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Kluge Klamotten

Smart Clothes auf dem VormarschJetzt kommen die Jacken und Hosen, die mitdenken. Sie messen Blutdruck und Herzfrequenz, und das Luftgitarrespielen macht jetzt noch mehr Spass. Forscher bringen Textilien und Elektronik zusammen. Getestet werden auch schon die ersten Multimedia-Jacken.

(naf) In den 90-er-Jahren wurden schon Materialien entwickelt, die unser Wohlbefinden bei körperlichen Aktivitäten dank schweissabsorbierender und wärmeregulierender High-Tech-Stoffe steigerten. Zunächst kam die Profisport-, dann die Freizeitsportindustrie in den Genuss der Funktionskleidung. Seit Anfang des Jahrtausends wird Bekleidung, die mitdenkt, erforscht und erfolgreich realisiert. «Smart Clothes» ist der Oberbegriff für Textilien, die unter anderem durch Nanotechnologie, Bionik und Informatik denkend, kommunizierend und sogar gesundheitsüberwachend wirken und somit als Textilien der Zukunft gehandelt werden. Bei den «Wearables» handelt es sich um mit Mikroelektronik ausgestattete Textilien, die mittlerweile miniaturisiert oder sogar unsichtbar sind.

Babystrampler schlagen Alarm
Schleppte man früher noch Blutdruckgeräte mit sich herum und quälte sich mit Langzeit-EKG am Oberarm, so profitieren Profisportler oder auch normale Patienten von eingebauten Herzfrequenz- und Blutdruckmessern in der Oberbekleidung, die sämtliche Vitalfunktionen überwachen und anzeigen. Mithilfe dieser Kleidung lassen sich Temperatur, Feuchtigkeit, Herzrhythmusstörungen oder schwankender Blutdruck mühelos nachvollziehen; sie entlasten somit das Gesundheitssystem, indem die Patientinnen und Patienten keiner stationären Kontrolle bedürfen.

Die Mikroelektronik solcher Kleidung kann aber auch ältere Menschen schützen. So löst ein eingewobener Sensor bei einem Sturz Alarm aus, und über ein integriertes GPS-System kann der Gestürzte geortet werden. Auch ein Babystrampler, der im Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf (D) entwickelt wurde und unsere Kleinsten vor dem gefürchteten «plötzlichen Kindstod» schützen soll, ist Teil dieser intelligenten Kleidung. Die Unterhaltungsindustrie setzt derweil auf das Shirt, das mithilfe fein eingewobener Leiterbahnen den MP3- Player in der Tasche ersetzt. Ob in Kapuzen oder Kragen versteckte Mikrofone und Kopfhörer, aufgesetzte Kontrollpanels zum Steuern von Handy und iPod, dem Spektrum der Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt.


Die Natur als Vorbild
Aus dem Bereich der Bionik, einem Forschungszweig zwischen Biologie und Technik, stammt die Idee des vollständig wasserabweisenden Stoffes. Dieser wurde bei der Erforschung der Lotusblume entdeckt, die aufgrund kleinster überzogener Wachskristalle Schmutz und Wasser einfach abperlen lässt. Im Buddhismus steht die Blume seit mehr als tausend Jahren als Symbol für die Reinheit. Der patentierte Begriff «Lotuseffekt» stammt vom deutschen Botaniker und Bioniker Wilhelm Barthlott. Für seine Forschung an hydrophoben Strukturen wurde er vielfach ausgezeichnet. Heute benutzen wir den Nanospray, um sämtliche Textilien und auch Leder vor Wasser, Schmutz oder Öl zu schützen.

Während die gängige Industrie noch chemische Zusätze benutzt, um Textilien glatter, farbenfroher und anschmiegsamer zu produzieren, was mitunter heftigste Hautreizungen und Allergien auszulösen vermag, versucht die moderne Textilforschung Materialien zu produzieren, die pharmazeutische Substanzen abgeben und damit einen Beitrag zur Gesundung leisten. So sollen in Zukunft Biofunktionstextilien die Haut des Menschen pflegen, kosmetische Wirkung erzielen oder gar die Haut heilen.


Vitamine aus dem Sweatshirt
Basis dafür ist das Molekül Cyclodextrin, ein Zucker, dessen Struktur einen Hohlraum besitzt, der mit verschiedenen Substanzen gefüllt werden kann. Dieses Molekül wird in das Textil verarbeitet und kann bei Hautkontakt bzw. Körperwärme eine medikamentöse oder kosmetische Behandlung einleiten. Ob silberbeschichtete Unterwäsche gegen Neurodermitis, Crèmeshirts gegen Schuppenflechte oder Cyclosocken gegen Schweissfüsse, alles scheint möglich. So wird die Textilie zu einer zweiten, heilenden Haut.

Forscher in Japan haben eine Technik entwickelt, wonach Vitamin C, in einem Äquivalent von zwei Zitronen, täglich über die Kleidung abgegeben werden kann. Europäische Wissenschaftler halten die Vitaminzufuhr über Ernährung allerdings für sinnvoller Zuckermoleküle können aber nicht nur mit heilenden Salben und ätherischen Ölen beladen werden. Wenn sie leer sind, können die Moleküle auch Gerüche aufnehmen und einsperren, bevor diese die Nase erreichen. Der Cyclodextrin-Anzug der Firma Brinkmann nimmt unangenehme Gerüche wie Zigarettenqualm oder Fettgeruch auf, und die Firma eterna vertreibt Cyclohemden, die den Schweissgeruch unterbinden.

Die aufwendigen Produktionsverfahren sind zurzeit nicht im industriellen Massstab verfügbar. Problematisch erscheint auch die Reinigung. Während bei den «Wearables» lediglich die sichtbaren Sensoren abgenommen werden müssen oder separat trocknen, steckt die intelligente Kleidung bei der Medikamentenabgabe noch in den Kinderschuhen. Ob und wie die heilenden Substanzen die nächste Wäsche überstehen, ist noch ungeklärt.


Das Life-Shirt
Zu verdanken haben wir diese Entwicklungen massgeblich dem amerikanischen Militär. Die Army und die Navy statteten ihr Wartungspersonal und ihre Soldaten schon im letzten Jahrhundert mit Helmen aus, die über eingebaute Mikrofone, Lautsprecher, durchsichtige Datenvisiere und Funkmodems für die Datenverbindungen verfügten.

Seit die elektronischen Komponenten in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts klein, billig und leistungsstark geworden sind, ist die Forschung an intelligenter Kleidung nicht aufzuhalten. Ob allerdings der Schuhplattler des 21. Jahrhunderts mit selbsttrommelnden Lederhosen, wie an der TUWien entwickelt, auftritt, sei dahingestellt.

Hingegen wäre der kleidsame Gesundheitsassistent laut Gerhard Tröster von der ETH Zürich idealerweise ein «Wearable», der unsere täglichen Aktivitäten wie Ernährung, Bewegung und Stress analysiert und zusammenfasst. Über Mikrosensoren werden Körpertemperatur, Blutdruck, Atemgeräusche und Herztöne aufgezeichnet und so der Gesundheitszustand überwacht. Alle Indikatoren vereint ergäben ein Gesamtbild, das uns entweder den Weg zum Hausarzt weist oder diesen Weg erspart. Die Informatisierung des Alltags bewegt sich auf der Zielgeraden, Industriekooperation ist nun gefragt.

Nathalie Francio

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