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Zukunftsbilder vernetzter Logistik

Die Digitalisierung zählt zu den grössten Herausforderungen in der Logistikbranche, ermöglicht aber auch neue Geschäftsmodelle. Übernehmen in Zukunft Frachtroboter die Paketzustellung oder produziert die rollende Fabrik auf dem Weg zum Kunden die Ware gleich im Lieferwagen? Wir blicken in die Zukunft der Logistik.

Der Beitrag lädt ein zu einer Reise in die Zukunft der Logistik, von der Gegenwart bis in das Jahr 2036. Mit dem Jahr 2036 ist ein Entwicklungszeitraum gewählt, der weit genug in der Zukunft liegt, um die Begeisterung, die Faszination für das Neuartige zu wecken; aber auch nah genug für die Motivation zur Umsetzung. Auf der Reise in die Zukunft stehen fünf Zukunftsfelder im Mittelpunkt.

Onlinehandel
In den nächsten Jahren wird eine starke Zunahme des Onlinehandels erwartet. In der Schweiz beträgt sein Anteil am Detailhandelsumsatz rund 10 Prozent. Extrapoliert auf das Jahr 2036 steigt dieser auf 41 Prozent an. Auf Basis von Statistiken und logischen Annahmen kann für die Schweiz im Jahr 2036 ein Detailhandelsumsatz von 104 Milliarden Franken erwartet werden. Zu diesem trägt der Onlinehandel mit 42 Milliarden Franken bei. Dagegen nimmt der stationäre Handel absolut und relativ ab.

Lebensmittel repräsentieren mit mehr als 35 Prozent den grössten Teilmarkt im Detailhandel. Zugleich haben Lebensmittel mit nur rund 2 Prozent am gesamten Lebensmittelumsatz den niedrigsten Anteil im Onlinegeschäft. Fokussiert auf die nächsten zehn Jahre wird eine Steigerung des Online-Umsatzes bei Lebensmitteln auf 10 Prozent vorausgesagt.

Im Zusammenhang mit dem wachsenden Onlinehandel stellt sich die Frage, ob die Zustellung an der Wohnungstür das Wünschenswerte für die Mehrzahl der Kunden ist. Logistisch gesehen könnte eine Lösung in Analogie zu McDrive für die Kunden, den Handel sowie für die Gesellschaft insgesamt Vorteile bringen. Diese Geschäftsidee basiert auf dem Konzept «Click & Collect».

Im konkreten Fallbeispiel bestellt der Kunde online seinen Warenkorb und holt diesen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause zum bestimmten Wunschtermin am extern angebrachten Serviceschalter der Filiale ab, ohne Wartezeit und ohne Aussteigen, indem ein freundlicher Servicemitarbeiter den Korb in den Kofferraum stellt. Der Kunde spart im Vergleich mit seinen bisherigen Gewohnheiten die Parkplatzsuche, rund eine Stunde Einkaufen mit Schlange stehen an der Kasse und gefühlt erhält er die Lebensmittel just in time. Interne Serviceschalter können diese Vorteile für den Kunden nicht bringen. Denn hat der Kunde einmal die Filiale betreten, kann er seine Waren genauso gut selbst aus dem Regal holen.

Teilweise sind Pick-up-Stationen mit Eingang an der Rückseite der Handelsfiliale eingerichtet, aber auch diese bringen nicht den erhofften Kundennutzen, da der Kunde durch Parken, Aussteigen und Warten an der Sprechanlage viel zu viel Zeitverlust hat und den Online-Einkauf so nicht als ein schönes Einkaufserlebnis wahrnehmen kann. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb bei den gegenwärtig eingeführten Onlinelösungen für Lebensmittel der Erfolg mehr oder weniger ausbleibt. Anders dagegen die vorgeschlagene McDrive-Lösung: Bei dieser bleibt der Kunde im Auto sitzen, hat keinen Zeitverlust und kann zügig weiterfahren.

Bei der McDrive-Lösung entstehen auch keine Zusatzverkehre für die Anlieferung bis an die Wohnungstür, da der Kunde die Ware auf seinem Arbeitsweg abholt. Mittels Predictive Analytics können sowohl für den Kunden als auch für den Handel weitere Vorteile generiert werden. Indem sich die wöchentlichen Warenkorbinhalte wiederholen, kann der Handel passende Produktempfehlungen abgeben und so Umsatz und Kundenzufriedenheit erhöhen.

Lieferverkehre und Zustellungsoptionen
Wie wirkt sich das Wachstum im Onlinehandel auf das Sendungs- und Paketvolumen im Jahr 2036 aus? Nach solider Berechnung wird das Volumen bis 2036 auf das Viereinhalbfache ansteigen. Angesichts der knappen Kapazitäten der Verkehrsinfrastruktur würde das bei einer klassischen Zustellung bis zur Wohnungstür die Grenzen des Machbaren überschreiten. Notwendig ist eine Entkopplung zwischen Sendungs-/Paketvolumen und Güterverkehrsleistung. Die Lösung liegt in einer intelligenten Vernetzung von bewährten und neuartigen Zustellkonzepten.

Als Erstes ist zu unterscheiden, ob die Zustellung in der Stadt oder im weniger dicht besiedelten Raum erfolgt. Die Herausforderung liegt besonders in den Grossstädten und urbanen Ballungsräumen. In fünf Jahren wird die Hälfte der Weltbevölkerung in grösseren Städten leben. Für das Jahr 2050 wird damit gerechnet, dass zwei Drittel der Weltbevölkerung in Grossstädten leben.

Die Zustellungsoptionen Paketshops, Packstationen, Paketkästen sind im Jahr 2036 mehr oder weniger flächendeckend umgesetzt. Zusätzliche Vorteile würden rollende Stationen bringen. Bei einem Spitzenbedarf wie in der Weihnachtszeit lässt sich eine rollende Packstation problemlos zu einer bereits vorhandenen hinzustellen. Auch können die Poststellen der Unternehmen zu Paketstationen erweitert werden. Alle Lieferdienste haben Zugang zu den Paketstationen und profitieren von den Vorteilen einer Bündelung der Anliefertransporte, hundertprozentiger Erstzustellquote und einer Verbesserung ihrer Umweltbilanz.

Für dicht besiedelte Gebiete eignen sich mobile Mikrodepots. Dabei handelt es sich um kleine, dezentrale Verteilplätze, die in den Stadtbezirken aufgestellt werden. Von den Mikrodepots aus werden die Waren zu Fuss oder mit dem Elektro-Lastenrad zugestellt. E-Transporter können in Zukunft als rollende Hubs genutzt werden. Sie fahren festgelegte Standorte zu definierten Zeitfenstern an. Die Kunden holen ihre Sendungen am Fahrzeugstandort ab beziehungsweise bringen die Retouren zum Fahrzeug.

Lieferroboter befinden sich ebenfalls in der Pilotphase. Derzeit transportieren Lieferroboter ein Gewicht von maximal 15 Kilogramm über eine Distanz von 10 Kilometern. Elektrisch betriebene multifunktionale Logistikfahrzeuge ermöglichen gleichzeitig alternative Zustellungen: das Starten und Landen von Drohnen, die Zustellung per Lieferroboter und die persönliche Zustellung durch Lieferboten. Unterirdische autonome Frachtroboter beliefern Filialen, Paketshops, Packstationen und Mikrodepots. In einem neu aufzubauenden Stadtviertel von Toronto sollen unterirdische Flotten von Frachtrobotern die Paketzustellung übernehmen. Mit einer ähnlichen Idee hat die Schweiz das grosse Zukunftsprojekt Cargo Sous Terrain gestartet.

Alle bisher betrachteten Zustelloptionen haben eine Gemeinsamkeit: Sie basieren auf der Beziehung zwischen Unternehmen und Konsumenten (B2C). Das Konzept Crowd Shipping zeigt unter Nutzung sozialer Netzwerke, dass es auch anders geht. Auf einer Plattform kommen private Anbieter von Transportraum und private Versender zusammen und vereinbaren Abhol- beziehungsweise Zustellaufträge. Dass es funktionieren kann, beweist das Geschäftsmodell von Uber, das auf dem vergleichbaren Konzept der Crowd Mobility basiert.

Smart Cities und urbane Logistik
Um dem wachsenden Verkehrsaufkommen in Singapur Herr zu werden, sieht die Metropole künftig autonom verkehrende Lufttaxis und Passagierdrohnen vor. Das Projekt «Urban Aerial Mobility» des europäischen Flugzeugkonzerns Airbus geht genau in diese Richtung. Der CityAirbus soll 2020 zu ersten Testflügen abheben. Das mit Strom betriebene Luftfahrzeug fliegt autonom, startet und landet senkrecht und bietet Platz für vier Personen. Auch Uber will - gemeinsam mit der amerikanischen Weltraumbehörde NASA - die Idee des «fliegenden Automobils» bis 2020 Wirklichkeit werden lassen. Autonome Luftfrachttaxis, fliegende Transporter und Frachtdrohnen mit grösserem Ladegewicht und -raum sind, für die von den Kunden gewünschten kurzen Lieferzeiten, als zukünftige Optionen denkbar. Der Trend zum mehrgeschossigen Lagerhaus käme dem Starten und Landen auf den Dächern der Lagerhochhäuser entgegen.

Auf der einen Seite ein Ausweichen in die Luft, auf der anderen Seite muss zukünftig die städtische Infrastruktur auch in der Nacht für Lieferverkehre freigegeben werden. Das kann funktionieren unter der Voraussetzung neuer logistischer Konzepte, wie dem Einsatz geräuscharmer oder geräuschloser Fahrzeuge, Lade- und Entladehilfsmittel. Dazu laufen aktuell Pilotprojekte. Auch erhält die Filiale zusätzlich die Funktion als städtisches Verteillager, indem direkt und binnen kürzester Lieferzeit aus der Filiale heraus geliefert werden kann.

Veränderungen in den klassischen Handelsströmen werden rollende Fabriken bringen. Das sind mit 3D-Drucker ausgestattete Fahrzeuge, die flexibel am Stadtrand aufgestellt werden und Waren vor Ort ausdrucken. Hierin liegt auch ein Zukunftsgeschäft für Logistikdienstleister. Amazon hat für rollende Fabriken bereits Patente angemeldet. Die derzeit in Pilotprojekten getesteten sowie die noch im visionären Stadium befindlichen Zustellungsoptionen gibt es aber nicht zum Nulltarif.

Preismodelle für Logistikservices
Der boomende Onlinehandel und die Individualisierung der Kundenwünsche führen dazu, dass zunehmend die Logistikservices über Kauf oder Nichtkauf einer Ware entscheiden. Die Logistikleistung wirkt damit wertsteigernd auf die Ware. Es ist gerade diese wertsteigernde Wirkung, welche Industrie-, Handels- und Logistikunternehmen zukünftig nutzen sollten, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Das Potenzial für eine Differenzierung im Wettbewerb liegt primär in der Logistik. Indem Unternehmen ihren Kunden den Zugang zu neuen Logistikservices ermöglichen, schaffen sie sich Wettbewerbsvorteile.

Logistikservices unterscheiden sich in den Kosten, was sich in den Preisen niederschlagen muss. Das ist die Voraussetzung, um interne Subventionierung, Fehlallokation knapper Ressourcen und Qualitätseinschnitte zu vermeiden und um eine aufwandsadäquate Nachfrage bei Kunden zu entwickeln. Die Bereitschaft bei Privat als auch Geschäftskunden, für Logistikservices und -qualität zu zahlen, ist unterschiedlich ausgeprägt.

Es bedarf eines Kulturwandels: von der überalterten Vorstellung über Logistik als «schmutzigem Transport» hin zu einer Wahrnehmung, Einstellung und einem Verlangen nach Logistikservices als werteschaffende Dienstleistungen. Dazu braucht es eine klare und saubere Kommunikation gegenüber dem Kunden, sonst kann der Kulturwandel nicht gelingen.

Vernetzte Logistikwelt
Physical Internet ist die Vision eines offenen, weltweiten Logistiksystems in Analogie zum Internet. Es ist eine Realisierung des Internets der Dinge. Mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Transportmittel, Transporthilfsmittel und Infrastrukturanlagen sind in der Lage, optimale Transportflüsse auf der Strasse, dem Wasser, der Schiene und in der Luft zu organisieren und zu steuern. Die flächendeckende Verwirklichung des Physical Internet wird für das Jahr 2050 angestrebt.

Im Physical Internet können höhere Auslastungsgrade bei Transportmitteln und fliessende Verkehre erreicht werden. Aktuell bewegen sich die Zahlen zu Auslastung und Verkehrsfluss auf ernüchterndem Niveau. Laut Studien sind aktuell 30 bis 60 Prozent der Fahrzeuge auf der Strasse nicht beladen und in über 80 bis 90 Prozent der Fahrtzeit fliesst der Transport nicht optimal. Autonomes Fahren ist ein Bestandteil des Physical Internet. Experten rechnen damit, dass im Jahr 2036 der klassische Lkw mit Fahrer durch einen autonom fahrenden Lkw nahezu flächendeckend ersetzt wird.

Die Blockchain-Technologie ermöglicht eine ganz neue Qualität in der Zusammenarbeit zwischen Supply-Chain- Akteuren und den mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Logistikobjekten, sogenannten Smart Objects wie ®sprechenden ¯ Containern. Eine vernetzte Logistikwelt wird es mit den heutigen zentralen Strukturen von Datennetzen, bei denen alle Daten an einer zentralen Stelle gebündelt werden, um sie danach an einzelne Empfänger weiterzuleiten, nicht geben. Das kostet viel zu viel Zeit und setzt ein Vertrauen der Supply-Chain-Partner voraus.

Dagegen ist die Blockchain ein dezentrales und für jeden Supply-Chain- Teilnehmer zugängliches, transparentes Datennetzwerk. Die Leistungsbeziehungen zwischen Supply-Chain-Akteuren sind in Smart Contracts fixiert und in Datenblöcken gespeichert. Für zusammenhängende Transaktionen und Prozesse werden die einzelnen Blöcke zu Ketten verknüpft; daher auch der Name «Blockchain». Indem jeder Netzwerkteilnehmer eine Kopie der gesamten Kette besitzt, kann er nicht nur alle Informationen nachvollziehen, sondern ist auch vor Datenmanipulation geschützt. Fallbeispiel: Die an den Empfänger gelieferte Ware weist Beschädigungen auf. In der Regel schieben die beteiligten Unternehmen jegliche Schuld von sich weg. Unter Anwendung der Blockchain kann jedoch exakt und schnell nachgewiesen werden, wer wo und wann welchen Schaden verursacht hat. Denn in den Smart Contracts sind alle Leistungsparameter (Produkteigenschaften, Qualität, Lieferzeit, Liefermenge, bei temperaturgeführter Ware die Temperaturen entlang der Kühlkette) fixiert. Diese werden mittels Sensoren und Kameras während der Leistungsausführung erfasst, dokumentiert und können dann nicht mehr verändert werden. Würde einer von zehn Supply-Chain-Partnern versuchen, die Daten zu ändern, so wäre das von vornherein ein aussichtsloses Unterfangen, da ja die übrigen neun Partner jeweils eine Kopie der wahren Blockchain besitzen.

Durch den Einsatz von Smart Contracts kann ein ganz neues Niveau der Automatisierung erzielt werden, da diese intelligenten Verträge nach dem Wenn-Dann-Prinzip funktionieren, bei dem ein Zustand eine Handlung auslöst (z. B. Material wird vollautomatisiert nachbestellt, Lieferwege werden optimiert). Aus heutiger Sicht eröffnet erst die Blockchain-Technologie die Chance, die grossen Datenmengen, welche die Supply-Chain-Akteure und Smart Objects im Internet der Dinge erzeugen, gezielt, schnell und manipulationssicher zu verarbeiten. Die Blockchain macht Geschäftsprozesse in Supply Chains schneller, effizienter und sicherer.

Augmented-Reality-Lösungen sind in einer vernetzten Logistikwelt nicht wegzudenken. Sie vermitteln digitale Zusatzinformationen an Logistikmitarbeiter mittels Datenbrillen. Der Trend geht zur Dienstbrille.  über die Kommissionierung hinaus tun sich neue Anwendungsfelder auf. Die fünf Zukunftsfelder zeigen Ansatzpunkte für eine in die Zukunft gerichtete Entwicklung der Logistik auf. Die Überlegungen sollen für die Gestaltung unternehmensindividueller beziehungsweise Supply-Chain- individueller Zukunftsbilder in den jeweiligen Unternehmen inspirieren.  

Prof. Dr. Ingrid Göpfert

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