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«Wir entwickeln alles selbst.»

Reinhard Lange, CEO der Kühne + Nagel International AG(as) Reinhard Lange, CEO der Kühne + Nagel International AG, weist der IT eine Schlüsselrolle für die Entwicklung integrierter Logistikangebote zu. Die Kunden schätzen nämlich die IT-gestützte Transparenz und wissen jederzeit, wo ihre Ware ist. RFID wird noch nicht global eingesetzt.

 

GS1 network: Welche Veränderungen hat die technologische Entwicklung der vergangenen 20 Jahre für Kühne + Nagel gebracht?
Reinhard Lange: Heute werden viele Vorgänge nicht mehr durchgängig von gleichen Mitarbeitenden erledigt, sondern in Prozesse zerlegt und von mehreren Personen bearbeitet. Das steigert die Effizienz. Dadurch ändern sich aber auch Berufsbilder sehr stark. So dürfte sich dasjenige des klassischen Spediteurs in den nächsten Jahren massgeblich verändern. Aufgrund der Bedeutung von Prozessveränderungen beschäftigt Kühne + Nagel vermehrt Prozessingenieure.

Sie weisen der IT eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der Logistik und Ihres Unternehmens zu?
Ohne die heutigen IT-Systeme wäre unser Leistungsspektrum nicht darstellbar. Auch in der jetzigen schwierigen Zeit gehört die IT deshalb zu den Dingen, bei denen man nicht sparen sollte. Die Leistungsfähigkeit der IT ist zu einem wesentlichen Unterscheidungsmerkmal von Logistikfirmen geworden. Generell wird der Anteil der IT-und Softwareentwicklungskosten am Firmenbudget immer höher.

Warum kann sich die IT derartig in den Vordergrund spielen?
Im Hintergrund der optimierten Supply Chain steht auch ein optimal gemanagtes Lager. Kleidungsgrosshändler kaufen beispielsweise in Asien ein und liefern via Zwischenlager in ihre Shops. Wir nutzen mittlerweile die Möglichkeiten der IT, um Hubs oder Warehouses zu umgehen und direkt von der Fabrik zum Endabnehmer zu liefern. Dabei muss bereits beim Warenabgang sehr viel Customer Design gemacht werden. Wir arbeiten zwar ein wenig gegen uns selbst, weil wir auch ein Lagergeschäft haben, doch am Ende des Tages ist die Kundenzufriedenheit für uns am wichtigsten.

Welche IT-Systeme nutzen Sie bei Kühne + Nagel?
Wir haben für unsere 250 Kühne + Nagel-Firmen weltweit ein einziges Buchhaltungsprogramm. Deshalb ist jeweils am 10. jedes Folgemonats unser Finanzabschluss fertig. Jedes unserer Logistikprodukte (wie See- oder Luftfracht) wird ebenfalls weltweit über alle Firmen hinweg mit dem gleichen operativen IT-System dargestellt. Wettbewerber, die ähnlich gross sind wie Kühne + Nagel, nutzen teils noch mehrere Systeme, die jeweils über Interfaces kommunizieren müssen.

Ein System für alle, welche Bedeutung kommt da der Standardisierung zu?
Für uns gibt es nur ein Thema: Standards, Standards, Standards. Sie generieren bei uns Transparenz und Qualität. Deshalb ist für uns ein zentrales operatives System so wichtig.

Woher beziehen Sie Ihre Software?
Wir entwickeln alles selbst, denn wir kennen unsere Prozesse und Kunden. Daraus entwickeln wir unsere Solutions, die uns dank strikten Standards Integrität, Funktionalität und Flexibilität erlauben. Ich kenne zahlreiche Fälle, in denen sich Logistiker Software ab Stange gekauft haben. Das tun wir lieber nicht.

Sicher braucht es hierbei einen intensiven Austausch zwischen physischer Logistik und IT-Abteilung?
der IT leiten, sondern das operative Geschäft macht seine Vorgaben an die IT, die als intelligenter interner Dienstleister fungiert.

Wie sieht die elektronische Brücke zu Ihren Kunden aus?
Bestellungen erhalten wir am liebsten elektronisch über EDI. Das ist die Basis für die weitere Kommunikation zwischen Kühne + Nagel und dem Kunden. Zwischen Latest Shipment Date und Latest Arrival Date erbringen wir dann unsere Managementleistung und wählen beispielsweise ein Schiff mit geeigneter Reisegeschwindigkeit aus. Allerdings müssen nicht nur wir EDI unterstützen, sondern auch unsere Kunden. Manchmal müssen wir dort die entsprechenden Strukturen implementieren, damit der Datenaustausch reibungslos funktioniert.

Welche Rolle spielt die IT-Sicherheit?
Ihr kommt natürlich eine grosse Rolle zu. Wir haben eigens dazu die Position eines Information Security Officer geschaffen. Dessen Aufgabe ist es, das operative Netzwerk vor Angriffen von aussen und über das Internet zu schützen und gleichzeitig Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit hoch zu halten. Heute nutzen mehr als 10 000 unserer Kunden unsere Informationssysteme.

Wie entscheidend ist eigentlich die erste und letzte Meile für das Angebot integrierter Logistik?
Wenn ein Unternehmen intern über IT integriert und nicht mit Interfaces zu Subcontractors arbeitet, erreicht man eine ganz andere Datenqualität. Diese Datenqualität ist wiederum entscheidend für die Integration der einzelnen logistischen Leistungen und schafft für den Kunden einmalige Möglichkeiten des Monitoring und der Visibility seiner Transporte. Wenn man dieses umfassende Angebot erbringen kann, wird mehr Wertschöpfung für den Kunden generiert.

Also verkaufen Sie den Kunden das beruhigende Wissen über den jeweiligen Aufenthaltsort der Waren?
Die Visibility entlang der gesamten Supply Chain ist wichtig für ein professionelles Lagerbestandsmanagement.

Und wie sicher sind die Waren auf See? Man hörte jüngst ja einiges über Piraterie …
Piraterievorfälle wie am Horn von Afrika tangieren uns eigentlich nicht, da wir selbst nicht transportieren. Zudem sind die grossen Containerschiffe von kleinen Booten aus nicht so einfach zu entern wie tief im Wasser liegende Öltanker.

Wie gehen Sie mit wertvollen Lkw-Transporten um?
Bei Lkws kommen GPS-Ortungssysteme zum Einsatz. Für wertvolle Fracht existiert zudem ein eigenes Netzwerk. Es sind teilweise zwei Fahrer mit an Bord und die Routen werden häufig verändert.

Moderne Lkws und moderne Logistik sollen ja emissionsarm sein. Wieweit berücksichtigen Sie solche umweltpolitischen Aspekte?
Sicher haben diese Überlegungen grosse Auswirkungen auf die Logistik. Die Kunden möchten mindestens über die mit ihren Transporten entstehende Umweltbelastung informiert werden. Wir legen bereits bei der Auswahl der Lkw-Unternehmen umweltrelevante Kriterien an. Das Gleiche gilt bei Reedereien und Luftverkehrsgesellschaften. Hier bevorzugen wir Partner mit den jüngsten Flotten.

Realisieren Sie Transportbündelung oder kooperativ betriebene City-logistik-Konzepte?
Das sind existente Ansätze, die sich aber noch nicht stark durchgesetzt haben. Teils kommen bei Firmen ja noch immer 30 verschiedene Lkws auf den Hof.

Welche Rolle spielen Prognosesysteme für Sie?
Im Sinne der Voraussage von Marktentwicklungen nutzen wir solche Systeme nur bedingt. Unsere Forecasts basieren auf den eingehenden Buchungen von und Diskussionen mit Kunden. Dies ist für uns die verlässlichste Grösse.

Wie sieht es mit RFID aus?
Dies ist ein wichtiges Thema, doch die Voraussetzungen für die globale Anwendung sind derzeit noch nicht gegeben. Die technologische Landschaft ist aus unserer Sicht zu stark fragmentiert. Es gibt vor allem zahlreiche unterschiedliche Datenträger. Sicher wird sich das in Zukunft aber noch ändern, ähnlich wie das mit Barcodes einmal war. Wir setzen RFID zwar ein, aber nicht global und übergreifend. Die Technologie kommt vor allem bei Kundenprojekten zur Anwendung.

Unter dem Label «Lead Logistics» offeriert K+N auch Beratungsleistungen. Welche Entwicklung erwarten Sie für dieses Geschäftsfeld?
Wir haben diese Aktivitäten im Jahr 2000 begonnen, und es ist mittlerweile ein sehr profitables Geschäftsfeld. Da geht es um Netzwerk- und Optimierungsberatung, oft ergeben sich dann die Erbringung von Managementleistungen und der Verkauf logistischer Dienstleistungen. Wir versprechen uns hier in den kommenden Jahren noch erhebliches Potenzial.

Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie für die kommenden Jahre?
Ich glaube, es ist falsch, angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise die Globalisierung infrage zu stellen. Sie wird sich weiter entwickeln und weiter fortsetzen. Die Komplexität von Logistik wird sich vor dem Hintergrund einer leistungsfähigeren IT weiter steigern. Kosten sind mittlerweile wieder ein Thema. Für uns ist das eine Chance, denn wir können neuen Kunden jetzt Optimierungen anbieten und stossen auf offene Türen.

Integration also als Schlüssel zum Erfolg?
Der Integrationstrend ist zwar noch recht neu und entstanden, weil Kunden immer mehr Projekte outgesourct haben und sich andererseits Logistiker um eben solche Aufträge bemüht haben, um über die Arbeitsteilung Kosteneinsparungen zu realisieren. Beim Insourcen ist der Transport nur ein Service, erst durch das Outsourcen ergibt sich ein Wettbewerbsdruck und es entsteht eine wirksame Kostenkontrolle.

Wirkt dieser Mechanismus aber auch, wenn der Outsourcing-Anbieter gewinnorientiert arbeitet? Werden realisierte Sparpotenziale dann noch weitergegeben?
Sicher arbeiten wir und alle unsere Mitbewerber gewinnorientiert. Die Kunden schreiben jedoch ihre Geschäfte regelmässig neu aus. Da müssen wir wettbewerbsfähig sein.

Sind grössere Unternehmen in der Logistik immer die besseren?
Ich glaube, dass Qualitätsunterschiede prägend sind. Natürlich braucht es eine gewisse kritische Masse, man muss ein globales Netzwerk haben und IT-Systeme, die eine reibungslose Integration gewährleisten. Dennoch gibt es auch bei grossen Unternehmen heute noch Qualitätsunterschiede.

Letztlich bietet Kühne + Nagel in jeder Richtung eine IT-Oberfläche, die alle Vorgänge unter einem Dach erfasst. Wieweit kann man sich da das Outsourcen der physischen Logistik vorstellen?
Wir haben wenige eigene Assets und besitzen weder Schiffe noch Flugzeuge und nur wenige Lkws. In der Kontraktlogistik haben wir lediglich 10 Prozent der Gewerbeimmobilien in Eigenbesitz. Trotzdem haben wir für alle Produktbereiche einen eigenen, einheitlichen Marktauftritt.

Das kommt Ihnen in Zeiten wie den heutigen sicher gelegen?
Wenn man in unserem niedrigmargigen Geschäft nicht «asset-light» unterwegs ist, kann man nicht schnell reagieren. In Zeiten wie diesen gehen die Volumen um 20 bis 25 Prozent zurück. Eine eigene Flotte generiert da rasch hohe Fixkosten. ||

Die Fragen stellte Alexander Saheb.


Angaben zur Person
Reinhard Lange, heute 60-jährig, begann seine Laufbahn in der Logistik mit einer Ausbildung zum Speditionskaufmann. Im Jahr 1971 trat er in die Kühne + Nagel-Gruppe ein. Sein Aufstieg zum CEO verlief über folgende Stationen:
• 1971–1985: Eintritt und spätere Leitung der Abteilung Seefracht Import, Bremen
• 1985–1990: Regionaldirektor Seefracht Asien Pazifik, Hongkong
• 1991–1995: Mitglied der Geschäftsleitung Deutschland, verantwortlich für Seefracht
• 1995–1999: Präsident und CEO der Kühne + Nagel Ltd Kanada
• 1999–2008: Leiter (COO) des Konzern-Geschäftsbereichs See-und Luftfracht und stellvertretender CEO seit 2007
• Seit 2009: CEO der Kühne + Nagel International AG

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