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Piraten und Spione klingeln nicht

Piraten und Spione klingeln nichtWirtschaftskriminalität hat viele Facetten. Produktpiraten, kriminelle Mitarbeiter und sogar ausländische Geheimdienste können eine Firma in die Zange nehmen.

(as) Der Schweiz entsteht aus Wirtschafts-verbrechen aller Art ein jährlicher Schaden in Milliardenhöhe. Der dem Bundesamt für Polizei zugehörende Dienst für Analyse und Prävention (DAP) schätzt ihn auf rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Diese Zahl aus dem Jahresbericht 2004 der Behörde ist die jüngste verfügbare Schätzung. Umgerechnet waren das damals gegen neun Milliarden Franken, heute dürften es etwa elf sein.

Allerdings stelle die Wirtschaftskriminalität «weder eine nennenswerte Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz dar noch ist das Funktionieren der legalen Wirtschaft bedroht», heisst es. Den jährlichen Schaden allein aus Produktfälschungen beziffert die Vereinigung Stop Piracy auf gegen zwei Milliarden Franken.

Produziert und schon gefälscht
Besonders gern widmen sich Produktfälscher den hochpreisigen Erzeugnissen der Schweizer Uhrenindustrie. Während jährlich rund 26 Millionen echte Schweizer Uhren hergestellt werden, produziert man anderswo weitere 40 Millionen Stück Fälschungen. Wie beim Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FHS) zu erfahren ist, wird mit den Fälschungen ein Nettogewinn von mehr als einer Milliarde US-Dollar erzielt. Entsprechend entsteht der Uhrenindustrie ein Verlust, der sich auf zwischen 800 und 900 Millionen US-Dollar jährlich beläuft.

Man ist dabei mit zahlreichen Varianten von Fälschungen konfrontiert. Das reicht von der Markenfälschung, bei der renommierte Markenzeichen unautorisiert verwendet werden, über die Kopie eines Designs bis hin zur Verletzung technischer Patente, Fälschung von Edelmetallstempeln oder unwahren Angaben in Bezug auf technische Angaben wie die Wasserdichtigkeit einer Uhr. Mittlerweile wird auch eine stark verbesserte materielle Qualität der Kopien beobachtet, die damit weiter zu den Originalen aufschliessen.

Mehrere Ansatzpunkte gegen Plagiate
Die Hersteller kontern dies mit modernen technischen Mitteln. Beispielsweise führte Hublot an der Basel World seine auf eine Smartcard gestützte Lösung vor, die vom Unternehmen Wisekey stammt. Die Uhren leisten ihren Echtheitsnachweis nun dank einer Karte mit Mikrochip, die als elektronisches Garantiezertifikat dient.
Doch auch die Schweiz unterstützt die heimischen Produzenten; im Sommer 2008 wurden einige Gesetzesvorschriften des Markenrechts verschärft. Seither können alle eingeführten Kopien an der Grenze beschlagnahmt werden. Vergangenes Jahr schritten gemäss Jahresbericht der FHS die eidgenössischen Zöllner bereits lebhaft ein. Es wurden an den Landesgrenzen rund 1200 Fälle gefälschter oder raubkopierter Ware mit einem Wert von 14 Millionen Franken verzeichnet. Dazu kamen gegen 700 Arzneimittelsendungen, die die Landesgrenze nicht passieren durften. Ausserdem wurden rund 1100 Uhren- und Schmucksendungen zurückgehalten, weil sie gegen das Gesetz über die Edelmetallkontrolle verstiessen. Auch international ist die FHS sehr aktiv. In einem Zwischenlager bei Mexico City fand man mehr als 90 000 gefälschte Schweizer Uhren. Bei einer zweiten Razzia im mexikanischen Guadalajara fand man weitere 46 000 unechte Zeitmesser. Ein Hauptmarktplatz für diese gefälschten Uhren ist das Internet. Laut Angaben der FHS wurden 2008 mehr als 71 000 einschlägige Auktionen oder Kleinanzeigen aus dem Web entfernt. Allerdings suchen sich die Anbieter rasch andere Provider.

Massnahmen gegen Produktepiraterie
Auch die GS1 Systematik kann einen Beitrag gegen Produktpiraterie und Wirtschaftskriminalität leisten. GS1 Standards können nämlich den Eintritt von gefälschten Produkten in ordentliche Wertschöpfungsketten erschweren. Wie Nicolas Florin, Geschäftsführer von GS1 Schweiz, berichtet, wurde vergangenes Jahr in diesem Zusammenhang das im Bereich der Betäubungsmitteldistribution angesiedelte Projekt SmartLog durchgeführt. Hier ging es darum, zu prüfen, ob neue Symbologien kombiniert mit der Serialisierung der Produkte und der Bereitstellung von Bewegungsdaten im Internet zu einer Verbesserung der Sicherheit führen können.

SmartLog hat laut Florin unter anderem aufgezeigt, dass der Verlauf eines bestimmten Produktes jederzeit und überall verfolgt werden kann und dass über einen automatisierten Informationsaustausch Unregelmässigkeiten rasch aufgezeigt werden können. Das Prinzip dahinter ist sehr einfach und prägt die Arbeit von GS1 seit über 30 Jahren: In einer sicheren Supply Chain geht es darum, einer- seits die vor-und nachgelagerten Partner und andererseits die Produkte, die man bewegt, eindeutig zu identifizieren. Zudem müssen die Informationen in einer standardisierten und automatisierten Art und Weise ausgetauscht werden. Neben diesen Grundvoraussetzungen spielt auch die enge Zusammenarbeit und Koordination zwischen Supply-Chain-Partnern und Behörden wie Zoll, Gesundheitsämtern und anderen eine wichtige Rolle.
Eine auf mehrere Aspekte abgestützte Strategie gegen Produktpiraterie fährt auch Schneider Electric. Das in der Energieverteilung sowie Steuerungs- und Automatisierungstechnik tätige Unternehmen setzt dabei, wie die Uhrenindustrie, auf mehrere Schritte. So werden die Produkte nicht nur durch Patente, Gebrauchsmuster oder eingetragene Warenzeichen geschützt, sondern man überwacht auch aktiv den Markt, um Plagiate zu identifizieren und mehr über ihre Urheber zu erfahren. Ausserdem setzt man darauf, Systeme zur Authentifizierung von Produkten zu entwickeln.
ABB wiederum sieht sich regelmässig mit Fälschungen von Niederspannungsschaltern und Sicherungsautomaten konfrontiert. Deshalb ergreift man Massnahmen dagegen bei Produktion, Vertrieb und Verkauf. Auch die Victorinox AG hat einen mittlerweile mehrjährigen Track Record in Sachen Produktpiraterie. Sie setzt zur Identifikation echter Erzeugnisse beispielsweise auf die RFID-Technik, wenn es um ihre Parfums geht. Ausserdem geht man mit möglichst grosser Publicity gegen gefälschte Produkte vor. Da wird an grossen Messen die Polizei aufgeboten, um Kopien zu konfiszieren. Das können Taschenmesser mit USB-Stick an der Cebit sein, doch auch an der Frankfurter Konsumgütermesse Ambiente liess man die Fahnder zuschlagen.

Der Feind im eigenen Haus
Allerdings findet sich kriminelle Energie auch innerhalb zahlreicher Unternehmensorganisationen wieder, stellt die Unternehmensberatung KPMG in ihrem «Fraud Barometer» fest. Es sind vorrangig Mitglieder des Managements, die zu Straftätern werden. 2008 erreichte die gesamte Deliktsumme der in der Schweiz vor Gericht gebrachten Fälle von Wirtschaftskriminalität die Summe von mehr als einer Milliarde Franken. Mehr als die Hälfte der Delikte, nämlich 28, wurden durch Mitglieder des Managements begangen. Die Schadensumme erreichte 606 Millionen Franken. Mitarbeitende auf tieferen Stufen generierten insgesamt 17 Fälle, die Deliktsumme erreichte hier insgesamt knapp 20 Millionen Franken. «Dies zeigt deutlich, dass der Fokus noch verstärkt auf Delikte gerichtet werden muss, die durch das Management begangen werden, denn diese Straftaten haben regelmässig deutlich höhere Schadensummen zur Folge», stellt KPMG fest. Besonders wichtig seien angemessene interne Kontrollen.

In den meisten Fällen handelte es sich um Veruntreuungen. Die Deliktsumme erreichte bei diesem Vergehen rund 630 Millionen Franken. Beispielsweise wurden dazu Rechnungen gefälscht, oder bei Zahlungen an Dritte wurde die eigene Kontonummer anstelle derjenigen des effektiven Zahlungsempfängers eingetragen. Die veruntreuten Gelder wurden für ganz unterschiedliche Zwecke verwendet: von der Schönheitsoperation über Casinobesuche, Partys, Hausgeräte zu Luxusferien – eine reichhaltige Palette gesuchter Lebensaccessoires. Allerdings kam es auch vor, dass vom ergaunerten Geld Lebensversicherungen abgeschlossen wurden oder Verwandte und Bekannte Immobilienkredite erhielten. Hauptgeschädigte waren Investoren, worunter auch Pensionskassen gezählt werden. Entsprechende Fälle hatten einen Streitwert von 535 Millionen Franken. Finanzinstitute klagten auf verlorene 214 Millionen Franken, andere Unternehmen mussten weiteren 217 Millionen Franken gerichtlich nachspüren lassen. Der mit 243 Millionen Franken wertmässig grösste Teil der Verfahren fand vor Zürcher Gerichten statt. Nordwest- und Ostschweiz folgen mit geringem Abstand und Streitwerten von 214 bzw. 201 Millionen Franken. In der Zentralschweiz und im Tessin ging es um Streitwerte von insgesamt 138 bzw. 135 Millionen Franken.

Wirtschaftsspionage kann man vorbeugen
Einen ganz anderen Charakter hingegen hat die Wirtschaftsspionage, die auch in der Schweiz stattfindet. Zwischen 1990 und 2000 wurden insgesamt acht Fälle von Wirtschaftsspionage aufgedeckt, schreibt der Jurist Stephan Kindler in einer Abhandlung zum Thema, die auf der Website der Schweizerischen Expertenvereinigung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (www.seeci.ch) publiziert ist. In vier Fällen stand ein ausländischer Geheimdienst hinter den Vorgängen, in weiteren vier Fällen war es ein Konkurrenzunternehmen. Im Fokus standen insbesondere Banken und Unternehmen der Computertechnologie. Wie hier ersichtlich, gilt es zwischen der nachrichtendienstlichen Spionage, die von anderen Staaten betrieben wird, und der Konkurrenzausspähung durch Branchenkollegen zu unterscheiden.

Auch im Jahr 2008 haben fremde Nachrichtendienste versucht, in der Schweiz systematisch an potenzielle Informanten zu gelangen. Das geschieht oft unter diplomatischer oder journalistischer Tarnung, heisst es im neusten Jahresbericht der Fedpol. Der Dienst für Analyse und Prävention führt deshalb auf präventiver Basis Sensibilisierungsgespräche mit Personen, Firmen und Institutionen, die in den Fokus fremder Nachrichtendienste gelangen könnten. Das Programm «Prophylax» umfasst dabei sowohl die Wirtschaftsspionage als auch die Thematik der Proliferation potenziell sensibler Güter. Die Schweiz ist ein Land, welches sehr viele Dual-Use-Güter exportiert. Seit der Auflegung des Programms im Jahr 2004 wurden bereits mehr als 700 Firmen und Institutionen besucht; 2008 waren es mehr als 100. Zweimal jährlich finden Vorträge auch an der Uni Genf statt. Im vergangenen Jahr wurden ausserdem gegen 21 (Vorjahr 8) ausländische Personen Einreiseverbote zum Schutz vor verbotenen Spionagetätigkeiten verfügt. In 5 (3) Fällen wurde beim EDA die Verweigerung der diplomatischen Akkreditierung beantragt.

Doch laut Kindler sind die Täter in den meisten Fällen, zu über 80 Prozent, in den Reihen der aktuellen oder ehemaligen Mitarbeiter einer Firma zu finden. Darüber hinaus sollte man ein Auge auf private Detekteien und firmeneigene Sicherheitsdienste haben. Gemäss von Kindler angeführten Experten beschaffen sich die Nachrichtendienste 80 bis 90 Prozent ihrer Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen wie dem Internet, Datenbanken und dem Besuch von Veranstaltungen. Nur 10 bis 20 Prozent der Informationen stammen schliesslich aus der verdeckten Beschaffung mittels eigener Agenten, im Zielunternehmen angeworbener Mitarbeiter oder Einsatz technischer Mittel.

Alexander Saheb

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