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In Lausanne gehen die Patienten ins Hotel

Der demografische Wandel sowie der Finanzierungs- und Wettbewerbsdruck stellen die Spitäler vor Herausforderungen. Ein Lösungsansatz ist das sogenannte Patientenhotel. Die Idee: Mehr Komfort, mehr Privatsphäre, mehr Platz – und weniger Kosten. In Lausanne wird derzeit das erste Patientenhotel der Schweiz gebaut.

Was man in Skandinavien und den USA schon lange kennt, kommt nun in die Schweiz: Im Sommer haben die Bauarbeiten für das erste Patientenhotel begonnen. Das 115-Betten-Haus soll im Herbst 2016 eröffnet werden.

Platz schaffen
Auch in Lausanne wird das Patientenhotel in unmittelbarer Nähe des Universitätsspitals stehen. Für das CHUV (Centre hospitalier universitaire vaudois) soll das vor allem eines bringen: Entlastung. «Gerade die Wintermonate sind für uns immer eine grosse Herausforderung », sagt Philipp Müller, Leiter Administration und Finanzen im CHUV. Denn derzeit werden jährlich rund sechs bis sieben Prozent der Betten «falsch» belegt. «Es gibt drei Kategorien für die Betten in Spitälern und anderen Pflegeinstitutionen: Spital, Reha und Pflegeheim», erklärt Philipp Müller. «Aktuell werden 60 Betten der Kategorie Spital für Patienten genutzt, für die eigentlich Betten der Kategorie Reha und Pflegeheim ausreichen würden.» Indem diese Patienten ins Patientenhotel verlegt werden, wer- den im CHUV wieder wertvolle Kapazitäten frei. Das Patientenhotel ist damit eines von drei grossen Projekten, mit denen Platz geschaffen werden soll: 2014 wurde das Zentrum für ambulante Chirurgie eröffnet, für 2018 ist die Eröffnung des neuen Logistikzentrums geplant.

Fest im Spital verankert
Für den Aufenthalt im Patientenhotel kommen Patienten infrage, die vor oder nach einem Spitalaufenthalt zwar noch medizinische Versorgung, aber keine intensive Pflege und Betreuung benötigen. Das ist beispielsweise vor oder nach operativen Eingriffen der Fall. Das Patientenhotel orientiert sich an den Standards eines Drei-Sterne- Hotels: Einzelzimmer sowie Verpflegung im Restaurant anstatt im Spitalzimmer erhöhen den Komfort und die Privatsphäre der Patienten. Durch die frühe Mobilisation und Selbstständigkeit soll der Genesungsprozess gefördert werden.

Über die Verlegung entscheidet das CHUV, eine Wahlfreiheit für den Patienten gibt es nicht. «Wir tragen die Verantwortung für die Pflege. Patienten unterliegen in diesem Sinne deshalb den Regeln des Spitals», erklärt Philipp Müller. Wie im CHUV selbst steht ihnen 24 Stunden am Tag Pflegepersonal zur Verfügung. Über ein Armband, das sie zusätzlich zum Patientenarmband tragen, können sie einen Notruf absetzen. Die Behandlungen selbst finden entweder im CHUV oder in einem zentralen Pflegebereich im Hotel statt.

Für den Patienten entstehen durch den Aufenthalt im Patientenhotel keine Zusatzkosten, da die Verrechnung wie bei einem Spitalaufenthalt erfolgt: Das CHUV erhält die Fallpauschale und vergütet dann seinerseits die Leistungen des Patientenhotels.



Privat-offentliche Partnerschaft
Wie schon beim Zentrum für ambulante Chirurgie arbeitet das CHUV mit einem Partner aus der Privatwirtschaft zusammen. «Das ist Teil unserer Strategie. Wenn uns ausserhalb unseres pflegerischen und medizinischen Kernbereichs Kompetenzen fehlen, gehen wir entsprechende Kooperationen ein», meint Philipp Müller. Deshalb wird nicht das CHUV, sondern die Reliva Patientenhotel AG das Patientenhotel betreiben. «Die Gesamtverantwortung trägt der Direktor des Hotels, den wir derzeit rekrutieren», erklärt Christoph Glutz, Delegierter des Verwaltungsrates der Reliva Patientenhotel AG. Für diese Stelle wird ein Hotelier gesucht. Zusätzlich wird ein Pflegedienstleiter eingestellt. «Er ist verantwortlich für die Qualitätssicherung im Pflegebereich und ist direkt dem CHUV unterstellt », so Glutz.

Hinter der Finanzierung der Immobilie steht übrigens die Pensionskasse Retraites Populaires, die mit der Reliva Patientenhotel AG einen Mietvertrag über 35 Jahre abgeschlossen hat.

Weniger Kosten?
Insgesamt sollen durch das Patientenhotel Kosten eingespart werden. Möglich wird dies durch die Personalkosten, die im Vergleich zu einem Spital geringer ausfallen: Die Patienten benötigen weniger Pflege. In Lausanne werden rund zwei Drittel der Beschäftigten aus der Hotellerie und ein Drittel aus der Pflege sein.

Zu genauen Zahlen wollte sich Christoph Glutz auf Anfrage nicht äussern. Die Kostenvorteile seien «signifikant» und die Rentabilität des Hauses «vernünftig». Schätzungen zufolge kostet ein Tag in einem Patientenhotel rund 33 Prozent weniger als im Spital. Rechnet man mit einem Kostenvorteil von 150 Franken pro Tag und Patient, ergibt sich bei einem ganzjährig betriebenen und zu 80 Prozent ausgelasteten Patientenhotel mit 100 Zimmern ein Einsparpotenzial von 4,4 Millionen Franken – eine stattliche Summe. Im CHUV wird nicht unbedingt von einem Kostenvorteil gesprochen. Durch die Entlastung des Spitals können zusätzliche Patienten mit einem höheren Betreuungsgrad aufgenommen werden. «In der Gesamtrechnung wirkt sich das Patientenhotel daher neutral auf die Finanzen des CHUV aus», so Philipp Müller.

A propos Auslastung: Das Patientenhotel soll grundsätzlich nicht nur den Patienten zur Verfügung stehen. «Natürlich ist die Hauptnutzung für die Patienten sowie eventuell ihre Angehörigen vorgesehen», erklärt Christoph Glutz. «Auch wenn die Patienten des CHUV Priorität haben, ist es generell denkbar, dass auch Drittgäste im Hotel beherbergt werden.»

Gespräche laufen
Auch wenn das Lausanner Modell nicht eins zu eins auf andere Spitäler übertragbar ist, sind Patientenhotels auch anderswo denkbar. «Vor allem Universitätsspitäler und Zentrumsspitäler bieten sich an, da diese genug Überweisungspotenzial für ein Patientenhotel haben», erklärt Christoph Glutz. Erste Gespräche und Evaluationen mit Schweizer Spitälern seien am Laufen. «Das Universitätsspital Basel prüft zurzeit zusammen mit der Reliva Patientenhotel AG die Errichtung eines Patientenhotels mit einem ähnlichen Betriebskonzept wie in Lausanne.»

Die Schweizer Spitäler dürften die Entwicklungen in Lausanne sicher mit Interesse verfolgen. Und vielleicht wird dann nach der Eröffnung und Inbetriebnahme auch mal Klartext gesprochen.

Katharina Birkgesun

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