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Netzwerk der digitalen Zwillinge

Neue Megatrends in der Konsumgüterindustrie bringen zahlreiche Herausforderungen, aber auch Chancen für Unternehmen. Welche Trends zeichnen sich am Markt ab, und vor allem: welche Aspekte müssen Konsumgüterhersteller bei der Gestaltung ihrer Digitalisierungsstrategie berücksichtigen? 

Das IT-Analyse- und Marktforschungsinstitut Gartner ging schon in einer letztjährigen Umfrage davon aus, dass die Hälfte aller grossen Industrieunternehmen bis 2021 digitale Zwillinge einsetzen wird. Siemens Digital Industries Software Schweiz lud Ende 2019 Vertreter der Nahrungs- und Getränkeindustrie zu einem Experten-Frühstück zum Thema «Digitalisierung der Konsumgüterbranche » ein. Als sicher gilt: Produktstrategien müssen schneller denn je angepasst werden.

Die Produktentwicklung wird mit mehr Zwängen konfrontiert, um auch bei hohen Anforderungen flexibel und schnell auf Änderungen reagieren zu können. Gemäss Frank Brandau, Director of Consumer Products & Retail Industry Solutions, ist die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette der Schlüssel, um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

Das Produkt ist wie Social Media
Eines ist sicher: Konsumenten verlangen immer mehr und immer schneller Produkte, die individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Sie nutzen neue Vertriebsplattformen und der Einfluss von Social Media und Influencern wirkt sich auf ihr Kaufverhalten aus. Hinzu kommt, dass Kunden Einblick verlangen, woher die Produkte und ihre Rohstoffe kommen und unter welchen Bedingungen diese hergestellt werden.

«Der Kunde möchte heute sein Smartphone zücken und mit wenig Aufwand überprüfen können, woher die Rohmaterialien stammen und wie lange sie schon unterwegs sind», so Brandau. In den Fokus gerückt sind intelligente Applikationen, die sich in die bereits bestehende digitale Umgebung der Konsumenten einfügen können, mit dem Ziel, diesen sämtliche geforderten Details zu ihren Interessen zur Verfügung zu stellen. «Man muss die eigene Kreativität nutzen, damit passende Konzepte entwickeln und die Herausforderung meistern, mit solchen Lösungen als Erster am Markt zu sein», so Brandau. Die Innovationskraft zähle. War es vor Jahren noch ausreichend, Innovationen in einem Zeitrahmen von mehreren Monaten einzuführen, so stehen heute nur noch Wochen zur Verfügung.

Ist Digitalisierung die Antwort?
Nur eine möglichst vollständige Abdeckung sämtlicher Informationen zu Produkt, Produktion und Performance kann das Potenzial der Digitalisierung erschliessen. Durch Vermeiden unnötiger Korrekturschleifen und unproduktiver Aufwände sowie durch eine gezielte Parallelisierung von Abläufen lässt sich die Geschwindigkeit der Markteinführung von Produkten deutlich verbessern. Siemens spricht in diesem Zusammenhang gerne vom «digitalen Zwilling».

Bei den Produktinformationen gibt es in der Regel drei Disziplinen: Die Entwicklungsabteilungen kümmern sich um die eigentliche Produktentwicklung, führen die Tests durch und fahren die Simulation, um vorab tiefere Einblicke in Optimierungspotenziale zu erhalten. Parallel dazu findet über das Marketing die Konzeptionierung des Verpackungsdesigns statt. Die Prozesse sollen jedoch so früh wie möglich initiiert sein, um spätere Verzögerungen zu vermeiden. Beim Finalisieren aller Prozesse gilt es diese einzelnen Geschäftsabläufe zu koordinieren und zusammenzuführen. So muss beispielsweise gewährleistet werden, dass alle Resultate sämtlicher beteiligten Disziplinen (wie R&D, Marketing und Gesetzeskonformität), koordiniert durch die jeweils verantwortlichen Stellen, freigegeben werden, um das Risiko wiederholter Iterationen zu vermeiden. Mit der Siemens-Digital-Enterprise-Strategie verfolgt der Technologiekonzern im Wesentlichen das Ziel, die Menge an Informationen effizient über den gesamten Prozess verwalten zu können, unabhängig von der Art der Informationen.

Bewegungssimulationen
Wichtig sei dabei vor allem, bereits bestehendes geistiges Eigentum maximal wiederzuverwenden. Wenn man etwa die neue Geschmacksrichtung eines Produkts auf den Markt bringen möchte, müsse man dafür nicht unbedingt das Rad neu erfinden. Vielmehr brauche es, ähnlich wie in einem objektbasierten Programmierkonzept, eine Instanziierung. Man löst sich beim digitalen Prozess somit vom Grundgedanken, Produktvarianten in komplexen, gesamtheitlichen Modellen zu erfassen, und fokussiert auf die relevanten und notwendigen Unterschiede zwischen den Iterationen. Solche Planungen nutzen Prozessbibliotheken, womit sich während der Projektinitiierungsphase der Planungsaufwand erheblich vermindert, teilweise lässt er sich um mehrere Grössenordnungen reduzieren.

Auf Basis des digitalen Zwillings der Produktion wird dann die Grundlage der sogenannten Smart Factory erstellt. So kann in kürzester Zeit eine sich an den Markttrends orientierende Änderung zur Fertigung gebracht werden, bei gleichzeitiger Wahrung aller Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit. Das Optimierungspotenzial erstreckt sich dabei auf eine Vielzahl von Parametern; beispielsweise lassen sich manuelle, wiederkehrende Tätigkeiten auf Basis von Bewegungssimulationen optimieren – mit dem Ziel, sowohl die Ablaufgeschwindigkeit zu steigern als auch die Last für die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter zu vermindern.

Simon Gröflin

Ein digitaler Zwilling (englisch «digital twin») ist eine Repräsentation eines materiellen oder immateriellen Objekts oder Prozesses aus der realen Welt in der digitalen Welt. Es ist unerheblich, ob das Gegenstück in der realen Welt bereits existiert oder zukünftig erst existieren wird. Digitale Zwillinge ermöglichen einen übergreifenden Datenaustausch. Sie sind mehr als reine Daten, sie bestehen aus Modellen des repräsentierten Objekts oder Prozesses und können daneben Simulationen, Algorithmen und Services enthalten, die Eigenschaften oder Verhalten des repräsentierten Objekts oder Prozesses beschreiben, beeinflussen, oder Dienste darüber anbieten.

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