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Die grosse Angst vor der fremden Plattform

Wenn es etwas gibt, wovor sich der Schweizer Handel fürchtet, dann ist das eine digitale Plattform, die ihm sein Geschäft wegnimmt, weil sie die Kunden besser abholt, die Waren schneller liefert und zudem günstiger verkauft.

Die Digitalisierung bietet dem Handel viele Innovationschancen, birgt aber auch Risiken. Das wurde beim Jahresmediengespräch des Verbandes Handel Schweiz in Zürich deutlich. Verbandsdirektor Kaspar Engeli sprach über «Die digitale Realität in den Schweizer Handelsunternehmen» und Erkenntnisse, die eine Umfrage unter den rund 4000 Mitgliedsfirmen zutage gefördert hatte. Rund drei Viertel der befragten Firmen sind Grosshändler, die meisten befassen sich mit Konsumgütern, Industriegütern oder Bauprodukten.

Innovationen dank smarter Digitalisierung
Laut Engeli bringt die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten mit sich. Er führte das Beispiel des Werkzeughändlers Brütsch Rüegger an, der Bohrköpfe mit einem eingebauten Chip zur Verschleissmessung verkauft. Nähert sich das Ende der Lebensdauer, wird automatisch ein neuer Bohrkopf bestellt und liegt rechtzeitig zum Wechsel bereit. Diese Smartheit sei, was der Kunde wolle, so Engeli. Im Einzelhandel werde man die Kunden künftig wesentlich genauer kennen, könne sie gezielter ansprechen und kanalisieren.

Entsprechend sehen sich fast alle für die Erhebung befragten Unternehmen (93 Prozent) im Wandel durch Digitalisierung begriffen und gestalten diesen aktiv mit. Die Hälfte sieht sich dabei mindestens so gut aufgestellt wie ihre Wettbewerber. Für rund ein Drittel der Firmen hat die Digitalisierung bereits einen positiven Umsatzeffekt, etwa elf Prozent berichten das Gegenteil. Die Unternehmen müssen sich aber auf mehreren Ebenen verändern: Die Hersteller entwickeln neue Produkte, die dem Handel Impulse im Sortiment oder in der Beratung vermitteln. Digitale Schnittstellen zwischen Herstellern, Grosshändlern und Fachhandel senken die Kosten und beschleunigen die Prozesse – sie sind jedoch sehr aufwendig und oft kapitalintensiv.

Gut die Hälfte der Firmen sieht sich jedoch durch Unternehmen von ausserhalb des Handels bedroht; das sind elf Prozent mehr als noch vor drei Jahren. Insbesondere kommt das klassische Geschäftsmodell der Händler durch digitale Plattformen wie Amazon, Galaxus oder Alibaba unter Druck. Vermutlich im Sinne eines Abwehrdispositivs nutzen deshalb nur 20 Prozent der Händler solche Plattformen für sich. Die Konkurrenzsituation hat sich beim Pricing etwas entspannt, dagegen ist sie mit Blick auf das Sortiment (das haben die Plattformen erweitert) und die Logistik gestiegen.

Die Handelsunternehmen stehen nach Angaben von Engeli nun vor dem Entscheid, ihr eigenes Sortiment zu erweitern oder sich stärker zu spezialisieren und gleichzeitig die Verfügbarkeit des möglicherweise breiteren Sortiments zu erhöhen. Engeli hält es für möglich, dass die Zukunft eine steigende Machtkonzentration im Handel bringt. Seiner Auffassung nach führt die Logik der Digitalisierung dahin, dass sich nur wenige grosse Player in der Onlinewelt durchsetzen. Für ihn ist Zalando ein Paradebeispiel der Macht digitaler Plattformen: Vor zwölf Jahren gab es die Firma noch nicht, sechs Jahre später beherrschte sie die Hälfte des Schuhmarktes.

Alexander Saheb

Personalisierung und Multichannel-Erlebnisse
Losgrösse eins – das ist für Daniel Broglie ganz kurz gefasst die innovative Quintessenz der Digitalisierung. Broglie ist CEO und Mitglied des Verwaltungsrats der Chromos Gruppe, die als Handelsunternehmen für Maschinen der visuellen Kommunikation und Verpackungsindustrie in der DACH-Region aktiv ist. «Ich verstehe Digitalisierung als eine Massenproduktion mit Losgrösse eins – Beispiele sind das Fotobuch oder der 3D-Druck», sagte Broglie am Jahresmediengespräch von Handel Schweiz in Zürich. Der aktuelle Wandel erfordere insbesondere eine gute Überleitung vom Digitalen zum Physischen.

QR-Codes schaffen Mehrwert
Beim Druck von Verpackungen erschliessen QR-Codes dem Endverbraucher wertvollen Zusatznutzen. Wird der Code mit dem Handy gescannt, erhält man Zusatzinfos zum Produkt wie die Inhaltsstoffe oder einen Film über seine Herstellung. Über die Verpackung von Games gelangt man so auf die entsprechenden Spielzeugfiguren. Neben einem gedruckten Text platziert, erlaubt der QR-Code den Zugriff auf einen ergänzenden Film. Ebenso wird die Identifizierung von Fälschungen ermöglicht. Zu diesem Zweck scannen Nutzer einen QR-Code, der mit der Herstellerdatenbank abgeglichen wird. Darüber hinaus sind noch ganz andere Lösungen möglich. Broglie sprach von Lebensmitteletiketten, die je nach Zustand des Produkts ihre Farbe ändern und damit ein dynamisches Haltbarkeitsdatum visualisieren. Solange die Ware einwandfrei ist, passiert nichts. Sobald aber beispielsweise die Kühlkette unterbrochen wird, verfärbt sich beispielsweise der Verschluss eines Joghurtbechers. Damit könnte Foodwaste reduziert werden.

Ein weiterer starker Trend sei die personifizierte Verpackung mit individuell bedrucktem Geschenkpapier. So berichtet Broglie, dass das Warenhaus Globus zwei Jahre lang mit einer Maschine von Chromos zu Weihnachten individuelles Geschenkpapier angeboten hat. Die Kunden kaufen dabei einen Bogen Geschenkpapier, wählen aus verschiedenen Mustern aus und fügen eine persönliche Widmung hinzu wie zum Beispiel «für meinen lieben Schatz Egon». Ebenso ist die Individualisierung von Produktverpackungen möglich, beispielsweise im Bereich der Tiernahrung oder anderer Foodwaren.

Loeb setzt auf ein gesteigertes Kundenerlebnis
Die Berner Warenhausgruppe Loeb muss gegen Onlinehändler bestehen und verfeinert deshalb das Kundenerlebnis mit Innovationen, die teils nur dank der Digitalisierung möglich sind.
«Das Warenhaus muss eine Wohlfühl-Atmosphäre schaffen und die Verweildauer erhöhen», findet Martin Stucki, Chief Digital Officer der Berner Warenhausgruppe Loeb. An der Veranstaltung von Handel Schweiz erläuterte er einige der Neuerungen, die Loeb in jüngerer Zeit umsetzen konnte.

Spass und Erlebnis stehen im Vordergrund
Die Kundinnen und Kunden werden bei Loeb insbesondere durch gezielte persönliche und ganz generell ausgewählte haptische Erlebnisse «überrascht», wie Stucki ausführte. Sie können in den verschiedenen Kundenlounges unterschiedlichsten Aktivitäten nachgehen: fernsehen, Zeitung lesen, nähen, sticken, Retro-PacMan-Games oder mit dem Töggelikasten spielen. Sie können aber auch Essen an den Sitzplatz bestellen und dort auch gleich bezahlen. Ferner gibt es Events mit ausgewählten Koch-Influencern. Diese kommen vor allem bei sehr jungen Leuten gut an, berichtet Stucki.

In Sachen Digitalisierung stehen weniger die technischen Möglichkeiten als der potenzielle Kundennutzen im Vordergrund. Das Einkaufserlebnis wird mit digitalen Tools deshalb ganz gezielt optimiert. Über die verlängerte Ladentheke oder eine Touchwall hat die Kundschaft Zugang zu den digitalisierten Katalogen der Lieferanten. In den Umkleidekabinen für Damen-Unterwäsche befindet sich ein kleiner Screen, über den eine Beraterin bestellt werden kann. Diese erhält dann eine entsprechende Push-Nachricht auf ihre Apple Watch. Gern genutzt werden auch die mobilen Tablet-Kassenstationen.

Dank der Digitalisierung kann die Warenhauskette zudem ihr Loyalty-Programm für die rund 80 000 Besitzer und Besitzerinnen einer Loeb-Karte stärker an das persönliche Kaufverhalten anpassen. Bisher erhalten alle mit der Rechnung die gleichen Angebote – unabhängig vom Kaufverhalten oder vom Kunden-Life-Cycle. In Zukunft werden individuell angepasste Informationen verschickt. Auf der Loeb-Website ist der Kundendienst via Chat ansprechbar, man erreicht ihn aber auch über WhatsApp oder Messenger. Dahinter stehen aber keine Chat-Bots, sondern echte Mitarbeitende von Loeb.

 

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