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Rückverfolgbarkeit – ein Begriff im Wandel

«Rückverfolgbarkeit» bezeichnet eine komplexe Methodik, die Aufsichtsbehörden, Unternehmen und wissenschaftliche Institute in die Pflicht nimmt. Die Lebensmittelsicherheit ist zwar ihr primäres Ziel. Zunehmend ins Blickfeld geraten aber Kundenbedürfnisse wie Transparenz, Ernährungsstil und Ökologie.

Rückverfolgbarkeit ist in der Konsumgüter- und speziell in der Lebensmittelbranche ein allgemein bekannter Begriff. Lebensmittelskandale der 1990er-Jahre, insbesondere das Auftreten der Bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE), populär auch «Rinderwahnsinn» genannt, führten dazu, dass der Gesetzgeber Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit formulierte. Wozu dient Rückverfolgbarkeit? Auch wenn der Begriff erst seit Mitte der 1990er-Jahre breiter bekannt ist und verwendet wird, sind seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten Mittel und Methoden bekannt, um sich der Qualität der Herstellungspraxis, der Vertrauenswürdigkeit des Herstellers und der nachfolgenden Lieferketten bis zum Konsum (minimal) zu vergewissern.
So gesehen ist Rückverfolgbarkeit Mittel zum Zweck: Auf der Seite des Konsums soll das Vertrauen in die Unbedenklichkeit und Güte des Lebensmittels gestärkt werden. Auf der Seite der Produktion sollen solche Massnahmen auch dem Marken- und Täuschungsschutz dienen und Trittbrettfahrer abwehren. Rückverfolgbarkeit dient der Lebensmittelsicherheit und der Vertrauensbildung. Bekannt ist das Dekret der Glarner Landsgemeinde von 1463, welches die Herstellung von Schabziger und die entsprechenden Qualitätsansprüche regelte. Dazu gehörte auch ein Herkunftsstempel, den von diesem Zeitpunkt an jedes Schabziger-Stöckli tragen musste und bis heute – mehr als 500 Jahre später – noch immer trägt.

Begriff meint Produkt und Prozesse
Rückverfolgbarkeit verweist einerseits auf erwartete Produkteigenschaften; Symbole und Beschriftungen auf dem Produkt selbst oder auf Verpackungen sollen dem Empfänger Gewissheit über die Echtheit des Produkts vermitteln. Andererseits ist mit dem Begriff auch die Erwartung an alle Akteure der Supply Chain verbunden, hinsichtlich der Qualitätssicherung eine systematische Aktenführung zu den Warenströmen zu betreiben. Der ISO-Standard 8402 definiert: «Unter dem Begriff Rückverfolgbarkeit ist die Möglichkeit zu verstehen, Werdegang, Verwendung oder den Ort einer Einheit anhand aufgezeichneter Kennzeichnungen verfolgen zu können.»
Wissenschaftshistoriker Grégoire Chamayou spricht in Zusammenhang mit dem Begriff «Traceability» von einem Kontrollapparat, einer Methodik des Nachprüfens, welche die Praxis des schriftlichen Aufzeichnens und Registrierens als richtig beglaubigt oder falsch aufdeckt. Rückverfolgbarkeit bezeichnet ein Ensemble von Konzepten, Prozessen, behördlichen Anordnungen und wissenschaftlichem Know-how, welches interpretationsfreie Techniken zur Identifikation von Objekten nutzt, um das Gebot der Sicherheit (in der Lieferkette) durchzusetzen; somit Methoden, die weit über das Beaufsichtigen von Gütern an Ort und Stelle hinausgehen.
Bekannt sind die Begriffe «foreward and backward traceability», also die Fähigkeiten, den Pfad eines Produkts durch die Supply Chain von der Entstehung bis zum Konsum nachzuverfolgen (to track) oder an jedem Punkt der Supply Chain Ursprung und Charakteristiken eines Produkts nach gegebenen Kriterien zu finden (to trace).

Die Kundschaft wünscht zunehmend mehr Nähe zu den Produzenten und will mehr wissen über Herkunft und Produktionsweise von Lebensmitteln.Rückverfolgbarkeit im Sinne des Gesetzes
Gemäss Lebensmittelgesetz sollen Unternehmen «Verfahren einrichten, damit den Behörden auf deren Verlangen Auskünfte über Lieferanten und Unternehmen, denen sie ihre Produkte geliefert haben, erteilt werden können.» Zu jedem Zeitpunkt sollen also die Herkunft, die Grösse, die Beschaffenheit einer bezogenen oder gelieferten Charge identifizierbar sein. Dies kann nur gelingen, wenn die Unternehmen lückenlose und identifizierbare logistische Prozesse innerhalb und über Unternehmensgrenzen hinweg führen. Zweifellos dienen die Anwendung von Standards und die Automatisierung des Datenaustausches nicht nur den Aufsichtsbehörden, sondern auch den Akteuren in der Supply Chain; die Effizienz wird gesteigert, die Prozesssicherheit erhöht. Angesichts komplexer Lieferketten sind Standards wie die GS1 Symbologien (sowohl der damit möglichen Verschlüsselung als auch Auslesung von Daten) und der standardisierte elektronische Datenaustausch zwischen Ressourcenplanungs- IT-Systemen von Unternehmen unverzichtbar geworden.
Die Durchsetzung des an sich einfachen Prinzips, «für einen Schritt zurück und für einen Schritt nach vorne» verantwortlich zu sein, ist in einen internationalen Kontext eingebettet. Dies ist denn auch die gesetzliche Anforderung an Schweizer Unternehmen. Der Handelsverkehr mit (tierischen) Lebensmitteln zwischen der Europäischen Union und der Schweiz basiert auch auf Erleichterungen, die aufgrund der festgestellten Gleichwertigkeit der Gesetzesbestimmungen im Hygienebereich gewährt wurden. Damit sind implizit auch die Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit gemeint. Die Schweiz bildet zusammen mit der EU nun einen «einheitlichen Veterinärraum ».
Doch die Rechenschaftspflicht für Einzelne kann auch ausgedehnt werden. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) macht geltend, dass ein Importeur so lange «verantwortlich für die Herkunft seiner Produkte ist, dass eine Gefährdung der Lebensmittelsicherheit ausgeschlossen werden kann», sofern er sie aus einem Land bezieht, «das kein analoges System der Rückverfolgbarkeit kennt.»

Neue Kennzeichnungs-Anforderungen
Das oben beschriebene und mittlerweile etablierte System der Rückverfolgbarkeit hat ein zentrales Ziel – die Lebensmittelsicherheit. Bereits am Horizont greifbar sind nun aber weitere Systeme, die zusätzliche Zwecke im Fokus haben. Komplexe Wertschöpfungsnetzwerke mit wechselnd auftretenden Akteuren und mehreren Zwischenhandelsstufen sind anfällig auf Betrug oder Verwischung des Ursprungs (tierischer) Frischlebensmittel.
Bei Fisch etwa haben nicht nur Konsumenten höhere Ansprüche an Informationen zur Herkunft, zu Fangmethoden, zur Spezies usw., sondern neuerdings auch der Staat – nicht grundlos. Die EU schätzte 2007 den Umfang des illegalen Fischfangs alleine auf europäischen Märkten auf 1,1 Milliarden Euro; ein Fünftel des Weltfischfangs entspricht nicht den Regeln eines regulierten und nachhaltigen Fischfangs. Die EU-Verordnung EG Nr. 2065/2001 setzt neue Massstäbe hinsichtlich der Sicherstellung und Überprüfbarkeit einer korrekten Deklaration. Dieses Rückverfolgbarkeitssystem will die korrekte Deklaration (auch auf Ebene Verkaufseinheit) sicherstellen. In Artikel 8 heisst es: «Die vorgeschriebenen Angaben über die Handelsbezeichnung, die Produktionsmethode und das Fanggebiet müssen auf jeder Stufe der Vermarktung der betreffenden Art vorliegen. Diese Angaben und der wissenschaftliche Name der betreffenden Art werden über eine entsprechende Etikettierung […] gemacht.»
Damit die Fischbranche in Übereinstimmung mit diesen Regeln agiert, steht ein ganzes Arsenal an komplexen naturwissenschaftlichen und kriminaltechnischen Methoden bereit, illegalen Fischfang aufzudecken. Die «seriösen » Akteure tun derweil alles, um das Vertrauen der Kunden in die Herkunft von Fisch (aus Frischfang wie aus Aquakulturen) zu stärken. So entschied sich die deutsche Metro-Gruppe, Europas grösster Frischfisch-Vermarkter, vor drei Jahren, den Ursprung der Produkte über die ganze Supply Chain transparent zu gestalten. Hierbei hilft die Informationsplattform «fTrace». Cash-and-Carry-Kunden wie auch Endkonsumenten können dank einer Mobiltelefon- App fTrace-Codes auf den Produktverpackungen lesen und erfahren so mehr über Ort, Fischer und Methode des Fischfangs sowie weitere Detail- und Marketinginformationen.

Forderung nach Transparenz
Die Kundschaft wünscht mehr Transparenz, der Gesetzgeber fordert diese ein, die Technik wird es möglich machen. Unternehmen werden in Zukunft vertiefte Informationen zu ökologischen, ökonomischen oder ernährungsphysiologischen Attributen der Produkte bereitstellen müssen. Geeignete Identifikations- und Kommunikationssysteme stehen bereit, solche Bedürfnisse abzudecken. Allerdings bestehen noch sehr viele Hürden in der Durchlässigkeit der Systeme, bei der Nutzung von Standards sowie bei der Benennung der Verantwortlichen entlang der gesamten Lieferkette. Es bestehen aber auch Chancen: Auf Internetbasis werden neue serviceorientierte Geschäftsmodelle entstehen, welche das Wissen zu Produkten teilen und die neuen Bedürfnisse stillen werden.

Manuel Fischer
 

Arbeitsgruppe Rückverfolgbarkeit aus Prozesssicht
(jb) Vonseiten der Gesetzgeber, Lieferanten, Händler, Dienstleister und Konsumenten wird die Rückverfolgbarkeit von Produkten, deren Produktion sowie der Transporte zunehmend nachgefragt und gefordert. Auch nehmen die Investitionen in Systeme zur Rückverfolgung von Produkten laufend zu. Unternehmen schützen so ihre Produkte und Prozesse vor Täuschung, Fälschung und krimineller Energie.
Rückverfolgbarkeit muss als ganzheitlicher Prozess verstanden werden, der sämtliche Schritte vom Rohprodukt bis zum Endprodukt einschliesst. Um die geforderte Transparenz in den Wertschöpfungsnetzwerken zu erreichen, müssen alle Beteiligten eine einheitliche Sprache sprechen. Das GS1 Lösungsportfolio liefert die Grundlage.
Gemeinsam wird eine Umsetzungsempfehlung erarbeitet, die alle GS1 Mitglieder befähigt, die Anforderungen an das Thema mit geeigneten Systemen und Verfahren zu realisieren. Mit den GS1 Standards steht eine einheitliche und gemeinsame Sprache zur Verfügung, die eine klare Kommunikation ermöglicht, Transparenz schafft und das Vertrauen erhöht.
Die Arbeitsgruppe setzt sich aus folgenden GS1 Mitgliedern zusammen:
• Bertrand Baeriswyl, Importexa SA
• Jonas Batt, GS1 Schweiz
• Marco Da Forno, GS1 Schweiz
• Wilhelm Damm, Zuckermühle Rupperswil AG
• Thomas Denne, Bell Schweiz AG
• Andreas Dörr, Coop Genossenschaft
• Reto Fischer, Management Ernst Sutter AG
• Sybille Gasner, Markant Syntrade Schweiz AG
• Danja Klink, Oswald Nahrungsmittel GmbH
• Marco Märsmann, Bell Schweiz AG
• Michel Ottiker, GS1 Schweiz
• Raphael Pfarrer, GS1 Schweiz (Projektleitung)
• Uwe Schieferstein, Lindt & Sprüngli AG
• Simone Sporing, Coop Genossenschaft
• Jürg von Niederhäusern, Migros-Genossenschafts-Bund
• Valentin K. Wepfer, GS1 Schweiz (Projektsteering)

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