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«Prozesse zu digitalisieren genügt nicht»

Die Digitalisierung verändert die Logistikbranche. Wir haben uns mit Mauro Manacchini, Leiter strategische Beschaffungsprojekte Alifresca/Coop Gruppe, über Digitalisierung und künstliche Intelligenz unterhalten.

GS1 network: Ich gehe davon aus, dass die digitalen Möglichkeiten Treiber zu einer effizienteren Supply Chain bei Coop sind. Korrekt?
Mauro Manacchini: Nein, das ist nur ein Teil, ein weiterer wichtiger Treiber sind unsere Kunden – und nicht nur die technologieaffinen –, die das Einkaufserlebnis neu und anders gestalten als bisher und das alles zu einem Zeitpunkt, in dem die Lieferketten anspruchsvoller und gleichzeitig immer dynamischer werden.  

Haben Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel Convenience-Produkte wie Sandwiches, Fertigsalate, Frischsuppen, Sushi, Drinks to go und so weiter, also Produkte mit einer sehr kurzen Mindesthaltbarkeit. Gleichzeitig ist der Verkauf dieser Produkte nicht nur vom Wetter und der gefühlten Aussentemperatur abhängig. Die Kunden entscheiden meist spontan im Laden, welches Produkt sie kaufen. Die Herausforderung lautet: Wie können wir eine möglichst zuverlässige Prognose und damit Bestellvorschläge entArbeitsplätze wickeln, wenn die Konsumenten allein bei den Sandwiches zwischen mehreren Sorten entscheiden können und das in über tausend Filialen schweizweit?

Und die Antwort lautet?
Die klassische «händische» Disposition basierend auf der Erfahrung der jeweiligen Verkaufsmitarbeitenden reicht nicht. Hier unterstützt uns das KI-basierte Tool «Sales Based Order» SBO mit einer professionellen, innovativen Datenanalyse. Historische Daten sowie viele weitere Faktoren und komplexe Zusammenhänge werden durch das SBO-Tool in die Analyse zur Prognose des Bestellvorschlags einbezogen. Damit sind wir in der Lage, für jede Verkaufsstelle individuell pro Tag die möglichen Kaufpräferenzen unserer «Sandwich-Kunden» vorherzusagen.

Die Digitalisierung der Prozesse steht also doch im Vordergrund?
Ja und nein. Ja, weil die Digitalisierung tatsächlich einen Mehrwert bringen kann. Nein, weil es meiner Meinung nach nicht genügt, einfach nur die Prozesse zu digitalisieren. Denn unter dem Einfluss von Innovationen in den Bereichen künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen vollziehen sich aktuell signifikante Veränderungen in zahlreichen unterschiedlichen Geschäftsfeldern. Um die vielen Daten jedoch wirklich zu erschliessen und KI zu nutzen, müssen die diversen KI-Geschäftsfelder sinnvoll zu einer integrierten KI-Strategie verknüpft werden.

Welche Vorteile bringt eine stark ausgeprägte digitale Kultur mit sich?
Unternehmen mit einer stark ausgeprägten digitalen Kultur sind nachweislich erfolgreicher und haben zufriedenere Mitarbeitende. Denn die digitale Strategie und die digitale Kultur müssen zwingend zusammen gedacht und umgesetzt werden. Die aktive Gestaltung des digitalen Kulturwandels muss durch die Unternehmensleitung als «Role Model » vorgelebt werden. Dabei ist es wichtig, den Fokus stärker auf den Menschen als auf die Technologie zu setzen. Und genau das lebt Coop jeden Tag vor, denn hier stehen die Kundinnen und Kunden sowie die Mitarbeitenden in allen Überlegungen im Zentrum. Die Schaffung einer Kultur des Vertrauens, eine ausgewogene Fehlerkultur und die frühestmögliche Einbindung der Betroffenen in die Transformation sind ebenso wichtig wie die Bereitschaft, Freiraum für Eigeninitiative zu gewähren.

Die Fragen stellte Werner Rüedi.
 

Neue Unternehmenskultur
Für Mauro Manacchini sind vier wesentliche Faktoren unabdingbar, um eine digitale Transformation erfolgreich umzusetzen.
• Firmen müssen ihr «Silodenken» überwinden. Eine digitalisierungsfreundliche Unternehmenskultur und holistisches, bereichsübergreifendes Denken sind Prämissen für die digitale Transformation.
• Die Einführung neuer Methoden und Managementansätze bei der digitalen Transformation ist Chefsache – ein Top-down-Ansatz ist wichtig, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu definieren.
• Digitalisierung erfordert eine dezidierte Sicherheitsstrategie  
• «Orchestrierung» des Change-Managements. Ich behaupte: Wenn die Digitalisierung das Unternehmen auf eine höhere Stufe der Wertschöpfung bringen soll, ist Technik die notwendige Voraussetzung. Nur Unternehmen, die gelernt haben, ihr Geschäftsmodell, ihre Strukturen und ihre Prozesse systematisch und nachhaltig im Einklang mit der Digitalisierung zu verändern, sind für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet. Dabei muss man sich mit einem Thema ohne Tabus konsequent auseinandersetzen. Das «magische Thema» heisst «digitale Unternehmenskultur ».


 

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