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MEM-Industrie stellt Kundennutzen ins Zentrum von Industrie 4.0

Fast alle Unternehmen der MEM-Branchen haben mittlerweile Erfahrung mit Industrie- 4.0-Projekten. Dabei verlagert sich der Fokus auf den Kundennutzen. Die 2016 favorisierte Effizienzsteigerung fällt aus der Spitzengruppe.

Mit ihren Projekten rund um Industrie 4.0 will die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM) für ihre Kunden vor allem einen Zusatznutzen schaffen. Anders als vor zwei Jahren wird das Potenzial der Technologie hauptsächlich bei externen Angeboten und Marktleistungen gesucht. Damit wandelt sich das Verständnis von Industrie 4.0 weg vom reinen Optimierungswerkzeug. Das belegt die von Swissmem zusammen mit Swissmechanic und der Initiative «Industrie 2025» erstellte Studie «Umsetzungsstand Industrie 4.0», die 2018 zum zweiten Mal durchgeführt wurde.

Kundennutzen steht im Vordergrund
Die Firmen sehen den Nutzen von Industrie 4.0 heute allerdings ähnlich breit wie vor zwei Jahren. Angesichts von insgesamt zehn genannten Bereichen entschieden sich die meisten Firmen für vier Nutzungsmöglichkeiten. In der aktuellen Umfrage sind es 35,5 Prozent der Firmen, die so viele Anwendungen sehen. 2016 waren es lediglich rund 20 Prozent, was damals aber auch schon für den Spitzenplatz reichte. Die Werte für drei oder fünf Nutzungen liegen aktuell etwa auf dem gleichen Niveau bei knapp 25 Prozent. Die drei beliebtesten Einsatzgebiete sind die «Schaffung von Zusatznutzen für Kunden», die «Steigerung der Produkt- und Servicequalität» sowie die «Stärkung der Kundenbindung». In der Umfrage von 2016 hatte noch die «Steigerung von Effizienz und Produktivität » Platz eins belegt. Dieses Ziel rangiert heute nur noch auf Position fünf.



Fast alle KMUs arbeiten an Industrie-4.0-Projekten
Wenn man jedoch die Zahl der durchgeführten Projekte analysiert, rangieren solche rund um die «Zusammenarbeit mit Kunden» in beiden Studiendurchführungen weit oben. Die Entscheider erwarten, dass ihre Kunden ein starkes Bedürfnis nach Produkten oder Dienstleistungen im Sinne von Industrie 4.0 haben. Entsprechend sind rund 90 Prozent der Umfrageteilnehmenden in diesem Bereich aktiv. Im Vergleich zum Jahr 2016 gehen mittlerweile deutlich mehr Firmen die Themen «Neue oder verbesserte Dienstleistungen» und «Produkte mit neuen oder verbesserten Funktionalitäten» an. Ausserdem erhält die Suche nach neuen Geschäftsmodellen sichtbar mehr Aufmerksamkeit. Dagegen rangieren die Lagerhaltung und die interne Instandhaltung auf hinteren Plätzen. «Dies erstaunt, weil beispielsweise Predictive Maintenance auf der anderen Seite als ein wichtiges Thema für die Anbieter von Industrie-4.0-Lösungen gesehen wird», schreiben die Studienautoren.

Laut der aktuellen Studie haben bereits 94 Prozent der erfassten Firmen mindestens ein Industrie-4.0-Projekt umgesetzt, in Arbeit oder geplant. Das sind rund 20 Prozentpunkte mehr als 2016. Allerdings wurde die Definition von Industrie 4.0 für die Erhebung recht breit gefasst. So kann es sein, dass Firmen erst analoge Datenbestände digitalisieren müssen, bevor sie Projekte mit Vernetzungscharakter starten können. Der grösste Zuwachs ergibt sich bei den geplanten Projekten. Mittlerweile gibt es solche bei 82 Prozent der Firmen, fast doppelt so vielen wie 2016. Im Vergleich zu Grossunternehmen haben KMUs mehr Digitalisierungsprojekte in Planung, prozentual fast gleich viele in Arbeit, aber deutlich weniger umgesetzt. Andererseits beurteilen knapp 50 Prozent der KMUs und knapp 30 Prozent der Grossunternehmen die digitale Maturität ihres eigenen Umfelds als nur gering oder eher gering.



Industrie 4.0 erfordert einen Kulturwandel der Organisation
Ferner kann festgestellt werden, dass sich Industrie-4.0-Themen in einzelnen Unternehmen deutlich stärker ausbreiten als noch 2016. Das zeigt sich daran, dass Firmen gleich in mehreren Geschäftsbereichen entsprechende Vorhaben durchführen oder planen. Mittlerweile haben 7,7 Prozent der Firmen schon in drei Bereichen Industrie-4.0- Projekte umgesetzt, vor zwei Jahren waren es erst 5,4 Prozent. Bei den unternehmensinternen Veränderungen, die Industrie 4.0 mit sich gebracht hat oder die dafür nötig sind, stehen personalbezogene Aspekte in KMUs vorn. Mehr als die Hälfte der Firmen findet den Einbezug von Mitarbeitenden, die sich aktiv in den Wandel einbringen wollen, wichtig. Darauf folgt die Anwendung moderner Denkweisen und Methoden wie Design Thinking und agile Entwicklungskonzepte. Schliesslich wird die Entwicklung einer Kultur, die sich offen, neugierig und mutig mit den Chancen von Industrie 4.0 beschäftigt, genannt.

Die Unternehmen wurden jedoch nicht nur zum Stand und Ziel ihrer entsprechenden Aktivitäten befragt, sondern auch zu den auf dem Weg auftretenden Hindernissen:

• Die grösste Hürde sind wie schon 2016 fehlende personelle Ressourcen. Es bleibt jedoch im Dunkeln, ob dies auf eine Auswirkung des Fachkräftemangels, auf eine Priorisierungsfrage oder eine unzureichende Marge zurückzuführen ist, heisst es in der Studie dazu.
• Die zweite Schwierigkeit erwächst daraus, dass Kunden keine Daten zur Verfügung stellen wollen. Davon berichten rund 60 Prozent der Firmen, Vergleichswerte von 2016 gibt es nicht, weil sich das Thema erst in zahlreichen Einzelgesprächen mit Managern als bedeutsam herauskristallisiert hat. Angesichts der Wichtigkeit, welche das Sammeln und Auswerten von Daten für die Prozesse von Industrie 4.0 hat, wird dies als «ernst zu nehmendes Hindernis» beurteilt.
• Auf Rang drei folgt unverändert gegenüber 2016 die unklare Wirtschaftlichkeitsrechnung. Das Thema ist für viele Unternehmen latent. Es gibt jedoch keine Angaben dazu, ob die Intransparenz bei der Monetarisierung des Angebots, der Festlegung der Projektkosten oder der Quantifizierung des Nutzens besteht.
• Das 2018 neu erhobene Thema Sicherheit schaffte es auf Platz vier, obwohl nicht geklärt wurde, ob es um die eigene Sicherheit oder um Befürchtungen der Kunden geht. Eine fehlende Strategie ist bei Weitem weniger wichtig geworden als noch vor zwei Jahren. Der Punkt rutschte von Platz zwei auf Platz neun ab. Es ist ganz einfach so, dass mittlerweile bei zwei von drei Befragten Industrie 4.0 beziehungsweise die Digitalisierung ein Teil der Unternehmensstrategie geworden ist.

Leichtere Finanzierung von Industrie-4.0-Projekten
Bei drei Viertel der an der Umfrage Teilnehmenden führen die Industrie- 4.0-Projekte zu einem erhöhten Investitionsbedarf. Neben dem eigentlichen Investitionsbedarf kommt es in der Anfangsphase oft zu Initialausgaben für die Ausbildung von Mitarbeitenden oder den Aufbau einer Basisinfrastruktur. Zusätzlicher Aufwand ergibt sich, wenn komplexe Anwendungen anstehen, beispielsweise in Wertschöpfungsketten. Am liebsten möchten die Firmen die notwendigen Investitionen aus ihrem Cashflow finanzieren. Ob das tatsächlich gelingt, wurde nicht erhoben. Nur wenige Firmen finden die Finanzierung über Bankkredite attraktiv. Moderne Finanzierungsformen wie das Crowdlending werden erst vereinzelt genutzt. In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Bankiervereinigung will Swissmem deshalb Massnahmen erarbeiten, die den Bankkredit zu einem «attraktiven Finanzierungsmittel für die vierte industrielle Revolution » machen sollen.

Alexander Saheb
 

Tickt die MEM-Industrie schon 4.0?
«Wie steht es mit der Umsetzung von Industrie 4.0?», fragte Swissmem. Die erste Umfrage zum Stand der Umsetzung von Industrie 4.0 in der Schweizer MEM-Branche ergab folgendes Bild:
• Die Unternehmen beschäftigen sich intensiv mit Industrie 4.0.
• Industrie 4.0 wird primär, aber nicht nur, als Mittel für Optimierungen und Effizienzsteigerungen gesehen.
• Es gibt keine flächendeckende Umsetzung von Industrie 4.0 innerhalb der Unternehmen.
• Nur wenige Firmen befassen sich mit Geschäftsmodellinnovationen, obwohl hier grosses Potenzial besteht.
• Wissen und Know-how müssen weiter aktiv ausgebaut werden.

Swissmem realisierte die Umfrage in Kooperation mit Swissmechanic und der nationalen Initiative «Industrie 2025». Für die aktuelle Erhebung wurden zusätzlich drei neue Themen erhoben:
• Die Sicht der Firmen auf ihr individuelles Branchenumfeld und dessen digitale Maturität
• Für Industrie 4.0 nötige interne Veränderungen in Kultur, Organisation und Arbeitsgestaltung
• Aspekte der Finanzierung von Industrie-4.0-Projekten

Für die aktuelle Umfrage wurden 250 gültige Antwortsets ausgewertet. Davon stammten 10,4 Prozent aus der Romandie und insgesamt 74,4 Prozent von KMUs, die in der MEM-Branche fast 99 Prozent der Firmen darstellen. Die zwei grössten Gruppen waren die Komponentenhersteller und die Maschinenbauer mit 28 respektive 27 Prozent, dahinter folgten die Zulieferer mit 16 und die Anlagenbauer mit 14 Prozent. Der Anteil der KMUs erreichte immer mehr als 60 Prozent, bei den Zulieferern überstieg er 90 Prozent.

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