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Wenn Stammdaten im Durchzug stehen

Jürg Peritz, Leiter Marketing und Beschaffung bei Coop(jh) Stammdaten sind wichtig, sie ermöglichen reibungslose Prozesse und beeinflussen massgeblich die Effizienz einer Organisation. Jürg Peritz, Leiter Marketing und Beschaffung bei Coop, und August Harder, ITLeiter bei Coop, über die Bedeutung und Wichtigkeit von Stammdaten.

GS1 network: Welche Bedeutung hat der standardisierte Stammdatenaustausch für Coop?
Jürg Peritz: Stammdaten sind wie das Fundament eines Hauses. Ohne statisch richtiges Fundament gibt es kein bewohnbares Haus. Gleich verhält es sich mit den Stammdaten: Ohne richtige Stammdaten ist eine moderne Warenwirtschaft nicht betreibbar. Unsere Kunden verlangen zunehmend umfassende Informationen. So kommen wir zunehmend in die Pflicht, nicht nur Waren, sondern zusätzlich auch Informationen zu liefern.

Datenqualität gilt als einer der Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg. Welche Erfahrungen haben Sie mit mangelhaften oder gar schlechten Stammdaten gemacht?
August Harder: Die Frage gilt für Stammdaten jeglicher Art. Moderne ITSysteme sind durchlässig und online. Jeder Fehler in den Stammdaten kann schwerwiegende Konsequenzen haben und bis zum Stillstand von physischen Kommissionierprozessen oder zu falschen Lohnzahlungen führen. Fehlende Ware führt unter Umständen zu Fehlverkäufen und verärgerten Kunden. Moderne ERP-Systeme sind heute dermassen durchgängig, dass ich bezüglich der Bedeutung richtiger Stammdaten mit meinen Mitarbeitern jeweils folgendes Bild zeichne: Haben die Stammdaten in Basel «Durchzug», kämpft man in Chur mit einer schweren Grippe.

Unter dem Strich bedeutet Stammdatenaustausch schlankere Supply-Chain-Prozesse und verbesserte Zusammenarbeit mit den Lieferanten. Eigentlich eine Win-win-Situation für beide Seiten. Warum geht es aber in der Umsetzung nur schleppend voran? Wo liegen die Probleme?
Jürg Peritz: In der Tat bedeutet der elektronisch basierte Stammdatenaustausch schlankere Supply-Chain-Prozesse. Schlanker heisst schneller, sicherer und kostengünstiger. Ich verstehe manchmal nicht, dass man Geld, das auf der Strasse liegt, nicht einfach aufnimmt. Es geht ja letztlich darum, etwas einmal richtig durchzudenken und einen Prozess festzulegen, um danach hundertfach Vorteile daraus zu ziehen. Letztlich profitieren die gemeinsamen Konsumenten von Industrie und Handel. Es ist unverständlich, dass man nachweisliche Vorteile nicht nutzen will. Menschen lösen sich ungern von Gewohnheiten und Vertrautem. «Die rosafarbenen Stammdatenblätter im Format A4 für Coop und A5 für den Kunden X haben sich ja seit vielen Jahren bewährt. Warum soll sich daran etwas ändern?» Es braucht nicht viel. Es braucht den Willen zur Veränderung, und das kann doch nicht so schwierig sein. Geschäftspartner, welche sich dafür einsetzen, arbeiten unmittelbar auch an ihrer Kundenbindung mit Coop. August Harder: Der Aufwand zur Anpassung der ERP-Systeme hält sich in Grenzen, zumal die Standards in interdisziplinären Arbeitsgruppen bestehend aus Händlern, Lieferanten und Dienstleistern unter der Federführung von GS1 abgesprochen werden. Der Austausch der Daten erfolgt über erfahrene Datenpoolbetreiber – in unserem Fall SA2. Sie verfügen über langjährige Erfahrungen und sind Garant für Sicherheit und Vertrauen. Jede Zusammenarbeit im Bereich der Stammdaten gleisen wir über ein kleines Projekt aus Vertretern von Coop und ihren Geschäftspartnern auf. So sind die Rollen und Schnittstellen sauber geregelt und die Leute im Tagesgeschäft «kennen» sich. Ein einmal eingeführter Prozess lässt sich mit überschaubarem Aufwand multiplizieren. Es gibt einfache Einstiegsmöglichkeiten, zum Beispiel die manuelle Erfassung im Internet oder durch Excel-Upload. Man muss nicht gleich mit der umfassenden integrierten Lösung starten.

Seit Jahren wird über standardisierten Stammdatenaustausch gesprochen. Ist es nur ein Modewort oder gar eine Utopie?
Jürg Peritz: Weder noch. In der Tat lässt sich ein kurzfristiger finanzieller Erfolg nicht berechnen. Es gibt Dinge, die muss man einfach tun. Ohne Fundament verfügt ein Haus auch nicht über ein Wohnzimmer. Der elektronische Datenaustausch reflektiert sich nicht unmittelbar in geringerem administrativem Aufwand, aber das Verhindern von Fehlverkäufen durch richtige Stammdaten kann zu grossen Einsparungen führen. August Harder: Die Stammdatenpflege ist unabdingbar. In der Schweiz stecken wir noch in den Kinderschuhen. In Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Holland ist dies heute schon fast eine Selbstverständlichkeit, wie GTIN und EDI.

Namhafte Vertreter des Schweizer Detailhandels haben sich zum elektronischen Stammdatenaustausch bekannt. Erkennen auch die Industrieunternehmen den Vorteil von standardisiertem und automatisiertem Stammdatenaustausch?
Jürg Peritz: Es gibt einige bedeutungsvolle Geschäftspartner, welche die Notwendigkeit erkannt haben, mit Herzblut dabei sind und sich den Prozess nicht mehr anders vorstellen können. Wie ich schon gesagt habe: In erster Linie braucht es den Willen zur Veränderung und eine Unternehmensführung, welche die Vorteile erkennt, sich damit identifiziert und den Weg nach innen wie nach aussen unmissverständlich kommuniziert.

Welche «nächsten Schritte» im Hinblick auf GDSN werden Sie unternehmen?
Jürg Peritz: Wir haben mittlerweile 58 Lieferanten erfolgreich eingeführt; zehn davon in diesem Jahr, und bis Ende 2011 sind weitere 15 Einführungen in Planung. Flächendeckend wollen wir in etwa acht Jahren so weit sein. August Harder: Mit jeder Einführung lernen wir dazu, verbessern unsere Abläufe und damit die Einführungszeit. Gewinnen von unserer «Pfadschiffsfunktion» werden auch die übrigen Handelsunternehmen in der Schweiz. Die breite Abstützung war letztlich einer der Gründe, weshalb sich fast alle Handelsunternehmen in der Schweiz in einem «Memorandum of Understanding» zu einer flächendeckenden Einführung ab dem Jahr 2013 verpflichtet haben. Lieferanten werden somit zusätzlichen Nutzen ziehen: Die Stammdatenblätter werden in Zukunft weder unterschiedliche Formate noch unterschiedliche Farben haben. Die Vorwürfe um den Aufwand, die Einführung mit wenigen Partnern zu tun, müssten damit hoffentlich vom Tisch sein.

«Jeder Fehler in den Stammdaten kann schwerwiegende Konsequenzen haben.» August Harder, IT-Leiter bei Coop Welche Rolle sollen die GS1 Organisationen aus Ihrer Sicht dabei übernehmen?
August Harder: GS1 soll weiter am Ausbau der Standards und an der Scharnierfunktion zwischen Handel und Industrie arbeiten. Dort bewegen sich alle Mitglieder im wettbewerbsneutralen Umfeld. Bedeutungsvoll sind sicher auch die Schulungen, um interessierten Unternehmen rasch die neuen Abläufe und Inhalte verständlich zu machen.

Wie lange, glauben Sie, dauert der Prozess, bis in der Schweiz eine über fünfzigprozentige Marktdurchdringung zur Nutzung von GDSN erreicht wird?
Jürg Peritz: Ich denke, dass es plötzlich einen Schub geben wird, wie es bei EDI der Fall war, und ich rechne damit, dass dieses Ziel bis im Jahr 2018 zu erreichen ist. Es ist sicher sportlich, aber nicht unrealistisch.

Coop gehört zu den Grossen. Lohnt sich der Stammdatenaustausch über einen Stammdatenpool auch für kleine Händler? Was ist aus Ihrer Sicht die Mindestgrösse?
Jürg Peritz: Stammdatenaustausch ist nicht eine Frage der Grösse der Partner. Letztlich geht es einzig um die Frage der Effizienz und Effektivität.

August Harder: Ausserdem bieten Stammdatenpools wie SA2 verschiedene massgeschneiderte Lösungen zu verschiedenen Preisen an. Man kann beispielsweise mit einer manuellen Erfassung oder mit ExcelUpload im ersten Gang starten, um erst später in den fünften Gang zu schalten.

In welchen Segmenten ist Coop in Sachen Stammdaten aktiv? Oder anders gefragt, mit welchen Unternehmen tauschen Sie Stammdaten elektronisch aus? Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl: Lieferantengrösse (Umsatz), Wichtigkeit und Grösse einer Kategorie usw.?
Jürg Peritz: Coop ist vielfältig und innovativ im Sortiment. Somit ist der Stammdatenaustausch in allen Warengruppen notwendig, was ja heute schon in der einen oder anderen Form erfolgt. Den grössten Nutzen sehen wir sicherlich in dynamischen oder saisonal rasch wechselnden Sortimenten wie Textilien oder im Nearfood mit vielen Sortimentswechseln. August Harder: Prioritär sind für uns reibungslose und sichere Prozesse – erst in zweiter Linie machen wir auf Tempo.

Inwieweit profitiert der Konsument vom Thema Stammdaten?
Jürg Peritz: Allfällige Kostenvorteile werden wir – wie wir es bei Einsparungen in der Supply Chain immer getan haben – den Kunden in Form von tieferen Preisen weitergeben.

Besprechen Sie das Thema Stammdatenaustausch auch im Rahmen der CoopernicPartnerschaft?
Jürg Peritz: Ja, wir haben eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema gegründet. Leider haben wir jedoch feststellen müssen, dass der Entwicklungsstand im Bereich Stammdatenaustausch in den einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Dort, wo sich die Stossrichtungen decken, pushen wir uns gegenseitig.

Blick nach vorne: Wohin geht der Trend bezüglich Stammdaten?
August Harder: Der Appetit kommt mit dem Essen, das heisst, wir haben mit den prozessrelevanten Informationen angefangen, um für alle Beteiligten den Start einfach zu halten. Doch wollen wir in Zukunft vermehrt auch Produktinformationen austauschen, wie sie beispielsweise auf den Verpackungen stehen. Gerade im Onlinehandel sind solche Angaben unerlässlich. Die Herausforderungen sind gross, denn gerade hier spielen Richtigkeit und Exaktheit der Informationsinhalte eine grosse Rolle.

Wie sieht Coop die Entwicklung im Mobile Commerce und den Wunsch der Konsumenten, mehr über die Produkte zu wissen? Könnte dieser steigende Informationsbedarf auf breiter Front den Umsetzungswillen für den automatisierten Stammdatenaustausch fördern?
Jürg Peritz: Der Trend des globalen Informationsaustausches hat schon lange eingesetzt und er wird auch vor den Toren des Detailhandels nicht Halt machen. Es ist deshalb wichtig, dass Handel und Industrie mit einer Zunge sprechen. Wir haben ein gemeinsames Interesse, dass nicht Äpfel mit Birnen verwechselt werden. Das schürt Unsicherheit und Misstrauen bei den gemeinsamen Konsumenten. Deshalb bekommt die Gleichschaltung der Stammdaten eine noch wichtigere Rolle.

Die Fragen stellte Joachim Heldt.

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