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Mit Qualität Kosten sparen

Philippe Milliet, Leiter Generaldirektion Santé, Galenica Gruppe(jh) Mit dem Erwerb der Sun Store Apothekenketten baut die Generaldirektion Santé der Galenica Gruppe ihre Position weiter aus. Philippe Milliet im Gespräch mit GS1 network über Reglementierung, Kosten und Qualität im Schweizer Gesundheitswesen, Wachstum und Risikosteuerung der Galenica Gruppe.

GS1 network: Die Schweiz hat eines der teuersten Gesundheitswesen der Welt. Wo würden Sie die Kostenbremse zuerst ansetzen?
Philippe Milliet: Unterschiedliche Gesundheitssysteme nur auf Basis der Kosten zu vergleichen, wird der Sache nicht gerecht. Es gibt grosse Unterschiede bei der Qualität und bei den Leistungen zwischen den verschiedenen Systemen. Andere sehr wichtige Faktoren sind zum Beispiel der Zugang zu Leistungen und zu neuen Therapien (Nähe, Schnelligkeit). Ein wichtiger Aspekt ist auch die Verteilung der Rollen und der Verantwortlichkeiten und damit die Verteilung der verschiedenen therapeutischen Aktivitäten auf jene Strukturen, die ein Pfl egeangebot zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis erbringen können. Das bedingt aber die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Leistungserbringern. Doch vergessen wir nicht: aufgrund unserer demografischen Entwicklung werden die Kosten im Gesundheitswesen weiter steigen.

Der Schweizer Gesundheitsmarkt setzt derzeit rund 55 Milliarden Franken um. Wie lange wird der Markt Ihrer Meinung nach noch wachsen? Wo liegen allenfalls die Grenzen?
Wie gesagt, die Gesundheitskosten werden massgeblich durch die demografische Entwicklung und die Kosten von neuen Therapien beeinflusst. Wir werden immer älter, und es überrascht uns heute nicht mehr, zum Geburtstagsfest eines 90-Jährigen eingeladen zu werden. Vor rund 30 Jahren war so ein Fest noch etwas Besonderes. In den letzten Jahrzehnten haben auch die Erwartungen, nicht nur bezüglich der Lebensdauer, sondern auch bezüglich Lebensqualität und -komfort stark zugenommen. Ich denke, das wird auch noch so weitergehen. Die Gesundheitskosten werden entsprechend weiter wachsen. Sicherlich wird sich die Ressourcenverteilung auf die verschiedenen Sektoren im Gesundheitswesen verändern. Und damit meine ich den Gesundheitsmarkt im Allgemeinen und nicht nur den Krankheitsmarkt.

Staat oder Markt. Ist das Schweizer Gesundheitswesen zu stark oder zu wenig geregelt? Welche «Konstruktionsmängel» sind gegebenenfalls zu korrigieren?
Unser Gesundheitssystem ist heute schon reglementiert. Gleichzeitig wollen die Behörden ein Umfeld schaffen, das den Wettbewerb fördert. Die Herausforderung liegt in der Gewichtung dieser zwei oft gegensätzlichen Ansätze. Manche Vorschriften entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen oder der Marktrealität. Vergessen wir dabei nicht, dass unser Gesundheitssystem stark auf sozialen Grundsätzen basiert, die meiner Ansicht nach sehr wichtig sind und in gewissen Fällen Reglementierungen notwendig machen, die den Marktgesetzen widersprechen. Das müssen wir ganz einfach akzeptieren.

Seit 13 Jahren weist Galenica zweistellige Gewinnwachstumszahlen aus. Mit der Übernahme der Sun Store Apotheken ist ein weiterer Expansionsschritt erfolgt. Sieht Galenica im Schweizer Markt noch Wachstumspotenzial? Oder erfolgt jetzt vermehrt der Schritt ins Ausland?
Ab Mitte Jahr werden wir ein Netz von rund 250 eigenen Apotheken führen. Damit erreichen wir vorteilhafte kritische Masse. Der Markt setzt sich zusammen aus über 1700 Apotheken, selbstdispensierende Ärzte und Spitäler nicht eingerechtet. Da ist noch genügend Raum für Wachstum. Allerdings wollen wir uns auf qualitatives Wachstum fokussieren. Eine Expansion ins Ausland ist kein Thema.

Vier von zehn Medikamentenverabreichungen sind falsch verordnet oder verursachen negative Wechselwirkungen. Spitäler testen derzeit den Einsatz der automatischen Datenerfassung, um sicherzustellen, dass der Patient die richtigen Medikamente erhält. Wie schätzen Sie «Bedside-Scanning» ein, und was kann Galenica dazu beitragen?
Die Zahl von 40 Prozent kann ich nicht beurteilen und darum auch nicht kommentieren. Wir teilen aber die Meinung, dass eine automatisierte Datenerfassung im Spital, direkt am Krankenbett, die Qualität der Medikation entscheidend verbessern kann. Voraussetzungen sind eine durchgängige, vollständige Referenzierung aller im Spital angewandten Medikamente sowie exzellente medizinisch-pharmazeutische Datenbanken. Unsere Unternehmen Documed und e-mediat arbeiten seit mehreren Jahren an entsprechenden Systemen, um die genannten Anforderungen erfüllen zu können. Mit dem Pilotprojekt e-MED am Inselspital wurden bereits erste vielversprechende Ergebnisse erzielt. Der Ausbau der für solche Systeme erforderlichen Datenbanken wird bei Galenica im Rahmen der Initiative
«Clinical Information Support – CIS» mit hoher Priorität vorangetrieben. Die bereits freigegebenen Datenelemente fliessen laufend in die hospINDEX-Datenbank, ein speziell auf die Bedürfnisse der Schweizer Spitäler zugeschnittenes Angebot, ein. In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Initiativen erwähnenswert: In Kooperation mit STIZ, dem Tox-Zentrum in Zürich, fotografiert e-mediat alle Arzneiformen, um beim Abgabeprozess die Identität der effektiv abgegebenen Medikamente zu verifizieren; eine elektronische Version des früher bekannten «IDENTA»-Buches. Und gemeinsam mit GS1 werden die Grundlagen für die Referenzierung der einzelnen Abgabe-Einheiten erarbeitet.

Bis 2015 soll ein persönliches, lebenslanges elektronisches Patientendossier für alle Menschen in der Schweiz verfügbar sein. Zudem wird im Internet ein jedermann zugäng liches Gesundheitsportal aufgeschaltet. Was halten Sie davon?
Die Entwicklung wird sicher in diese Richtung gehen. Allerdings gibt es Spannungsfelder. Einerseits wollen wir die Patienten zu mehr Eigenverantwortung befähigen. Andererseits sind wir mit Schwierigkeiten konfrontiert, wie zum Beispiel Vorbehalten aufgrund des Schutzes von persönlichen Daten, der Qualität und der Auswahl der verfügbaren Daten und schliesslich der Verantwortung für Entscheide, die auf Basis der Informationen getroffen wurden, die uns zur Verfügung stehen. Ich denke dabei an Aspekte wie die Gültigkeitsdauer von gewissen Informationen oder auch ihre Neutralität. Das elektronische Patientendossier gibt es heute schon in verschiedenen Formen. Unser Produkt TriaMed® zum Beispiel ermöglicht die komplette Vernetzung aller Daten und bietet ein ausführliches Patientendossier sowie alle nötigen Funktionalitäten. Die Definition von Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen ist heute kein grosses Problem mehr. Die Herausforderung in Bezug auf die Weiterentwicklung liegt also weniger in der technischen Umsetzung, sondern vielmehr darin, neue Modelle für die Verwaltung der Pfl egeleistungen zu etablieren.

Im Vergleich zu Dänemark, Holland und Österreich ist die Schweiz bei eHealth im Hintertreffen. Wie erklären Sie sich diesen Umstand? Wie lässt sich die Einführung von eHealth beschleunigen oder optimieren?
Angesichts des stark föderalistisch geprägten Gesundheitswesens der Schweiz ist es nicht verwunderlich, dass Länder mit eher zentral gesteuerten Systemen auf diesem Gebiet weiter sind. Auch ist die Schweizer Bevölkerung aufgrund des Datenschutzes der Idee gegenüber generell eher kritisch eingestellt.

eHealth ist kein Selbstzweck, sondern muss die Prozesse im Gesundheitswesen zugunsten des Patienten durch den Einsatz von Informationstechnologie optimieren. In diesem Sinn ist der Fahrplan des Bundes, welcher bis 2015 eine weitgehende Umsetzung von eHealth vorsieht, als durchaus realistisch zu beurteilen.

Die grösste Hürde für eine erfolgreiche Einführung eines eSystems ist gemäss ausländischen Erfahrungen der Mensch. Wie wollen Sie den Gefahrenfaktor Mensch in den Griff bekommen, bzw. für das neue eSystem motivieren?
Wie bereits gesagt, darf eHealth kein Selbstzweck sein – und alle Beteiligten müssen an Bord sein; sowohl die Patienten als auch alle im Gesundheitswesen tätigen Personen. Natürlich spielt der Faktor Mensch eine bremsende Rolle: wer zögert denn nicht, wenn es darum geht, Änderungen einzuführen, die viel Geld und Zeit kosten? Mit breit abgestützten Kommunikationsmassnahmen müssen Ängste und Vorbehalte abgebaut und Nutzen aufgezeigt werden. Gerade das Thema «Verbesserung der Medikationssicherheit» eignet sich dazu sehr gut, weil der persönliche Nutzen relativ einfach aufzuzeigen ist.

Voraussetzungen für den Erfolg von Software-Systemen wie e-mediat sind strukturiert erfasste Information und verlässliche, anerkannte Regeln der Interaktion. Wie kann man das gewährleisten?
Der wichtigste Faktor sind hoch spezialisierte Mitarbeitende, welche sowohl über medizinisch-pharmazeutische als auch über Informatik-Kenntnisse verfügen. Unsere Mitarbeitenden werten anerkannte nationale und internationale Datenquellen aus und strukturieren die so gewonnenen Informationen. Die entsprechenden Prozesse sind ISO-zertifiziert und garantieren eine homogene Datenqualität. Für einen Datenlieferanten wie e-mediat ist aber auch die Integration der Daten in die Informatiksysteme in Spitälern, Arztpraxen, Apotheken usw. entscheidend. Hier arbeiten wir eng mit allen namhaften Software-Lieferanten des schweizerischen Gesundheitsmarktes zusammen. Kurz gesagt: Es funktioniert nur dank interdisziplinärer Kooperation über Organisationsgrenzen hinweg.

Mit dem Stammdatenpool MedWin von e-mediat bieten Sie eine Referenzdatenbank für das schweizerische Gesundheitswesen an. Inter national wird eine Harmonisierung der Identifikationssysteme angestrebt. Was halten Sie davon? Wie sehen Sie die Entwicklung für e-mediat?
Der Stammdatenpool MedWin basiert auf dem GTIN-System der internationalen GS1 Organisation (ehemals EAN). e-mediat arbeitet auf dem Gebiet der Referenzierung eng mit GS1 zusammen und stellt dank dieser Kooperation die internationale Kompatibilität der in der Schweiz betriebenen Systeme sicher.

Die Fragen stellte Joachim Heldt.

 

Angaben zur Person

Philippe Milliet, Leiter Generaldirektion Santé.

Philippe Milliet, 1963 in Porrentruy (Schweiz) geboren, hat Pharmazie studiert und verfügt zudem über einen MBA-Abschluss der Universität Lausanne. 1988 trat er in die Galenica Gruppe ein und war während zwei Jahren zuerst als Software-Entwickler und später als Assistent der Generaldirektion tätig. Nach einem fünfjährigen Unterbruch kehrte er 1996 in die Galenica Gruppe zurück, wo er im Jahr 2000 die Leitung des damaligen Geschäftsbereichs Distribution übernahm.

2001 wurde er Direktor von Unicible. 2003 kehrte er zu Galenica zurück. Seit 2004 ist er Mitglied der Generaldirektion und leitet die Geschäftsbereiche Logistics, HealthCare Information und Retail. Seit Januar 2009 ist er auch verantwortlich für die Produktion und den Verkauf der OTC-Produkte von Vifor Pharma in der Schweiz.

Philippe Milliet ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie, zum Beispiel beim Sport oder beim Reisen.

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