gs1-neton-header-09.jpg

Lebensmittellogistik im Fokus

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss jedes Unternehmen seine Prozesse optimieren. Neue Technologien, innovative Prozess- und Geschäftsmodelle bieten attraktive Möglichkeiten, die Wertschöpfung zu erhöhen und die Kosten zu senken.

Anspruchsvolle Kundenerwartungen, Kostendruck, Nachhaltigkeit und technologische Innovationen zählen zu den Top Ten der Logistiktrends. Diese Entwicklungen gehen Hand in Hand mit den Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie und sorgen für eine hohe Komplexität in dem speziellen Feld der Lebensmittellogistik. Welchen Herausforderungen hat sich die Branche zu stellen, und welches Potenzial besteht im Bereich der Lebensmittellogistik?

Vielfältige Ansprüche
Hersteller von Lebensmitteln agieren in einem schwierigen Markt, was für die logistische Abwicklung einige Herausforderungen birgt. Wie in allen Branchen geht es darum, die Kundenerwartungen möglichst gut zu erfüllen. Endverbraucher und Handel als Kunden der Lebensmittelindustrie stellen hier sehr hohe und vielfältige Ansprüche. Der Konsument verlangt gesunde, sichere, preiswerte und nachhaltige Lebensmittel, die seinen jeweiligen Ansprüchen genügen.
Durch den Handel werden diese Anforderungen weitergegeben, insbesondere bei der Herstellung von Handelsmarken, und mit der Forderung nach ständiger Verfügbarkeit, hohen Handelsrabatten und einer massgeschneiderten Belieferung oder logistischen Bereitstellung verfeinert. Neben der Bereitstellung im Lebensmitteleinzelhandel rückt nun vermehrt der Internethandel in den Fokus und stellt die Logistik vor die Herausforderung einer Multi-Channel-Abwicklung.

Der Konsument verlangt gesunde, sichere, preiswerte und nachhaltige Lebensmittel.


Im Rahmen einer Befragung des Marktforschungsinstituts Dialego gab die Hälfte der Teilnehmenden an, sich zukünftig eine Bestellung von Lebensmitteln über das Internet vorstellen zu können. Entscheidend für den Erfolg werden hierbei Qualität, Service und Schnelligkeit der Lieferung sein. Daher wird vermutet, dass sich frische und gekühlte Artikel im Gegensatz zu Trockenwaren eher nicht als Onlinegut durchsetzen werden. Fraglich ist jedoch, ob dies ein Trend ist, der nur den Lebensmittelhandel betrifft, oder ob er gleichermassen für die Lebensmittelhersteller gilt. Und alles bitte zu einem niedrigen Preis. Aber je nach Produkt macht der Anteil der Logistikkosten am Preis bis zu 50 Prozent aus. Bei einer Umsetzung des Onlinehandels kann dieser Wert noch steigen. Hier liegt also ein grosser Hebel für die Hersteller, dank günstigerer Logistikabwicklung konkurrenzfähigere Preise bieten zu können.
Die Lebensmittellogistik muss sich aufgrund der aktuellen Trends und ihrer Branchenbesonderheiten folgenden Herausforderungen stellen:
• Kostendruck des Handels und Preisbewusstsein der Kunden
• Hohe Produktvielfalt für unterschiedliche Märkte (länderbezogen und stationär versus online)
• Hohe Sicherheits- und Hygieneanforderungen
• Rückverfolgbarkeit über gesamte Supply Chain
• Zunehmende Bedeutung ökologischer und sozialer Aspekte

Schlank und stabil
Doch wie immer bergen Herausforderungen auch Potenzial, sich zu differenzieren. Grundsätzlich kann eine stärkere Prozessorientierung helfen, die Effizienz und Transparenz der Logistikprozesse in der Branche zu steigern. Es gilt, Prozesse schlank und stabil ablaufen zu lassen. Das heisst, alle logistischen Abläufe in Beschaffung, Produktion, Distribution und Entsorgung müssen auf ihren Beitrag zur Wertschöpfung untersucht werden. Sie sollten so gestaltet werden, dass sowohl der Informations- als auch der Warenfluss bedarfsgerecht, fehlerfrei und möglichst standardisiert ablaufen kann und dabei die Kundenerwartungen hinsichtlich Sicherheit, Preis, Gesundheit und Nachhaltigkeit erfüllt werden.
Auch bei Lebensmitteln stellen E-Commerce und Multi-Channel die Logistik vor Herausforderungen.Der Blick über den Tellerrand in Form einer Benchmark kann dabei helfen. Es muss aber nicht immer die gleiche Branche betrachtet werden. Die Produkte oder Prozesse müssen nur die gleichen Merkmale aufweisen. So könnte etwa ein Hersteller von Spritzgussteilen als Beispiel für optimale Produktionsprozesse eines Backwarenherstellers dienen. Ähnliche Produktionsverfahren, Reinheitsvorschriften und Stückzahlen machen den Vergleich möglich. Eine weitere Quelle für Optimierungspotenzial bieten aktuelle Forschungen.
Folgende Handlungsfelder sollten bei der Prozessoptimierung in der Lebensmittellogistik betrachtet werden:
• Transparenz bezüglich der Kundennachfrage und Lieferantenkapazität
• Zusammenarbeit der internen Funktionen (von der Produktentwicklung bis zur Distributionslogistik)
• Nutzung moderner Identifikationstechnik
• Messsysteme und Aktionspläne zur Verbesserung der Nachhaltigkeit

Chancen nutzen
Die Fraunhofer Allianz Food Chain Management arbeitet beispielsweise an Einsatzmöglichkeiten von RFID zur Rückverfolgung in der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln oder an Technologien, die automatisch den Reifegrad von Obst und Gemüse messen oder die Frische von Fleisch. So sollen logistische Prozesse künftig rechtzeitig gestartet und ständig überwacht werden können. Bereits lange bekannt, aber zu selten genutzt sind die Möglichkeiten, mit Handel und Lieferanten Daten elektronisch auszutauschen und sich so besser abzustimmen. Efficient Consumer Response (ECR) und elektronische Beschaffungstools bieten hohes Potenzial, Prozesskosten zu reduzieren und Kundenbedürfnisse kostengünstig zu erfüllen.
Eine mit dem Handel abgestimmte Sortimentsgestaltung und Planung von Marketingaktionen erfordert aber ein hohes Mass an Vertrauen. Die Nutzung von elektronischen Katalogen und Auktionen in der Beschaffung ist hingegen einfacher und hilft, bis zu 25 Prozent der Prozesskosten einzusparen und die Einstandspreise des Materials zu verringern.

Zwischen Wertschätzung und Verschwendung
Um das Thema Nachhaltigkeit ernsthaft anzugehen, müssen Hersteller wissen, welche negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen ihre Produkte über die gesamte Wertschöpfungskette erzeugen. Ressourcenverbrauch, Emissionen, schlechte Arbeitsbedingungen und Missachtung von Menschenrechten sind die grossen Schlagwörter. Gleichzeitig macht es Sinn zu analysieren, welche Risiken in Zukunft aufgrund gesellschaftlicher und umweltbedingter Entwicklungen beim Bezug der eigenen Rohstoffe entstehen.
Wenn dann gezielt Massnahmen entwickelt und umgesetzt werden, lassen sich eigene Erfolge gut in der Kommunikation nach aussen nutzen. Die Steigerung der Energieeffizienz der Produktionsprozesse oder die Integration ökologischer Bewertungskriterien in den Prozess der Lieferantenauswahl können mögliche Massnahmen sein. Auf jeden Fall bietet sich auch hier ein hoher Grad der Prozessorientierung an.
Ein zentrales Thema in Bezug auf Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich ist die Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Eine Untersuchung des Instituts für Nachhaltige Ernährung und Ernährungswirtschaft der FH Münster (iSuN) hat deutlich gezeigt, dass die Ursachen für unnötige Abfälle in der Lebensmittelindustrie häufig in nachgelagerten Wertschöpfungsstufen liegen. So führen beispielsweise spezifische Anforderungen des Handels an die Produktbeschaffenheit, aber auch die Wahl der Konsumenten nach Optik bei Obst und Gemüse zu hohen Verlusten in Landwirtschaft und Verarbeitung.
Die Prozesse der Beschaffung und Lagerung sollten optimiert werden. Dies geht nicht ohne ein funktionierendes Schnittstellenmanagement, das den Informationsfluss durch Vernetzung der einzelnen Akteure verbessert. Unternehmen, die ihre Prozesse analysieren, mithilfe vorhandener und neuer Technologien automatisieren und sich nicht vor einer engen Zusammenarbeit (intern und extern) scheuen, haben die Möglichkeit, die Erwartungen der anspruchsvollen Konsumenten optimal zu erfüllen und so ihre Position im Markt zu festigen oder zu verbessern.

Dr. Therese Kirsch

 

         Zur Person
Die Autorin ist Nachwuchsprofessorin für Logistik und Nachhaltiges Wirtschaften am Institut für Prozessmanagement und Logistik (IPL), Fachhochschule Münster, Deutschland.
    


 

Nach oben