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Schulterblick bei der BMW-Group Regensburg

Autos auf einer AutobahnDie BMW Group wurde 2019 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet. Am 23. Januar 2019 fand im BMW Werk Regensburg der «Schulterblick» statt. Das Werk besteht seit 1986 und fertigt mit 9'000 Mitarbeitern jährlich ca. 260‘000 - 300‘000 Fahrzeuge.

Für die BMW Group arbeiten weltweit mehr als 135’000 Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2018 wurde dabei ein Umsatz von 97,48 Mrd. € erwirtschaftet. Rund 1’800 Lieferanten an über 4’000 Standorten liefern täglich über 31 Millionen Bauteile an die weltweit 31 Produktionsstandorte in 15 Ländern. Für die Tagesproduktion von fast 10'000 Fahrzeugen werden mehr als 230’000 verschiedene (‘proprietäre’) Teilenummern verwendet. Das BMW Werk Regensburg wurde 1986 eingeweiht und fertigt mit 9'000 Mitarbeitern auf einer Fläche von 140 Hektar rund 1'100 Fahrzeuge pro Tag, jährlich 260‘000 - 300‘000 Einheiten (max. 2017: 350‘000). Das Werksareal ist räumlich in die Bereiche Material, Personal und Produkt aufgeteilt.

Fahrzeugmontage
Bei der Montage werden auf derselben Produktionsstrasse Fahrzeuge verschiedener Typen gefertigt (1er, 2er, 4er Cabrio, X1, X2, X2 (Hybrid)), d.h. die heterogenen Produkte werden als Variantenlinie gefertigt, wodurch Umrüst- und Umbauvorgänge, wie sie bei einer serienweisen Mehrproduktlinie auftreten, entfallen. Die Strategie erfolgt dabei nach der für das Premiumsegment üblichen „build-to-order″ (= individuell nach Kundenwunsch) Produktion, die zu einem höheren Preis angeboten werden und damit grössere Margen ermöglichen. Änderungen der Bestellung durch den Kunden sind noch bis zu sechs Tage vor Produktionsbeginn möglich. Der Produktionsplan für das Werk Regensburg wird erst vier Tage vor Produktionsbeginn zusammengestellt. Um sicherzustellen, dass die für den Fertigungsprozess notwendigen Teile genau zum Produktionszeitpunkt an der entsprechenden Maschine eintreffen („Just in time″ -> Reduktion der Lagerhaltungskosten), sind jeden Tag 610 LKW-Anlieferungen notwendig. Diese werden von 840 Lieferanten aus 985 Standorten zum Werk Regensburg versendet.

Logistik Ablauf
Nachdem der Sattelaufleger zum Teil durch bemannte, zum Teil durch unbemannte Autotrailer an eines der Dock-Tore angeliefert wurde, wird er durch einen Staplerfahrer entladen. An dieser Stelle kommt ein weiteres autonomes Fahrzeug zum Einsatz, die AutoBox. Dieses eignet sich insbesondere für den Transport über lange Strecken hin zu den Zwischenlagerstellen (genannt „Supermarkt[BKGS1] ″) und kann entweder manuell durch einen Staplerfahrer oder mithilfe einer automatisierten Fördertechnik direkt aus dem Sattelaufleger mit Ladeeinheiten beladen werden. Die AutoBox zeichnet sich besonders durch eine leitlinienfreie Navigation aus, wobei vier Navigationsscanner die eigenständige Orientierung im Raum übernehmen. Markante Landmarken, wie z.B. Säulen oder Regale, dienen hierbei zur Positionierung. Um das zur Zeit noch manuell durchgeführte Materialhandling durch zusätzliche Automatisierungen zu unterstützen, wurden seit 2017 vier autonome Roboter entwickelt:

  1. Entlang des Wertstroms wird für die Depalletierung von Kleinladungsträgern (KLT) der sogenannte SplitBot eingesetzt.
  2. Im nachgelagerten Schritt des Wertstroms, der Bildung von Sequenzen und Carsets, welche für die Just-in-Sequence Produktionsversorgung unerlässlich sind, wird der PickBot aktiv. Der PickBot stellt aus Behältern mit sortenreiner Zusammenstellung Sets von Bauteilen zusammen, welche der Verbau-Reihenfolge am Band entsprechen.
  3. Neben Sequenz- und Carsetbehältern müssen auch volle KLTs an das Band transportiert werden. Vor Ort erfolgt bisher eine manuelle Entladung der Behälter aus dem Routenzug. Dieser Prozessschritt soll in Zukunft durch den PlaceBot ersetzt werden. Auch hier bedient sich der PlaceBot der bereits erprobten Technik des SplitBots.
  4. Das Stapeln von leeren KLTs, welche nach Entnahme der Teile wieder dem Behälterkreislauf zugeführt werden, übernimmt der SortBot.

Da die BMW Group Logistik im Jahr 2015 auf der Suche nach einem fahrerlosen Transportsystem auf dem Markt nicht fündig wurde, wurde noch im selben Jahr die Entwicklung eines eigenen Smart Transport Robot (STR) gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut IML, angestossen. Eine Prämisse dabei war, auch eigene Ressourcen zu nutzen. Dies wurde z.B. in der Form des Lithium-Ionen-Moduls aus dem BMW I3 erfolgreich umgesetzt. Das Ergebnis ist ein Gerät, welches Ware autonom von einer Quelle zu einer Senke liefert, und welches in den nächsten 2-5 Jahren am Markt angeboten werden soll. Die Steuerung der von BMW eingesetzten autonomen Transportsysteme stellt eine besondere Herausforderung gegenüber herkömmlichen Ansätzen dar. Die Übertragung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten vom Leitsystem in das Fahrzeug stellt völlig neue Anforderungen an das Leitsystem. Insbesondere die Übertragung der Pfadplanung auf den Roboter wie auch die Erlaubnis des Roboters, einem Hindernis auszuweichen, ermöglicht einerseits eine völlig neue Flexibilität bei der Abarbeitung von Transportaufträgen. Andererseits erfordert es aber auch ein grundsätzliches Umdenken bei der Konzeption der Verkehrssteuerung. Die BMW Group Logistik hat dafür ein eigenes cloudbasiertes Leitsystem, genannt ATS Services, in Kooperation mit Microsoft entwickelt. Es beinhaltet als zentrale Funktionalität die zeitgleiche Steuerung von Fahrzeugen verschiedener Hersteller. Diese Flexibilität plant die BMW Group Logistik im nächsten Jahr dadurch unter Beweis zu stellen, indem automatische Routenzüge von der Firma Schiller zusätzlich zu den bereits integrierten STR sowie den im Einsatz befindlichen autonomen Ameisen der Firma Agilox dem System hinzugefügt werden. 

Karosseriebau
Beim Besuch des Karosseriebaus fällt sofort die zweigeschossige Trennung von Fertigung / Material-Nachschub (Erdgeschoss) und ‘Verschiebe’-Logistik im 1. Stock auf. Zur Fertigung einer Roh-Karosserie sind ungefähr 450 Teile bei einer Durchlaufzeit von 9.5 Stunden notwendig. Während z.B. der Nachschub der Blechteile von der LKW-Anlieferung zu den Zwischenlagerstellen („Supermarkt″) im Erdgeschoss zum grössten Teil (noch) über handelsübliche, bemannte Transporteinheiten (z.B. Gabelstapler) erfolgt, wird der Weitertransport zu den voll-automatisierten Fertigungs- und Schweissrobotern (Laser-, Widerstands und MAG-Verfahren) bereits zum grossen Teil über die bereits erwähnten Smart Transport Robots (STR), autonomen Ameisen oder Routenzüge bewerkstelligt. Nach dem Schweissen eines Teils wird dieses auf die Verschiebe-Ebene im 1. Stock gehoben, dort zur nächsten Station verschoben, abgesenkt und weiterbearbeitet. Interessant ist hierbei, dass die Rohblechteile selbst zum Teil nicht gekennzeichnet werden. Nach Aussage des Projektleiters werden Fehler bei der Zuordnung eines Schweissroboters dadurch vermieden, dass a) die jeweiligen Sachnummern und Änderungsindices der Teile immer auf den jeweiligen Behälter-Labels in der Zwischenlagerstelle („Supermarkt″)  angegeben sind und b) eine Formabfrage direkt in der Schweissanlage beim Einlegen erfolgt. Die wahrscheinlichste Option ist hierbei die Drehmoment-gesteuerte Klemmeinrichtung (‘Spiel-Probe’), während die optische Abfrage (‘Mustererkennung’) als zu aufwendig erscheint (Kosten). 

Deutscher Logistik-Preis 2019
Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) zeichnete die BMW Group während des Deutschen Logistik-Kongresses im Oktober 2019 mit dem Deutschen Logistik-Preis aus: Bei dem 2016 initiierten Transport- und Intralogistik-Projekt „Logistics Next“ ging es vor allem darum, mit innovativen sowie intelligenten Technologien einfach und schnell auf Änderungen reagieren zu können, die in der Automobilproduktion täglich vorkommen. Neben dem steigenden Kosten- und Effizienzdruck stand dabei auch im Vordergrund, schnell und flexibel auf die sich ändernden Materialflussprozesse in der Produktion reagieren zu können. Dazu zählen der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), Industrie 4.0-Konzepte, autonom fahrende Transportfahrzeuge, Elektromobilität aber auch Pick-, Transfer-, Sortier- und Platzierroboter als Dienstleister für menschliche Arbeit. Der Einsatz von Datenbrillen und papierlose Logistikprozesse sowie die intensive Einbindung von Fach- und Führungskräften in die Erneuerung und Verbesserung betrieblicher Abläufe runden das Projekt ab. Das Bekenntnis des Top-Managements zur Logistik als Herzstück der Produktion und eine klare Roadmap waren Voraussetzungen für das Gelingen des Großprojekts.

Weitere Beobachtungen
Bei der persönlichen Befragung des Projektleiters gab dieser an, dass durch die Implementierung und Entwicklung der offenen, autonomen, transparenten, vernetzten und kollaborativen Systeme und Technologien eine Effizienzsteigerung von 30% erzielt wird (vollumfänglich erwartet bis 2025). Dabei ist zu beachten, dass es die Mensch-freie Digitalisierung nicht gibt. Innovationen müssen den Beschäftigten dienen, d.h. Maschinen sollten den Menschen unterstützen und dabei neue Betätigungsfelder erschliessen. Die Logistik auf dem Weg zur High-Tech Branche benutzt dabei vor allem die folgenden Technologien: Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und neuronale Netze (NN), Unity und Unreal für Virtuelle Realität (VR), ROS und Python, Netze, Cloud Anwendungen, SLAM Algorithmus, IoT. Als eines der nächsten Ziele wurde explizit formuliert, eindeutige Containerbeschriftung mit RFID zu realisieren.

Dr. Uwe Rüdel, GS1 Switzerland

 

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