belastenden Tätigkeiten geprägt – trotz Fördertechnik und zahlreicher Hilfsmittel. Dies stellt für viele älter werdende Beschäftigte – und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung auch für die Unternehmen – eine wachsende Herausforderung dar. Ursache ist nicht das Lebensalter an sich, sondern die permanente und oft einseitige Belastung des Muskel-Skelett-Systems.
Über ein Anzeigefeld unmittelbar am Lagerplatz erfährt die Bedienerin, welchen Artikel sie kommissionieren soll. Eine Ziffernanzeige am Lagerplatz gibt die gewünschte Anzahl an.Andreas Martens, Geschäftsführer des Zentrums für Arbeitsmedizin, Ergonomie und Hygiene AG (AEH), berät Logistikunternehmen hinsichtlich der arbeitswissenschaftlichen Aspekte der innerbetrieblichen Logistik. Jede Logistikplanung müsse die Prozesse so gestalten, dass die gesundheitliche Belastung durch Kommissioniervorgänge möglichst gering ausfällt. Konkret: Durch das Heben und Tragen möglichst geringer Gewichte wird das Muskel-Skelett-System geschont. «Wir konnten beobachten, dass Mitarbeitende eines Lagerhauses, die beim Kommissionieren ein mobiles Datenerfassungsgerät bedienen müssen, eher gesundheitlich ungünstige Bewegungsabläufe vollziehen», so Martens. Beleglose Systeme, die das häufige Greifen mit beiden Händen ermöglichen, seien vorzuziehen.
Die Ware-zur-Person-Systeme beurteilt Martens als vorteilhaft, da damit das Nachvornebeugen für das Heben einer Last nicht nötig ist oder allenfalls zusätzliche Hebehilfen installiert sind. Er verweist zudem auf weitere technische Hilfen, welche die Belastung auch bei Person-zur-Ware-Systemen optimieren. So ermöglichen beispielsweise sogenannte Ergonomic Picking Mobiles, die Sitze der fahrzeugführenden Kommissionierer pneumatisch auf die optimale Höhe zu heben, um Ware optimal zu greifen und direkt auf Paletten zu kommissionieren.

Maximale Flexibilisierung als Trend
Die Vielfalt technischer Lösungen am Markt zeugt von der Kreativität der Systembauer, auf sehr branchenspezifische Wünsche der Kunden einzugehen. Jüngste Innovationen müssen der konstanten Forderung nach sehr hoher Verfügbarkeit des Lagerbewirtschaftungssystems genügen. «Zunehmend wird eine Fördertechnik bevorzugt, die beim Ausfall eines Systemteils die Leistung des Gesamtsystems nicht beeinträchtigt», sagt dazu Pano Papamanoglou, Head of Solution Management bei Swisslog. Dies wird beispielsweise durch Roboter gewährleistet, die jede Kommissionierstation anfahren können. Deren Anzahl ist je nach Bedarf erweiterbar.
Eine weitere Herausforderung für die Anlagenbauer stellt der E-Commerce dar. Eine grosse Vielfalt einzeln bestellter Konsumgüter sehr unterschiedlicher Grössen und Gewichte muss in einer bestimmten Zeitspanne bewältigt werden. Schliesslich verlangen Logistikdienstleister, die für wechselnde Vertragspartner kommissionieren, nach einem hohen Mass an Flexibilisierung des Systems. Ohne grosse Umbaumassnahmen soll ein bestehendes Lagerbewirtschaftungssystem auf neue Artikelgruppen umgerüstet werden können. Eine kreative Lösung des Ware-zur-Person-Prinzips verzichtet auf fest installierte Fördertechnik. So ist eine Auftragsabwicklung leichter Güter (Bücher oder leichte Pakete) realisierbar, indem fahrbare Regale mithilfe von Flurrobotern an die Kommissionierarbeitsplätze gefahren werden.

Manuel Fischer

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