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Piloten mit Bodenhaftung

GS1 Lehrgänge mit Praxisbezug stossen auf reges InteresseAuf die Lancierung des Projekts SwissSupplyChain (SSC) durch das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) im Jahr 2005 folgte eine längere Phase des Planens. Die beteiligten Verbände erarbeiteten neue, zukunftsorientierte Prüfungsanforderungen. Seit Herbst 2010 führt GS1 Schweiz die erste Staffel der neuen Studiengänge durch. Und das mit Erfolg.

(jf) Es sind drei Richtungen, die gewählt werden können: Logistikfachmann/ -frau mit eidg. FA, eidg. dipl. Logistikleiter/ in und eidg. dipl. Supply Chain Manager/in. Das Berufsbild des Supply Chain Managers wurde komplett neu geschaffen, um auch den aktuellsten und zukünftigen Bedürfnissen der Wirtschaft zu entsprechen. Allen drei Weiterbildungen gemeinsam sind die Dauer von drei Semestern und der modulare Aufbau. Die Lehrgänge stossen auf reges Interesse.


Die Pilotklassen
So befinden sich beispielsweise in den zwei Pilotklassen für Logistikfachleute über 40 Studierende unterschiedlichen Alters und aus den verschiedensten Fachbereichen. Die anderen beiden Klassen wurden für die ersten Module zusammengefasst und besuchten den Unterricht bis zur ersten Prüfung gemeinsam. Auch bei den Logistikleitern und den Supply Chain Managers stammen die Teilnehmenden aus den verschiedensten Branchen Der Unterricht findet jeweils am Freitag und Samstag statt und beansprucht einiges an Motivation, denn viele Module fordern den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchaus etwas ab.


Die Mühe mit der Theorie
Ein Thema taucht bei allen Rückmeldungen von Dozenten immer wieder auf: die Notwendigkeit eines konstanten Praxisbezugs. Die Studierenden scheinen nur begrenzt gewillt und in der Lage zu sein, theoretisches Wissen aufzubauen. Das gilt beispielsweise für ein Thema wie Finanz- und Rechnungswesen. «Einige meiner Studenten haben mit diesem Bereich offensichtlich noch nie zu tun gehabt», berichtet Thomas Zentsch. Er ist in der Unternehmensberatung und im Controlling tätig und agiert seit 2003 als Dozent für GS1 Schweiz. Sein Modul vermittelt «das Wichtigste aus dem Bereich Finanz- und Rechnungswesen. Also etwa, wie man eine Bilanz erstellt, ein bisschen doppelte Buchhaltung, die Betriebsabrechnung, Kalkulation, Preis- und Investitionsberechnungen, all diese Dinge.»

Thomas Zentsch räumt ein, dass beispielsweise ein Logistikfachmann zunächst nur einen kleinen Teil davon direkt gebrauchen kann. «Aber schon auf der Stufe eines Abteilungsleiters wird er in den meisten Fällen in die Kostenplanung involviert. Verantwortung ist meistens auch Budgetverantwortung! » Aus diesem Grund gehe es halt nicht ohne ein bisschen Theorie. Doch die meisten Lehrbücher blieben extrem abstrakt und seien für viele in einer Art Fremdsprache geschrieben. «Das bedeutet für mich, dass ich meine Ausführungen konsequent mit Praxisbeispielen begleite.»

Auf Schlagdistanz
Auch andere Dozenten setzen alles daran, die Studierenden erleben zu lassen, was sie wissen müssen. Hans Conrad Hirzel etwa unterrichtet das Modul «Selbstmanagement & Mitarbeiterführung ». Das umfasst beispielsweise das Thema «Kommunikation als Führungsinstrument». Auf einem Flipchart lässt er Schritt für Schritt ein komplexes Kommunikationsmodell mit unzähligen Aspekten verbaler, paraverbaler und nonverbaler Kommunikation entstehen. Dann lässt Hirzel die Teilnehmenden buchstäblich erleben, was sie lernen sollen, etwa indem er unter Körpereinsatz demonstriert, dass der Abstand einer Armlänge die Grenze zu dem anzeigt, was wir als persönliche Distanz erleben. Hirzel arbeitet seit über zwanzig Jahren als Dozent; unter anderem hat er ein Mandat bei der Credit Suisse Business School, wo er Kadermitarbeitende für Führungsaufgaben fit macht.


Lego? Nein, Dumper AG
Ähnlich greifbar gestaltet sich der Unterricht von Reinhard Bacsa. Der Geschäftsführer der COPAL-Logtrain Systems GmbH unterrichtet bei den Logistikleitern das Modul Produktionslogistik, welches er mit einem zweitägigen Planspiel vertieft. Dabei geht es um ein imaginäres Unternehmen namens Dumper AG, welches Baumaschinen herstellt und vertreibt. Das Produkt wird durch einen kleinen Lego- Bagger symbolisiert, den die Teilnehmenden schon während des Moduls kennengelernt haben.

Im Planspiel sieht sich der Logistikleiter der Dumper AG mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Nach einer eingehenden Analyse müssen konkrete Lösungsansätze entwickelt werden. Dabei steht eine Simulationssoftware zur Verfügung. «Die Studenten werden dadurch gezwungen, ihre Ideen auf die Ebene der Zahlen herunterzubrechen. Die daraufhin von der Software generierte Flut von Kennzahlen für das nächste halbe Jahr der Firma müssen sie dann interpretieren, und das ist nicht ganz ohne», erzählt Bacsa.


Die Klasse der Dozenten
Die Beispiele führen vor Augen, wie wichtig es ist, die Kurse mit fähigen Dozenten zu bestücken. Diese Aufgabe fällt den drei Studienleitern zu. Einer davon ist Hans Bossard: «Die Suche nach Lehrkräften, die in der Praxis verankert sind und gleichzeitig methodisch- didaktische Fähigkeiten aufweisen, hat mich 13 Jahre lang beschäftigt », erzählt er.

Die rund 60 Dozentinnen und Dozenten sowie 150 Expertinnen und Experten, die für GS1 Schweiz arbeiten, be kleiden in der Wirtschaft ausnahmslos Kaderpositionen. «Viele ausgezeichnete Führungskräfte bringen auch Fähigkeiten in der Vermittlung ihrer Gebiete mit», sagt Bossard. «Wo nötig, können wir sie in methodisch-didaktischer Hinsicht schulen. Inzwischen sind wir allerdings in der komfortablen Lage, dass sich immer mehr ausgewiesene Bewerber aus eigenem Antrieb bei uns melden.»

Dass GS1 Schweiz umgekehrt hohe Ansprüche stellt, berichtet Markus Krack, der bei den Logistikfachleuten lehrt. Man lege grossen Wert auf ausgezeichnete Vorbereitung; Drehbücher und Foliensätze würden begutachtet. «Aber auch der Unterricht selber wird regelmässig überprüft, es gibt klare Leitplanken. Ich finde das gut, aber es ist insgesamt schon recht aufwendig», sagt er.


Anschauungsunterricht vor Ort
Auch Krack, Dozent für das Modul «Produktionslogistik» und ein ausgewiesener Kenner der Materie, betont die Relevanz grosser Anschaulichkeit. «Bei meinem Thema wird’s rasch theoretisch. Viele Aspekte der Produktions logistik lassen sich in Schemata ausdrücken, und für die meisten gibt es mathematische Formeln, die sehr nützlich sind.» Genau mit diesen aber hätten viele Studierende ihre liebe Mühe. Insbesondere mathematische Grundlagen müsse man sehr behutsam einführen und aufpassen, dass nicht Einzelne den Anschluss verpassen. Umso wichtiger findet er die Besichtigung von Unternehmen, die er mit seinen Schützlingen absolviert. Danach sei den Studierenden vieles klarer und die Motivation steige markant.


Unterschiede
Einigen Dozenten fällt ein recht deutlicher Unterschied auf zwischen der Theoriefähigkeit der Logistikleiter/innen und Supply Chain Manager/innen auf der einen und den Logistikfachleuten auf der anderen Seite. Peter Hutzler etwa, Dozent für den Bereich Beschaffungswesen, sagt: «Die Studierenden in der Logistikleiterklasse zeichnen sich durch hohe Abstraktionsbereitschaft aus. Sie denken strategisch, sie bewegen sich gerne auf der Meta-Ebene, sind führungs- und managementorientiert und verstehen unternehmensübergreifende Zusammenhänge. Entsprechend kann man interdisziplinäre Diskussionen führen und die Entwicklung von Strategien behandeln.» Der typische Logistikfachmann dagegen sei eher daraufhin orientiert, zu verstehen, was eine Strategie operativ bedeutet und wie sie umgesetzt werden muss.


Qualitätsmanagement
Dieser Ausgangslage ist man sich bei GS1 Schweiz sehr wohl bewusst. «Wir beobachten sehr genau, ob sich die Basismodule wirklich bewähren und ob unsere Dozenten in der Lage sind, flexibel genug auf die unterschiedlichen Abstufungen in den Kursen einzugehen », sagt Franco Miani, zu Beginn der Pilotausbildungen noch «Leiter öffentliche Schulung», inzwischen als Nachfolger von Hans Bossard verantwortlich für den ganzen Bildungsbereich bei GS1 Schweiz. Bei seinen häufigen Besuchen in den Klassen verschafft er sich, wie alle drei Studienleiter, eine Vorstellung über das Gelingen des Projekts und nimmt gleichzeitig Anliegen von Studierenden auf. «In erster Linie geht es um eine systematische Begleitung der Dozierenden. Sie erhalten so Feedback und Hinweise auf allfällige Verbesserungsmöglichkeiten. Diese systematische Beurteilung ist ein wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagements von GS1 Schweiz», sagt er.

Unterstützt wird er von Mario Rusca. Er ist verantwortlich für die Lehrgänge der Logistikfachmänner/-frauen und besucht «seine» Klassen ebenfalls regelmässig. «In dieser Pilotphase ist es besonders wichtig, dass ich regelmässig Feedback abhole», erläutert er.


Achtung: Prüfung
Die Messlatte für den Erfolg der neuen Studiengänge bilden natürlich die Prüfungen. Der Abschluss der Basismodule im Frühling war deshalb eine erste Bewährungsprobe – keineswegs nur für die Kandidatinnen und Kandidaten, sondern auch für die Experten und erst recht für die Zuständigen bei GS1 Schweiz.

Hans Bossard kann aber ein sehr positives Fazit ziehen: «Wir waren uns bewusst, dass diese Prüfungen sehr hohe Anforderungen stellen und dass wir für die nächste Generation einige Korrekturen anbringen müssen», berichtet er. «Aber die Herrschaften, die da jetzt durchmussten, haben sich hervorragend geschlagen. Es darf und soll ja eine Selektion stattfinden. Wir wollen Leute, die nach der Weiterbildung wirklich etwas zu bieten haben», resümiert er, und: «Die allgemeinen Grundlagen konnten vermittelt werden, die angestrebte Harmonisierung wurde erreicht und die gemeinsame Basis ist gelegt.»

Jürg Freudiger

 

Meilensteine

2004 erhielt das BBT den Auftrag, die inhaltliche Koordination der eidgenössischen Berufs- und Höheren Fachprüfungen in verwandten Berufen zu fördern. Im Bereich Logistik gab es zu diesem Zeitpunkt nicht weniger als sieben Berufs- und ebenso viele Höhere Fachabschlüsse, welche von fünf verschiedenen Verbänden angeboten wurden. Hier wollte man mehr Transparenz, eine Vereinfachung und Harmonisierung erreichen. Diese Aufgabe erwies sich allerdings als schwierig. Hans Bossard erklärt: «Für einen Spediteur bedeutet Logistik nun mal etwas ganz anderes als für jemanden, der im Einkauf tätig ist. Der Disponent braucht andere Fähigkeiten als der klassische Lagerist.

Die entsprechenden Verbände wollten ihre Kernkompetenzen in der Weiterbildung abbilden und die berufsspezifischen Abschlüsse beibehalten. Andererseits gibt es eben auch die generalistische Sicht, für die GS1 Schweiz steht: Logistik als Gesamtheit der Tätigkeiten rund um den Warenfluss bis hin zur Entsorgung.»

2008 gelang es den Verbänden schliesslich, die gemeinsamen Themen und zukunftsrelevanten Gebiete zu umreissen. Daraus resultierte die Konzeption der sogenannten SSC-Module. Sie umfassen die interdisziplinären Fächer, hinter denen alle Verbände stehen können und die gegenseitig anerkannt werden.

 

Die Sicht des Arbeitgebers

Worin besteht die Motivation eines Arbeitgebers, Mitarbeitende in derartige Weiterbildungen zu schicken? Georg Burkhardt, DHL Logistics (Schweiz) AG, glaubt, dass der Beruf des Logistikers derjenige sei, in dem die Ansprüche an das Personal in den letzten Jahren am stärksten zugenommen haben: «Der Lagerist, der irgendwelche Waren auf Holzgestellen rüstet und mit einer Kartei arbeitet, das ist definitiv ein Bild von gestern. Allein durch den Einbezug der Informatik haben sich völlig neue Prozesse gebildet. Gut geschultes Personal auf neustem Stand ist sehr wichtig.»

Diese Anforderungen würden von GS1 Kursen jeweils erfüllt: «Die Mitarbeiter, die entsprechende Weiterbildungslehrgänge absolviert haben, denken wesentlich strukturierter: Sie analysieren das Problem, evaluieren Lösungen, entscheiden, setzen um und kontrollieren die gewählte Lösung. In der Logistik muss man an der Front konstant strukturierte und schnelle Entscheidungen treffen, man kann nicht jedes Mal zum Chef rennen!»

 

Gutes Feedback der Studierenden

«Die Dozenten bieten eine hervorragende Qualität, auch didaktisch» – dieses Statement von Reto Fink, stellvertretender Geschäftsführer der Zibatra Logistik AG und Klassensprecher der Supply Chain Manager, dürfte die Haltung der meisten Absolventinnen und Absolventen zusammenfassen. Daniel Ritzmann beispielsweise, seines Zeichens Traffic Manager bei der Swatch Group Distribution AG und angehender Logistikleiter, stösst ins gleiche Horn: «Es sind wirklich Top-Leute, die GS1 Schweiz da hat. Und der Unterricht macht Spass. Ich will mein Know-how erweitern, mein Wissen aufstocken und so die Effizienz meiner Arbeit steigern», sagt er. «Es sieht ganz danach aus, als sei ich am richtigen Ort gelandet.»

Einig ist man sich aber auch, dass der Aufwand für die Kurse beträchtlich ist. Janine Zürcher, Prozessverantwortliche bei DHL Logistics und Klassensprecherin der Logistikfachleute, berichtet, dass sie neben den beiden Kurstagen alle zwei Wochen noch die Lerngruppe besuche. «Und für das individuelle Studium der Scripts bin ich zwei bis drei Abende pro Woche zusätzlich dran. Es ist schon happig, aber es macht auch Spass!»

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